Reit-Verband unter DruckRTL-Bericht unterstellt Olympiasieger Beerbaum Tierquälerei

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Ludger Beerbaum

Warendorf – Über 30 Jahre nach der Barr-Affäre sieht sich ein deutscher Weltklasse-Springreiter wieder mit Vorwürfen wegen mutmaßlich unerlaubter Trainingsmethoden konfrontiert. Der TV-Sender RTL zeigte am Dienstagabend in der Sendung „RTL Extra“  in dem Beitrag von Undercover-Journalist Günter Wallraff heimlich aufgenommene Videos, in denen Springpferde angeblich gebarrt werden. Dabei wurde den Tieren beim Sprung über ein Hindernis eine Vierkantstange gegen die Vorderbeine geschlagen.

Das bringt auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) in Zugzwang. Sie verurteilte die gezeigten Trainingsmethoden. „Bereits jetzt, unabhängig von dem gezeigten Beitrag, können wir klar sagen, dass der Gebrauch von Vierkantstangen sowie genopptem oder gestacheltem Stangenmaterial inakzeptabel ist und nicht im Einklang steht mit den Grundsätzen des fairen Pferdesports“, sagte FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach in einer noch in der Nacht zum Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme des Verbandes.

Vorwürfe schon seit Juli 2020 bekannt

Der FN sind die Vorwürfe schon seit Juli 2020 bekannt. Als Reaktion darauf richtete der Verband nach eigenen Angaben im Januar 2021 eine Kommission mit Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen des Pferdesports ein. Diese „soll strittige Trainingsmethoden überprüfen und, wo nötig, Vorschläge für Regelwerksänderungen machen“. Das Ziel, bis Ende 2021 Ergebnisse vorzulegen, wurde wegen „der Komplexität des Themas Touchierens“ nicht eingehalten.

Im Mai 2021 hatte die Vereinigung mit Sitz in Warendorf bei der Polizei NRW eine Anzeige gegen Unbekannt wegen der möglichen Verletzung des Tierschutzgesetzes erstattet. Die Staatsanwaltschaft Münster teilte im vergangenen November der FN mit, dass die Ermittlungen eingestellt worden seien. Die Vereinigung kündigte nun nach der Sendung an, die Staatsanwaltschaft über den RTL-Beitrag zu informieren, „damit diese den Sachverhalt auf Grundlage des Tierschutzgesetzes bewerten kann“. „Wie wir schon 2020 und 2021 gegenüber RTL zum Ausdruck gebracht, nehmen wir die Vorwürfe sehr ernst. Genau deshalb werden wir das am späten Dienstagabend ausgestrahlte Filmmaterial sorgfältig analysieren und anschließend entsprechende Schlüsse zum weiteren Vorgehen ziehen“, sagte Lauterbach.

Um eine „seriöse Beurteilung des Sachverhaltes“ vornehmen zu können, bedürfe es des gesamten Video- und Beweismaterials, sagte er. „Wir fordern RTL deshalb erneut auf, uns dieses vollständig zur Verfügung zu stellen.“

Vorwürfe über 30 Jahre nach der Barr-Affäre 

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Deutsche Reiterliche Vereinigung mit dem Barren beschäftigen muss. Anfang der 90er Jahre erschütterte die Affäre um den dreimaligen Europameister Paul Schockemöhle den Pferdesport und brachte vor allem das Springreiten unter Rechtfertigungszwang.

Durch das Barren sollen Pferde dazu gebracht werden, ihre Beine stärker anzuziehen und damit höher zu springen. Diese Methode ist verboten, da sie den Tieren Schmerzen verursacht.

Erlaubt ist hingegen die Praxis des sogenannten Touchierens. „Beim Touchieren handelt es sich um ein fachgerechtes Sensibilisieren des Pferdes durch gezieltes Berühren der Pferdebeine im Sprungablauf“, heißt es in den Richtlinien der FN. Die Stangen müssen ein glattes Rundholz - nicht mehr als drei Meter lang und nicht schwerer als zwei Kilo - sein. Das Touchieren dürfe nur durch erfahrene Pferdefachleute angewendet werden.  

Ermittlungen nach Olympia-Skandal im Fünfkampf eingestellt

Der von RTL gezeigte Fall weckt Erinnerungen an die Bilder des völlig verunsicherten Pferdes und der aufgelösten Sportlerin mit der gezückten Gerte in der Hand beim Olympia-Skandal im Modernen Fünfkampf. 

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Überfordert mit der Situation: Annika Schleu

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat das Verfahren gegen die Athletin Annika Schleu und Bundestrainerin Kim Raisner wegen des Verdachts der Tierquälerei allerdings eingestellt. Die Beschuldigten hätten in Tokio auf das Reitpferd nur kurzfristig eingewirkt und sich in einer physischen und psychischen Ausnahmesituation des olympischen Wettkampfes befunden, hieß es in einer am Dienstag auf der Internetseite der Staatsanwaltschaft veröffentlichten Mitteilung. „Dem Turnierpferd wurden zudem keine Verletzungen zugefügt“, hieß es dort weiter. (red, dpa)

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