Sport-Märchen 2021Der wundersame Aufstieg des Kölner Tennis-Profis Oscar Otte

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Oscar Otte bei den US Open 2021

Köln – Herr Otte, Sie sind am Sonntag nach Australien geflogen. Als Nummer 101 der Tennis-Weltrangliste. So hoch eingeschätzt wie nie in Ihrem Leben als Tennis-Profi. Das fühlt sich sehr gut an. Ich bin zum ersten Mal direkt im Hauptfeld der Australian Open. Durch das letzte Jahr habe ich mir das definitiv verdient. Die Reise bleibt natürlich dieselbe, aber es ist ein angenehmeres Gefühl, als in die Qualifikation zu müssen, die auch immer recht anstrengend ist. Und man kann auch ganz anders planen. Ich bin mit meinem Trainer Peter Moraing und meinem Trainingspartner Mats Moraing geflogen, der sein Neffe ist. Meine Freundin muss in Deutschland bleiben und auf den Hund aufpassen.

Hatten Sie nach vielen schwierigen Profi-Jahren Zweifel daran, jemals diese privilegierte Position zu erreichen? Immerhin wird schon eine Niederlage in der ersten Runde dieses Turniers mit rund 64 000 Euro entlohnt. Klar, Zweifel gab es immer wieder. Die Voraussetzung war für mich allerdings immer, dass ich Spaß habe, egal, wie es läuft und egal, wo ich Turniere spiele. In der Zeit, als ich Tennis an nicht so schönen Orten gespielt habe, habe ich immer das Große und Ganze betrachtet. Ich wollte das Leben so. Ich wusste, was mich erwartet. Mein Weg nach oben ist eben ein wenig anders verlaufen als bei vielen. Ich habe immer davon geträumt, beim Grand Slam in der ersten Runde zu spielen. Davon, dass meine Freunde und meine Familie mich im Fernsehen sehen. Ich habe das selbst immer sehr genossen, morgens früh aufzustehen und die Australian Open im Fernsehen anzuschauen. Ich denke, ich habe es ganz gut hinbekommen. Mit viel Unterstützung meiner Familie und einem sehr guten Trainerteam.

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Wie muss man sich die Ochsentour in der zweiten und dritten Tennis-Liga, auf den Challenger und Future-Turnieren vorstellen? Es war anstrengend, aber das Leben auf den kleineren Touren hat mir viel Spaß gemacht. Ich bin damals viel mit Andreas Mies (Kölner Weltklasse-Doppelspieler, Anm. d. Red,) gereist. Ich erinnere mich daran, wie wir in Marokko beide eine Lebensmittelvergiftung bekamen, trotzdem hatten wir immer viel Spaß und gute Laune. Ich glaube, wenn man diese Mischung findet aus Ehrgeiz, Motivation und guter Laune, dann hilft das, nach oben zu kommen.

Sie haben 2021 die Millionen-Dollar-Grenze im Preisgeld geknackt.  In den vielen Jahren davor werden sie vermutlich gut gerechnet, günstige Flüge und Hotels gebucht haben. Früher war es wirklich so, dass wir von Woche zu Woche geguckt haben: Wo ist das günstigste Hotel, in dem man schlafen kann, ohne sich nachts selbst verteidigen zu müssen? Um es mal extrem zu formulieren. Es gibt seit Jahren dieses Problem mit der Preisgeldverleihung auf den kleineren und mittleren Turnieren. Da bleibt am Ende des Jahres nicht allzu viel übrig. Um das zu finanzieren, habe ich in mehreren Tennis-Ligen gespielt, hier in der Bundesliga aber auch in Frankreich, Italien und sogar in Schweden im Dezember, bei ich weiß nicht wie vielen Minusgraden und nur zwei Stunden Tageslicht. Das war schon eine Tortur, ein Akt. Aber das war mehr oder weniger selbstverständlich für mich und hat auch Spaß gemacht. Ich habe immer geglaubt: ,Du kannst es schaffen, du spielst gut, du hast das Potenzial. Es muss nur einmal klick machen.‘ 

Es hätte aber auch schiefgehen können. Hatten Sie einen Plan B? Studieren, eine Business-Idee oder einen geregelten Job? Ich habe mehr oder weniger alles auf eine Karte gesetzt. Ich habe ja kein Abitur, weil ich nach der elften Klasse mit der Schule aufgehört habe, um Tennis zu spielen. Natürlich kommen immer wieder Zweifel. Es gab einmal ein halbes Jahr, in dem ich nicht mehr so viel Lust hatte und das Abitur nachholen wollte. Dann habe ich aber schnell gemerkt: ,Du spielst jetzt so lange, deine Eltern haben so viel Energie und auch Geld in dich investiert, du musst jetzt wirklich daran ziehen, zumal du das echt gut kannst.‘ Zum Glück habe ich die Lust wiedergefunden. Das war die richtige Entscheidung. Einen Plan B gab es eigentlich nie.

Welche Rolle hat in Ihrer Karriere Ihr Heimatklub Rot-Weiß Köln gespielt, für den Sie acht Jahre lang in der Bundesliga gespielt haben? Rot-Weiss Köln hat definitiv eine große Rolle gespielt. Der Verein hat mich immer sehr gut unterstützt. Auch spielerisch konnte ich mich weiterentwickeln durch den Verein und Trainer Ralph Grambow, der mich zu den ersten großen Turnieren begleitet hat. Ich hatte dadurch auch die Gelegenheit, erstmals vor großem Publikum zu spielen. Der Verein hat mir sehr geholfen.

Was ist im Jahr 2021 passiert, dass Sie mit ihren großen Spielen gegen Alexander Zverev, Andy Murray und dem Achtelfinaleinzug bei den US Open im relativ hohen Profi-Alter von 28 Jahren den nächsten Schritt tun konnten? Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, dass das Match gegen Zverev extrem geholfen hat. Ich habe zwar in der ersten Runde bei den French Open im fünften Satz verloren, aber ich hatte einen der besten Spieler der Welt am Rand der Niederlage. Das hat meinem Selbstbewusstsein einen großen Schub gegeben.

Sie sind einer der letzten Vertreter des klassischen Offensivspiels. Offenbar haben Sie sich hier grundlegend verbessert. Wir haben viel im körperlichen Bereich gearbeitet, weil das in den letzten Jahren eine große Baustelle war. Ich wurde oft von Verletzungen zurückgeworfen. Das haben wir mit meinem neuen Fitness-Trainer Fabio Ferrauti super in den Griff bekommen. Er ist auch einer meiner besten Freunde. Wir machen ziemlich viel Krafttraining, auch wenn man es nicht auf den ersten Blick sieht. Die dünnen Beine habe ich von meiner Mutter, da ist es schwierig, etwas dran zu bekommen. Bei der Muskulatur kommt es jedoch nicht darauf an, wie dick ein Muskel ist. Sie muss nur gut funktionieren.

Wie haben Sie sich als Neuling, der nicht in Monaco lebt, keine großen Sponsoren hat und nicht für Luxus steht, selbst wahrgenommen in der Glitzerwelt? Ich versuche, authentisch zu bleiben, Ich zu bleiben. Ich versuche, mich nicht zu verstellen und nicht auf cool zu machen. Ob ich vor keinem Publikum spiele oder in einer Riesen-Arena, macht für mich eigentlich keinen Unterschied. So bin ich einfach. Und das ist auch ganz gut rübergekommen.

Was sind Ihre Ziele für 2022? Nach den Australian Open will ich erst einmal gesund bleiben und mich auf der ATP-Tour festspielen. Ich weiß, dass ich ein guter Tennisspieler bin, sehr variabel, ein bisschen unorthodox und unberechenbar. Aber es gehört viel mehr dazu, als nur ein guter Tennisspieler zu sein. Man muss Woche für Wochen dranbleiben, konstant sein. Das hat 2021 viel besser geklappt als zuvor. Ich bin ruhiger geworden, entspannter auf dem Platz. Wenn das so weitergeht, denke ich, dass es noch einen Schritt weiter nach oben gehen kann. Wie weit, das weiß man erst hinterher. Ich setze mich da nicht unter Druck.

Welche Beziehung haben Sie zur Ihrer Heimatstadt Köln? Sehr innig. Ich liebe die Stadt sehr. Ich freue mich immer, da zu sein. Über Fußball müssen wir nicht reden. Natürlich bin ich FC-Fan. Es ist einfach schwierig zu erklären, wie es ist. Man weiß das eigentlich nur, wenn man selbst aus Köln kommt.

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