Sportprofessorin im Interview„Sportlerinnen sind eigentlich immer noch unsichtbar “

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Megan Rapinoe

Megan Rapinoe aus den USA bejubelt ein Tor.

  • Ilse Hartmann-News ist seit 2014 Professorin an der Deutschen Sporthochschule Köln.
  • Vor kurzem veröffentlichte sie eine Studie, die untersucht, wie Sportlerinnen und Sportler in den Medien bildlich dargestellt werden.
  • Ihr Ergebnis: „Es gibt eine Hierarchisierung in der Sportberichterstattung.“ Dabei müsste das gar nicht sein.

Frau Hartmann-Tews, ich habe gerade erst dank der Dokumentation „Das Wunder von Taipeh“ von den Fußballerinnen aus Bergisch Gladbach erfahren, die 1981 einen Weltmeister-Titel holten. Das war mir bis dato völlig unbekannt. Wussten Sie davon?

Ilse Hartmann-News: Ich wusste das auch nicht. Das hat mich völlig überrascht, passt aber zu unseren Forschungsergebnissen.

Sie beobachten seit 20 Jahren die Sportberichterstattung in der Presse während des Jahres und während der Olympischen Spiele – und haben herausgefunden, dass Sportlerinnen quasi unsichtbar sind. Was heißt das?

Wir haben verschiedene Untersuchungen zum Thema mediale Repräsentation von Sportlern und Sportlerinnen vorgenommen und gesehen, dass sich der Anteil der Berichterstattung über Sportlerinnen auf unter zehn Prozent beläuft. Das Erschütternde daran ist, dass sich dies seit den 1990er Jahren nicht wesentlich geändert hat. Sportlerinnen sind eigentlich immer noch, ja, unsichtbar.

Hat sich das selbst mit der Digitalisierung nicht geändert?

Es gibt Untersuchungen, die auch bei der Berichterstattung in den Online-Medien ein ähnliches Verhältnis zeigen. Ebenso im Fernsehen. Nur in der Berichterstattung während Olympischer Spiele sind Frauen ähnlich oft vertreten wie Männer.

Sie haben nicht nur quantitative Untersuchungen gemacht, sondern auch analysiert, auf welche Weise Sportlerinnen dargestellt werden. Was war besonders auffällig?

Wir wollten herausfinden, wie Sportlerinnen und Sportler im Bild dargestellt werden. Männer werden auf Fotos überproportional oft in sportlicher Aktion gezeigt, also in direkter Verbindung mit dem, was im Sport eigentlich am spannendsten ist: der Leistung. Frauen werden eher am Rande des Sportes oder ganz woanders gezeigt, zum Beispiel im privaten Umfeld. Es gibt eine Hierarchisierung in der Sportberichterstattung.

Sie glauben, dass aufgrund dieser ungleichen Berichterstattung immer noch deutlich mehr Jungen als Mädchen Sport treiben?

Das können wir natürlich nicht direkt belegen. Aber es liegt ja auf der Hand. Wenn Kinder und Jugendliche immer nur Sportler sehen, dann ist es für Jungen einfacher, sich mit Sportlern zu identifizieren. Den Mädchen fehlen Vorbilder und damit das Bewusstsein, sich als leistungsstarke Sportlerinnen zu entwerfen. Durchsetzungsfähigkeit und körperliche Stärke sind immer noch männertypische Attribute.

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Dazu passt das Ergebnis einer aktuellen Studie aus unserem Institut, in der Kinder und Jugendliche nach ihren Vorbildern und Idolen gefragt wurden. An erster Stelle für Jungen stehen mit großem Abstand zu allen anderen Vorbildern Sportler. Mädchen finden ihre Vorbilder eher in den Eltern. Oder es sind Sänger und Models. Sportlerinnen tauchen da nur selten auf.

Dabei ist der Anteil professioneller Sportlerinnen doch enorm gestiegen.

Der Kulturwandel dauert einfach lange – wenn man bedenkt, dass Skispringen für Frauen erst seit vier Jahren olympisch ist oder Boxen erst seit acht Jahren. Dazu kommt, dass auch Verbände und Manager Unterschiede in der Präsentation ihrer Athletinnen und Athleten machen. Es herrscht nach wie vor die Vorstellung, dass sich der schöne Körper und das geschminkte Gesicht von Sportlerinnen einfach besser vermarkten lassen als ihre Leistung.

Und das stimmt nicht?

Natürlich sind schöne Menschen interessant, Männer wie Frauen. Dass man glaubt, die Weiblichkeit betonen zu müssen, ist im Rahmen der Ökonomisierung des Sports auch am Ende irgendwie nachvollziehbar. Viele trainieren unendlich viel, können aber von ihrem Sport nicht leben.

Zur Person

Ilse Hartmann-News ist seit 2014 Professorin für Soziologie und Sportsoziologie an der Deutschen Sporthochschule Köln und Leiterin des Instituts für Soziologie und Genderforschung.

Da ist es völlig legitim, die Aufmerksamkeit der Medien mit anderen Themen jenseits des Sports zu suchen. Die Medien nehmen das natürlich immer dankend an, was aber eben zeigt, dass die Berichterstattung auch vom Input des Sportsystems beeinflusst wird.

Sie haben sich am Anfang Ihrer Forschungsarbeit auch mit Journalisten ausgetauscht. Wie haben diese damals auf Ihr Forschungsanliegen reagiert?

Das sind Studien Anfang der 2000er Jahre. Damals haben sich Journalisten zum Teil sehr abwertend über Frauen im Sport geäußert. Sie rekurrierten häufig darauf, dass die Leute eh nur Fußball sehen wollen. Man hat mit dem vermeintlichen Interesse der – vor allem männlichen – Zuschauer argumentiert, ohne zu berücksichtigen, dass das Angebot auch die Nachfrage steuern kann.

Auch allein mit dem Fokus auf die sportliche Leistung ?

Ja, natürlich. Es gibt dazu eine interessante amerikanische Studie, in der Probanden und Probandinnen verschiedene Arten von Darstellungen im Sport präsentiert wurden: sportlich oder sexy. Die Testpersonen fanden die Darstellung der reinen Leistung tendenziell attraktiver.

Könnte die permanente ungleiche Präsentation nicht auch damit zusammenhängen, dass Sportredaktionen immer noch vor allem mit Männern besetzt sind? Zumindest in den Zeitungen.

Ja, das ist vermutlich so. Journalistinnen nähern sich mit einem anderen Blick und einem anderen Ton der Sportberichterstattung. Aber für grundlegende Änderungen im redaktionellen Blick reichen nicht einige wenige Frauen, die ausnahmsweise in der Redaktion arbeiten, aus, da sie sich in das dominante Gesamt einfügen müssen. Dafür bräuchte es meiner Meinung nach viel mehr Journalistinnen.

Die Digitalisierung hat Plattformen geschaffen, die Sportlerinnen und Sportarten jenseits des Fußballs zumindest leichter auffindbar machen. Wird das etwas in der Darstellung und Wahrnehmung von Sportlerinnen ändern?

Vielleicht bei denen, die sich sowieso schon für Sport interessieren. Man lebt schon in seiner eigenen Blase. Ich bin überzeugt, dass die klassischen Nachrichtendienste und deren Reichweite wichtig sind, um in der breiten Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit für Sportlerinnen zu wecken.

Wie lautet Ihr Appell?

Ich hoffe, dass wir beispielsweise an der Sporthochschule Köln angehende Sportjournalistinnen und -journalisten für dieses Thema sensibilisieren können. Außerdem geht unser Appell an die Sportverbände, die ihre Athleten und Athletinnen in der Kommunikation gleichermaßen attraktiv beschreiben sollten sowie auch an die Redaktionen, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Sport und Sportberichterstattung sind immer noch eine Männerdomäne.

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