Tour de FranceMathieu van der Poel gelingt das, was seinem Opa nie vergönnt war

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Mathieu van der Poel in Gelb

Wenn schon, denn schon: Bei Mathieu van der Poel ist nicht nur das Trikot gelb.

Köln/Lorient – Am Tag nach seiner großen Eroberung ist Mathieu van der Poel im Gelb-Rausch. An der Startlinie in Lorient steht er am Montag mit einem gelbem Rennrad, gelbe Streifen zieren die schwarze Hose, am Helm sind gelbe Ornamente angebracht, die Sonnenbrille ist gelb umrandet und auf seinen Schultern thront im schönsten Gelb der Farbenlehre der Schatz der Tour de France, das Gelbe Trikot. Für den hochbegabten Niederländer mit den faszinierendsten Radsport-Genen der Gegenwart ist diese Ehre die Vollendung einer familieninternen Mission. Denn 45 Jahre nach dem letzten Auftritt seines in Frankreich ikonisch verehrten Großvaters Raymond Poulidor bei der Tour de France löst nun dessen Enkel Mathieu van der Poel (26) nach seinem Etappensieg vom Sonntag auf der Mûr de Bretagne das Versprechen ein, das „Poupou“ nie halten konnte.

Frankreich liebt den Großvater

14 Mal startete Poulidor bei der Frankreich-Rundfahrt, acht Mal schaffte er es dabei am Ende in Paris aufs Podium – Tour-Rekord. Doch die Hoffnungen seiner Landsleute erfüllte der gutmütige und geliebte Poulidor nicht – er konnte die Frankreich-Rundfahrt trotz insgesamt sieben Etappenerfolgen nie gewinnen, oft genug zurückgeworfen von fürchterlichem Pech, was ihn nur noch beliebter machte in Frankreich. Und: Poulidor trug keinen Tag das Gelbe Trikot.

Als er im November 2019 im Alter von 83 Jahren starb, wusste er schon, dass oben im Norden der Sohn seiner Tochter Corinne zu den fabelhaftesten Radprofis der Gegenwart zählt, weil er alles kann: sprinten, kurze, knackige Anstiege hinauffliegen und lange Soloausflüge erfolgreich beenden.

Weltmeister im Matsch, Europameister auf dem Mountainbike, Olympia vor Augen

Zudem ist er der vielseitigste Radprofi des Pelotons: vier Mal war van der Poel Weltmeister im Cyclo-Cross, einer besonders anstrengenden Herausforderung: Fahren durch Matsch und über Stock und Stein. Außerdem ist van der Poel Mountain-Bike-Europameister, eine Disziplin, in der er bei den Olympischen Spielen in Tokio die Goldmedaille anstrebt. Und am Sonntag gewann er in seinem dritten Job als Profi mit einem Rennrad für die Straße die zweite Etappe der Tour de France auf der Mûr de Bretagne. Und zwar im van-der-Poel-Stil: Attacke im Berg, langgezogener Sprint ohne Angst vor dem Kollaps.

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Doch nicht nur der Opa war ein herausragender Radprofi, sondern auch Mathieus Vater Adrie van der Poel aus den Niederlanden, der neben einem Cross-Weltmeister-Titel unter anderem die Flandern-Rundfahrt, Lüttich-Bastogne-Lüttich, das Amstel-Gold-Race und zwei Etappen der Tour gewann. An Tag vier der Frankreich-Rundfahrt des Jahres 1984 trug Adrie van der Poel sogar einmal das Gelbe Trikot. Der Sohn ist längst auf den Spuren des Vaters: Siege bei der Flandern-Rundfahrt (2020) und beim Amstel-Gold-Race (2019), nun der große Auftritt bei der Tour. Hinzu kommt: Zusammen mit dem Franzosen Julian Alaphilippe und dem Belgier Wout van Aert, beides ehemalige Crosser, animiert van der Poel die Rennen der Jetzt-Zeit, die durch die Attacken und den Punch des Trios an Charakter gewinnen und die Zuschauer faszinieren.

Von Emotionen übermannt

„Ich bin sprachlos. Man kann davon träumen, aber wenn es wahr wird, ist es unglaublich. Die Emotionen kamen, als sie mir sagten, dass ich das Gelbe Trikot habe“, sagte Mathieu van der Poel vor der Siegerehrung am Sonntag und begann zu weinen. Bis zum Zeitfahren am Mittwoch zwischen Chanté und Laval (27 Kilometer) könnte van der Poel in Gelb fahren, für den Tour-Gesamtsieg kommt er einstweilen nicht in Frage. Dafür müsste er viel von seinen aktuellen Fähigkeiten opfern.

Seinem Vater jedenfalls kann Mathieu van der Poel nun auch seinen eigenen gelben Hauptgewinn präsentieren. Dem Opa nicht mehr, was den Enkel sehr traurig stimmt. Doch in der Sekunde des Sieges dachte Mathieu van der Poel vor allem an Raymond Poulidor: Er grüßte mit dem ausgestreckten rechten Zeigefinger in den Himmel.

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