Tiere zu treiben war strengstens untersagt

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Die Autobahn in den 1960er Jahren

Die Autobahn in den 1960er Jahren

Köln / Bonn - Wie sehr die große neue Straße die Gewohnheiten des mobilen Menschen veränderte, zeigt die Polizeiverordnung vom 2. August 1932. Nicht nur das Halten, Parken oder Wenden war tabu, auch das „Treiben und Führen von Tieren“ war strengstens untersagt. Dafür durfte der Kraftwagenbesitzer ordentlich Gas geben: Die Fahrbahn war auf 120 Stundenkilometer ausgelegt. Dumm nur, dass die damaligen Autos im Schnitt nur 60 Sachen schafften.

Wenige Tage nach Veröffentlichung der Benutzungsregeln durften die ersten Automobilisten ihre eigenen Erfahrungen mit der „Kraftwagenstraße“ von Köln nach Bonn machen. Was Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer am 6. August 1932, also vor 75 Jahren, eröffnete, war nicht weniger als die erste Autobahn Deutschlands. Adenauer war sich durchaus bewusst, dass das insgesamt elf Millionen Reichsmark teure Großprojekt ein neues Kapitel in der Geschichte des Individualverkehrs eröffnete: „So werden die Straßen der Zukunft aussehen“, verkündete der Oberbürgermeister feierlich. Und behielt recht.

20 Kilometer lang, hielt die neuartige „Nur-Autostraße“ für jede Fahrtrichtung zwei eigene Spuren bereit und ermöglichte dem Benutzer kreuzungsfreies Vorankommen ohne Halten. Die Konzeption ähnelte bereits stark heutigen Autobahnen, selbst an Standstreifen und Leitplanken hatte man gedacht. Eine Mittelleitplanke fehlte allerdings: Zunächst wurden die Fahrbahnen von einem 30 Zentimeter breiten, farblich gekennzeichneten Streifen getrennt.

Am Wochenende nach der offiziellen Eröffnung nahmen 2000 Autofahrer das zwölf Meter breite Verkehrsband unter die Räder - der ADAC hatte eine internationale „Strahlenfahrt“ mit Ziel am Kölner Verteilerkreis organisiert. Wer mitfahren wollte, musste einen Obolus von fünf Reichsmark entrichten. Der normale Verkehr war erst ab 8. August 1932 zugelassen.

Noch heute hält sich die Mär, die Nationalsozialisten hätten die Autobahn erfunden. Dabei wurde die erste reine Autostraße bereits 1921 fertiggestellt: Die privat finanzierte „Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße“ (Avus) in Berlin war allerdings mit 9,8 Kilometern so kurz, dass sie kaum als Autobahn gelten kann. Außerdem diente sie vor allem als Renn- und Übungsstrecke. Die Nazis verstanden es allerdings wirkungsvoll, sich die neue Schnellstraße zu eigen zu machen. Die Propaganda funktionierte die „Straßen des Führers“ als von „Adolf Hitler erdacht, entworfen und gestaltet“ um. Der Autobahnbau zählte fortan zu den Prestigeprojekten. 1942 waren bereits 3860 Autobahnkilometer in Betrieb.

Die Kraftwagenstraße zwischen Köln und Bonn, die erst Ende der 50er Jahre zur Bundesautobahn 555 ernannt wurde, sollte nicht nur das überfüllte Provinzialstraßennetz zwischen Köln und Bonn entlasten und für geringere Unfallzahlen sorgen. Sie war in den krisengeschüttelten 20er Jahren in erster Linie Wirtschaftsmotor. Der Provinziallandtag stimmte dem Bau deshalb nur unter der Voraussetzung zu, dass die Arbeit als Notstandsarbeit anerkannt und die Reichsregierung der „wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge“ einen Zuschuss zur Verfügung stellt. Im Bauzeitraum von 1929 bis 1932 vermittelten die Arbeitsämter Bonn, Köln, Siegburg und Horrem insgesamt 5540 „Notstandsarbeiter“. Sie in Lohn und Brot zu bringen war wichtiger als Effektivität und Schnelligkeit: Der Einsatz von Baggern und Förderbändern war bei der Ausschreibung untersagt. Ein Großteil der insgesamt 700 000 Kubikmeter Bodenmasse wurde per Hand gelöst, mit Loren und Lokomotiven antransportiert und dann wieder eingebaut. Auch die Nazis nutzten den Autobahnbau, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Wirkung auf den Arbeitsmarkt wurde allerdings überschätzt. Die „Reichsautobahnen“ beschäftigten selbst auf dem Höhepunkt der Bautätigkeit nicht mehr als 125 000 Arbeiter.

Als Adenauer am 6. August 1932 das wegweisende Verkehrsband für eröffnet erklärt hatte, hoffte er, „dass die nunmehr erzielte Zeitverkürzung und Fahrbequemlichkeit dem Rhein und den Schönheiten seiner Landschaft neue Freunde aus dem In- und Ausland zuführen möge“. Die Freunde kamen reichlich: Wurden im ersten Jahr nach der Eröffnung noch rund 4000 Autos am Tag gezählt, sind es heute bis zu 103 000 Fahrzeuge.

Mitte der 60er Jahre wurde die A 555 auf insgesamt sechs Spuren erweitert und entpuppte sich als beliebter Tummelplatz für Geschwindigkeits-Enthusiasten aus nah und fern. „Die A 555 war dafür bekannt, dass man die Autos ausfahren konnte“, sagt Frank Laufenberg, Leiter der Bonner Autobahnmeisterei. Nicht nur der großzügige Ausbau, auch der relativ geringe Lkw-Verkehr hätten lange Zeit zum Rasen eingeladen. Auch Regierungsbeamte aus Köln schätzten es, frei von Tempolimits zur Arbeit in die damalige Bundeshauptstadt Bonn zu gelangen. Schnell hatte die A 555 den Spitznamen „Diplomatenrennbahn“ weg. Seit einigen Jahren allerdings ist es vorbei mit dem grenzenlosen Fahrvergnügen: Aus Lärmschutzgründen wurde bei Wesseling ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern eingeführt. Laufenberg: „Jetzt ist die A 555 dafür bekannt, dass die Führerscheine eingezogen werden.“

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