Triumph des Unerwünschten

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Paolo Bettini ist wieder Weltmeister

Paolo Bettini ist wieder Weltmeister

Stuttgart - Die Wut diktiert gleich hinter der Ziellinie die Gesten des Weltmeisters. Paolo Bettini formt seine Arme zu einem Gewehr, mit dem er dreimal imaginär in die Luft ballert. Der pantomimische Anschlag des Radprofis gilt der Stadt Stuttgart im Allgemeinen und ihrem Organisationskomitee (OK) im Besonderen. Das leitet die Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann, die vor dieser Straßen-WM mit allen Mitteln einen Start des Titelverteidigers im Profi-Rennen am Sonntag verhindern wollte, was ihr ganz offensichtlich misslungen ist. Den Höhepunkt der Stuttgarter WM-Woche gewinnt mit Bettini also eine erklärte Unperson. Platz zwei geht an den Russen Alexander Kolobnew, Dritter wird 20 Kilometer von seiner Wohnung in Nürtingen entfernt der Schwabe Stefan Schumacher (26).

Der Hahnenkampf der Funktionäre eskalierte am Donnerstag, als Eisenmann mit einer einstweiligen Verfügung Bettinis WM-Stopp erstreiten wollte. Der italienische Olympiasieger und Titelverteidiger hatte die Ehrenerklärung des Weltverbandes UCI nur in einer abgeänderten Form unterschrieben. Ausgespart hatte er den Passus, wonach er im Falle eines positiven Doping-Tests sein Jahresgehalt an die UCI überweisen sollte. Das Stuttgarter Landgericht entschied pro Bettini, Begründung: Die Ehrenerklärung sei nicht rechtsverbindlich.

Stuttgart will nicht zahlen

Eine Stunde nach dem Rennen erzählt Bettini (33) dann von seinem erfolgreichen Tag, zunächst sagt er: „Ich bin immer noch wütend.“ Die Gewehr-Szene habe „niemandem Speziellen“ gegolten, „das war eine instinktive Sache. Aber es haben so viele Menschen in dieser Woche auf mich geschossen, da habe ich jetzt eben zurückgeschossen“. Bettini wird jedoch weitaus mehr vorgeworfen als die fehlende Unterschrift unter ein wertloses Original-Papier. Der des Dopings überführte Hesse Patrik Sinkewitz bezeichnet seinen einstigen Team-Kollegen Bettini als Dealer für seine Substanzen. Die UCI reagierte darauf nicht.

Die Sinkewitz-Anklage empfindet Bettini „als Kampagne gegen mich. Da ist nichts dran“. Weil seine Version wiederum „die Wahrheit“ sein soll, kündigte Bettinis Anwalt nun eine Verleumdungsklage gegen die Stuttgarter WM-Organisatoren und das ZDF an, das die Sinkewitz-Vorwürfe veröffentlicht hatte.

Die Bettini-Debatte war Teil einer misslungenen WM, die als „Neuanfang des Radsports“ geplant war. Dazu ist es nicht gekommen, die Titelkämpfe wurden von Auseinandersetzungen der Funktionäre überlagert. Die Streitereien setzten sich auch am Wochenende fort, als Eisenmann ankündigte, die vertraglich vereinbarten Zahlungen in Höhe von 600 000 Euro an die UCI und von 75 000 Euro an den Bund Deutscher Radfahrer zurückzuhalten. Die Begründung formulierte Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der auch zum OK gehört: „Wir geben keine Steuergelder an Verbände, die Doping nicht konsequent bekämpfen.“

Damit meinte er nicht nur die Starterlaubnis für Bettini, sondern auch diejenige, die sich der potenzielle Fuentes-Kunden Alejandro Valverde aus Spanien gerichtlich erstritten hatte; zudem passte den Organisatoren die Teilnahme des geständigen deutschen Dopers Erik Zabel, gestern 18., nicht. UCI-Chef Pat McQuaid sagte nun in Richtung Schuster und Eisenmann: „Nach der WM werden wir die nötigen Schritte einleiten.“ Das will auch Stuttgart. Den Verlust von bis zu einer Million Euro will sie ihrerseits mit einer Schadensersatzklage wegen Imageverlusts gegen die UCI kontern.

Rundkurs überfüllt mit Zuschauern

Vor dem Hintergrund dieser Saalschlacht überrascht die Reaktion des Volkes. Der 19 Kilometer lange Rundkurs in Stuttgart-Killesberg war überfüllt mit Menschen, die ein spannendes Rennen sahen. Kurz vor der ansteigenden Zielgeraden setzten sich im Finale aus einer Ausreißergruppe fünf Fahrer, darunter Schumacher, ab. „Ich habe alles versucht, im Sprint waren meine Beine leer.“ Zwei Monate hat er sich auf dieses Rennen vorbereitet, sein Ziel war „der Sieg, ganz klar.“ Dass es Rang drei wurde, „ist keine Enttäuschung“ für den Gerolsteiner-Profi. Nach 267 Kilometern sei Bettini einfach „der Stärkste gewesen. Und ich habe eine Medaille“.

20 Minuten nach dem Rennen kam es schließlich zu dem Finale Bettini gegen Stuttgart. Bei der Siegerehrung überreichte Schuster den Blumenstrauß an den Gewinner. Der quetschte sich ein kühles „Grazie“ ab. Beide Parteien sehen sich wohl bald wieder. Vor Gericht.

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