UnbewohnbarHaus von Insektengift verseucht

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Die Ammans können nicht mehr in ihrem Haus wohnen. (Bild: Meisen)

Die Ammans können nicht mehr in ihrem Haus wohnen. (Bild: Meisen)

Kerpen-Balkhausen – „Unsere Kleine leidet am meisten. Sie fragt immer: Mama, wann können wir in unser Haus zurück, wann krieg ich mein Spielzeug wieder?“ – Für die Familie Ammann aus Balkhausen ist ein Alptraum wahr geworden. Bislang lebte sie mit der Großtante von Brigitte Ammann (38) in deren Haus, das sie später auch einmal ganz übernehmen sollte. Nun hat sich herausgestellt, dass die 85-jährige Tante anscheinend unter einer krankhaften Ungezieferphobie litt. Über Jahre hinweg hat sie ihre Wohnung wohl mit dem Insektenmittel „Paral“eingesprüht, das 2007 in „Raid“ umbenannt wurde.

Dabei ist nicht nur ihre eigene Wohnung und der dort befindliche Hausrat verseucht worden. So wurde im Hausstaub das 2400-fache des zulässigen Grenzwertes gemessen. Auch in der darüberliegenden Wohnung der Ammans werden die Grenzwerte noch um das 140-fache überschritten. Wohnen dort ist so möglicherweise lebensgefährlich geworden.

Bei Brigitte Ammann wurde das 34-fache des laut Fachleuten akzeptablen Grenzwertes von Pyrethroid-Metablit, einem Abbaustoff des in dem Insektenschutzmittel enthaltenen Nervengiftes Permethrin im Urin gemessen. Auch die Kinder (1 und 6) sowie ihr Ehemann Kai (36) sind um ein Vielfaches des Grenzwertes belastet. „Unser Arzt hat uns deshalb gesagt, dass wir die Wohnung nicht mehr betreten dürfen.“ Seitdem lebt die vierköpfige Familie in der Garage bei der Mutter in Türnich.

Wie es weitergeht, ist offen: Die Großtante, bei der schon Hautkrankheiten aufgetreten sind, befindet sich im Moment „mit großen Schuldgefühlen“ im Krankenhaus. Ihre Wohnung im Erdgeschoss haben die Ammanns schon komplett ausgeräumt, die Tapeten abgerissen, Teppiche entsorgt. Im Garten stapelt sich der Hausrat in Plastiksäcken verpackt, trotzdem riecht es selbst draußen noch intensiv nach Insektenmittel. Was sie mit ihrer eigenen Wohnung machen sollen, wissen sie noch nicht.

Giftnot-Zentrale Bonn, Umwelt-Ambulanz Aachen, Gesundheitsamt des Kreises – zahlreiche offizielle Stellen haben die Ammanns schon kontaktiert, um Hilfe und Informationen zu bekommen. „Unisono“ habe es geheißen, die Halbwertzeit von Paral betrage 30 Tage. „Danach soll sich das Gift zersetzt haben.“ Allerdings möglicherweise nur unter Sonnenlichteinfluss. Im aktuellen „Handbuch der Umweltgifte“ , heißt es so auch, dass Insektenvertilgungsmittel auf Pyrethroidbasis „jahrzehntelang auf allen besprühten Gegenständen in geschlossenen Räumen haften“. Putz- und Bauteile seien „irreversibel kontaminiert“.

Sämtliche Kleidungsstücke, Bettwäsche, Vorhänge, Teppiche, Bücher und Zeitschriften müssten vernichtet, glatte Gegenstände mit einem Lipoid-Bindemittel abgespült werden. Und im Internet kursieren noch viel mehr Meinungen zu Permethrin: „Die einen sagen, wir sollen das Haus abreißen lassen, anderen meinen, es reiche, neu zu tapezieren.“ Auch die Herstellerfirma von Paral-Raid, das Unternehmen SC Johnson, ist um Rat gefragt worden. Brigitte Ammann. „Wenn deren Chemiker das Zeug herstellen können, wissen die vielleicht auch, wie man es wieder los wird.“

Doch die Antwort sei wenig weiterführend gewesen: So habe das Unternehmen sie lediglich darauf hingewiesen, dass „unsere Produkte“ alle „mit der gültigen Gefahrstoffkennzeichnung gemäß EU-Verordnung im Verkehr“ sind. Die Familie ist ratlos und fühlt sich von staatlichen Stellen im Stich gelassen. Wirkliches Interesse an ihrem Fall habe außer den Medien bislang nur die „Interessen-Gemeinschaft der Holzschutzmittel-Geschädigten“ geäußert. Immerhin hat nun die Stadt Kerpen, die bislang noch nicht informiert war, angekündigt, beispielsweise bei der Suche nach einer neuen Wohnung helfen zu können. „Das schmeißt man nicht weg“Kai Ammann arbeitet als Offset-Drucker, seine Frau betreut die Kinder. Reichtümer gibt es nicht: „Wir können nicht das ganze Haus abreißen lassen, nur aufgrund von Meinungen.“ Und was ist mit dem Hausrat? „Auf vieles kann verzichtet werden. Aber allein das Kinder-Etagenbett hat 1400 Euro gekostet. Das schmeißt man nicht so einfach weg.“

Das Haus soll gerettet werden. Aber wie viel muss dann investiert werden? Reicht es, die Möbel gut abzuspülen, die Teppiche rauszureißen und neu zu tapezieren? Was ist mit dem schönen Holzfußboden in der ersten Etage? Immerhin soll der Innenputz nicht so stark kontaminiert sein, wie nun neueste Untersuchungsergebnisse zeigen. Er muss nur gesäubert werden. Aber wie?

Bauexperten hätten schon die unterschiedlichsten Ratschläge gegeben. „Wir haben den Tipp bekommen, mit einem Industriefön die Wände abzugehen, da Permethrin sich dann verflüssigt und verdampft“, berichtet Brigitte Ammann. „Auch hat man uns geraten, UV-Lampen in die Räume zu hängen, da UV-Licht Permethrin zerstören soll. Aber ich finde keinen Chemiker, der mir das bestätigt.“

Unerklärlicher Husten

Viele Fragen stellen sich: Übernimmt vielleicht eine Hausratversicherung die Kosten für die Neuanschaffung von Möbeln und Kleidung? Oder zahlt die Haftpflichtversicherung der Tante für die den Ammans entstandenen Schäden. Welche Kosten, etwa die für die Urinuntersuchungen, übernimmt die Krankenversicherung, die zumindest schon mal Entgegenkommen signalisiert hat? Und vor allen Dingen: Wie weit sind schon die Gesundheitsschäden bei einem selbst und bei den Familienangehörigen?

Brigitte Ammann: „Beide Kinder haben nun schon seit Monaten unerklärliches Husten oder Rasseln auf den Bronchien. Auch mein Mann und ich sind seit Monaten krank. Ich höre mich an, als wenn ich einen Raucherhusten habe und mindestens 20 Zigaretten am Tag rauchen würde.“ Doch Fachärzte, die sich mit Permethrin auskennen seien selten. Einen, in Trier, hat die Familie nun im Internet gefunden: „Er hat aber erst im November wieder einen Termin frei.“

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