Von Strickwaren zum Plastikwerk

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Bergneustadt - Die Entwicklung der Stadt Bergneustadt während der letzten 200 Jahre ist eng verbunden mit dem Namen der Industriellenfamilie Krawinkel. 1806 gegründet, blickt das Unternehmen heute mit seinen Gästen auf 200 Jahre Firmengeschichte zurück. Und wo? Natürlich im Krawinkel-Saal und somit an historischer Stelle.

Dass sein Unternehmen einmal in London, Kapstadt und Shanghai Geschäfte machen würde, wird sich Gründer Leopold Krawinkel 1806 vermutlich nicht vorgestellt haben. In seinem strohgedeckten Haus an der heutigen Hauptstraße standen neben dem Wirkstuhl Bett und Wiege.

Mit Männer- und Frauenkamisolen, derben Wollstrümpfen und Zipfelmützen ging der Strumpfwirker Leopold Krawinkel an den Markt. Nach dem Tod des Firmengründers übernahm Sohn Moritz 1842 die Verantwortung. Im Börlhof baute er eine Fabrik, feinere Wirkstühle kaufte er im Hessenland und heuerte dort auch die Wirker an. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ging Moritz Krawinkel mit der jeweiligen Mode und bot beispielsweise Strümpfe aus Baumwollflor an. In den Folgejahren nahm das Unternehmen eine rasante Entwicklung. 1860 wurden ein zweiter Fabrikbau errichtet und neue Rundstühle fürs Wirken angeschafft. Mit Partnern aus Gummersbach baute Moritz Krawinkel 1865 in Vollmerhausen eine Spinnerei.

Wirtschaftlich ging es dem Unternehmer so gut, dass er seine Teilhaber auszahlen konnte. Dadurch machte er den Weg frei für seine Söhne Hermann, Ferdinand und Bernhard, der später als Kommerzienrat weit über die Grenzen des Kreises hinaus bekannt und Gummersbacher Ehrenbürger wurde.

1884 der nächste Meilenstein: An der Leie entstand ein neuer Fabrikbau, der 70 Jahre lang für zahlreiche Bergneustädter Arbeitsplatz war. 1955 wurde das Gebäude ein Raub der Flammen, die Spinnerei in Vollmerhausen brannte gar zwei Mal ab. Doch die Produktionsstätten wurden größer und moderner aufgebaut. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren in Bergneustadt 300 Menschen beschäftigt, weitere 220 in Heimarbeit. In den Folgejahren wurde Krawinkel einer der größten Arbeitgeber der Region mit bis 1600 Beschäftigten.

Nach dem 2. Weltkrieg entstanden Jahr für Jahr zwei Kollektionen modischer Strickkleidung mit mehr als 100 Artikeln pro Saison. Als 1956 24 junge Frauen in London nach dem Titel der Miss World griffen, lief die aus Wipperfürth stammende Siegerin (und spätere TV-Moderatorin) Petra Schürmann mit einem Badekostüm „made in Bergneustadt“ über den Laufsteg.

In der 60er und 70er Jahren tauchten auch bei den Krawinkels dunkle Wolken am Horizont auf. Für „made in Bergneustadt“ wurde der Markt immer kleiner, weil mehr und mehr Billigprodukte aus Fernost gekauft wurden. 1980 wurden die Maschinen für die Herstellung von Strickwaren abgeschaltet. Viele Jahre lag die Fabrik brach, der Krawinkel-Saal wurde noch von einer Tochterfirma genutzt.

1992 gab es dann wieder Hoffnung auf Reaktivierung der Brache. Die Landesentwicklungsgesellschaft kaufte das Areal. Bis 1999 dauerte es, ehe der erste Spatenstich für Um- und Ausbau für das neue Rathaus sowie Geschäfte und Büroräume erfolgte. Im Mai 2005 wurde die Begegnungsstätte Krawinkel-Saal ihrer Bestimmung übergeben.

Bereits 1971 hatten die Krawinkels die Zeichen der Zeit erkannt, und sich in anderen Branchen etabliert. Heute gehören zur Krawinkel Holding die Firma PWM (Plastikwerk Müller) und das Autohaus Ford Weil. PWM ist der Hersteller von 90 Prozent aller in Deutschland aufgestellten elektronischen Preisanzeigen an Tankstellen. Das Unternehmen liefert in alle europäische Länder und in die USA. Juniorchef Max Ferdinand hat in der siebten Krawinkel-Generation im texanischen Houston ein Tochterunternehmen aufgebaut. PWM hat heute 60 Mitarbeiter, die Holding 120.

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