Webstühle ratterten, Hämmer dröhnten

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Der 1999 verstorbene Otto Marx, ein Schlebuscher Urgestein, erinnerte sich in einem Ende der 80er Jahre geführten Gespräch lebhaft der Szenen, die sich nach 1933 mitten im "Dorf" abspielten. Da hissten die Nationalsozialisten hoch oben auf dem Schornstein der Fabrik Kuhlen ihre Hakenkreuzfahne, am anderen Morgen war sie ersetzt durch die rote Fahne der Kommunisten. Das Treiben wiederholte sich mehrfach, aber spätestens nach 1937 war´s damit vorbei. Denn in jenem Jahr wurde der Schornstein abgebrochen, nachdem die Fabrik bereits 1920 stillgelegt worden war. Über hundert Jahre hatte sie an der Haupt-, der heutigen Bergischen Landstraße gestanden und Textilien produziert. Das Textilgewerbe hatte schon Tradition im bergischen Raum von Schlebusch, Lützenkirchen, Burscheid und Leichlingen, als 1806 die "Siamosen-Weberei Heinrich Kuhlen & Söhne" eröffnet wurde. Webstühle befanden sich damals in vielen Haushalten, die sich in Heimarbeit für die großen Verleger einerseits im Raum Elberfeld/Barmen, andererseits in der damals selbständigen und bergischen Stadt Mülheim (heute Kölner Stadtteil) ein Zubrot verdienten zu ihrem karg bemessenen Lebensunterhalt aus der Landwirtschaft - ein typisches Merkmal der Frühindustrialisierung hierzulande. Einer der Hauptarbeitgeber war damals der Mülheimer Textilunternehmer Christoph Andreae (1735 - 1804), für dessen Firma um 1850 in Schlebusch rund 120 Handwebstühle arbeiteten. Aber die erste Textilfabrik war die von Kuhlen & Söhne. "Sie verfertigte", wie Norbert Hölzer (in "Von Schliebeschrod nach Schlebusch" 1991 zum 100-jährigen Bestehen der St.-Andreas-Kirche) geschrieben hat, "gestreifte oder karierte Baumwollgewebe für Schürzen, Hauskleider und Bettzeug. Bis 1880 arbeitete der Betrieb ausschließlich mit Handwebstühlen, später stellte er auf ungefähr 200 mechanische Webstühle um. Hinzu kam eine Buntfärberei und Bleicherei. 1911 beschäftigte das Werk 60 Männer und 83 Frauen". 1920 kam das Aus für den Betrieb, 1937 folgte Schornsteinabriss; geblieben ist das Wohnhaus der Familie Kuhlen; als Haus Nummer 68 an der Bergischen Landstraße steht es heute unter Denkmalschutz. An das in seiner Glanzzeit mit 750 Beschäftigten größte Schlebuscher Unternehmen erinnert heute nichts mehr; es sei denn, man wertet den am Schloss in Richtung Morsbroicher Straße vorbeiführenden Auerweg als solch ein Souvenir. Denn im Volksmund ging der für das Gelände nördlich der Dhünn verwandte Name "die Aue" über auf die Fabrik, die 1872 dort errichtet wurde, wo jetzt zwischen Gezelinallee, Morsbroicher-, Felix-von-Roll- und Waibelstraße die in den 90er Jahren von der Baywoge errichteten Wohnhäuser stehen - auf dem früheren Etag-Gelände. Die Fabrikgründer kamen aus dem Textilzentrum Elberfeld. Rudolf Schlieper und Rudolf Engländer eröffneten dort in Schlebusch einen Zweigbetrieb ihres Elberfelder Werks mit zunächst 100 Webstühlen. Die Standortwahl war auch dadurch beeinflusst, dass im Schlebuscher Raum bereits Facharbeiter, sprich Weber, vorhanden waren. 1911, als die Firma in eine GmbH umgewandelt wurde, beschäftigte sie bereits - so Norbert Hölzer - 175 Männer und 190 Frauen. Zehn Jahre später trat die Elberfelder Familie Frowein, die in Leichlingen (Simons & Frowein) bereits eine führende Rolle spielte, ins Unternehmens ein, das sich dann zunächst Schlieper & Frowein nannte, sich aber schon 1922 mitsamt dem Elberfelder Werk zu einer AG formierte und seither unter "Elberfelder Textilwerke Aktiengesellschaft" - kurz Etag - firmierte. Das Werk expandierte, Neubauten wurden erstellt, und 1955 wurden der Elberfelder Betrieb und die Verwaltung nach Schlebusch verlegt. "Damit stieg die Zahl der Beschäftigten auf 750", hat Walter Dietz in "Leverkusen - Geschichte und Gegenwart", 1958 festgestellt. Die Produktionsskala umfasste in erster Linie Stoffe für Damen- und Herrenoberbekleidung. Durch das Vordringen von Kunstfasern in der Textilherstellung geriet die ganze Branche in eine Krise. Dtag legte 1971 den Betrieb still. Und ab 1990 wurden die ehemaligen Fabrikgebäude abgerissen, die ersten 81 Eigentumswohnungen dort im Herbst 1995 bezogen. Über die von-Diergardt-Straße und den Hammerweg ist´s von dort praktisch nur ein Katzensprung bis zum Sensenhammer im Freudenthal. Längst hat sich das Fabrikgebäude, in dem bis 1987 Sensen und Sicheln geschmiedet wurden, seinen festen Platz im Leverkusener Veranstaltungskalender gesichert. Ein rühriger Förderverein hat die Anlage zum Industriemuseum gestaltet. Die Jahreszahl 1837 über dem Eingang weist die ehemalige Fabrik als ältestes Industriegebäude und -denkmal in der Stadt aus. Aber schon 1779 stand dort an der Dhünn ein Rohstahlhammer, der 1917 in den Besitz des Sensenfabrikanten Johann Caspar Lange aus Haspe (Hagen) kam. Von dort stammten auch Vater und Sohn Kuhlmann, die 1837 neue Eigentümer wurden. Der Betrieb florierte unter dem Firmennamen "H.P. Kuhlmann". Als um 1900 Wasserräder durch Turbinen zum Antrieb der Transmissionsriemen ersetzt wurden, konnte die Sensen- und Sichelproduktion erheblich gesteigert werden. 1914 hatte das Unternehmen knapp 80 Mitarbeiter, die Jahresproduktion erreichte 200 000 Stück. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm Hans Schäperclaus, ein Kuhlmann-Schwiegersohn die Firmenleitung, und dessen Sohn Horst Schäperclaus führte bis 1987 die Familientradition fort.

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