„Segeln für Behinderte“Hohes Engagement, zuviel Bürokratie

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Sachkundige Mitglieder des Vereins betreuen die Kinder ehrenamtlich und gehen mit an Bord. (Bild: privat)

Sachkundige Mitglieder des Vereins betreuen die Kinder ehrenamtlich und gehen mit an Bord. (Bild: privat)

Köln – Der 1. Mai bedeutet für die meisten Segler: Leinen los und ansegeln. Der erste Törn zum Saisonanfang verspricht frische Luft um die Nase und das Gefühl von Freiheit. Für den Verein „Segeln für Behinderte“ (SFBEH) verspricht der Stichtag jedoch in diesem Jahr allenfalls einen Notbetrieb. Statt sich ausschließlich ihren eigentlichen ehrenamtlichen Aufgaben zu widmen, beschäftigen sich die Wassersportler des gemeinnützigen integrativen Vereins derzeit mehr mit Bauanträgen, Kostenvoranschlägen und Fristen von Förderanträgen – unfreiwillig.

Der Grund: Die Stadt Zülpich ist Gastgeber der Landesgartenschau 2014. Dort, wo die Segler mit und ohne Behinderung bislang barrierefrei in die Boote können, soll die Seepromenade entstehen – mit Seebühne und Schwimmbad. Der Verein muss weichen und steht nun vor einem Bauprojekt, das die Laien in diesem Ausmaß eiskalt überrascht hat. „Da sind Dinge auf uns zugekommen, die wir vorher nie bedenken konnten“, so der Vorsitzende Helmut Gröger – finanziell, aber auch bürokratisch.

Kosten für Rodungen, Erdarbeiten, Holzplattform, Wasser- und Stromarbeiten, neue Wege und einen behindertengerechten Sanitärcontainer belaufen sich auf etwas mehr als 67 000 Euro. Die Unsicherheit, die damit verbunden ist, macht den Laien am meisten zu schaffen. Gröger: „Wir können überhaupt nichts kalkulieren.“Das Sportamt der Stadt Köln will sich eventuell beteiligen, so Gröger, benötige für die Prüfung aber nicht weniger als drei Kostenvoranschläge. Die Stadt Zülpich kann sich aufgrund ihres Nothaushalts mit nicht mehr als 7500 Euro beteiligen.

Andere Zuschüsse für einen einzelnen Verein wie den Kölner seien mit den Förderrichtlinien des Landes für die Gartenschau unvereinbar. Millionen würden damit laut Laga-Geschäftsführer Christoph Hartmann aufs Spiel gesetzt. Der Verein selbst hatte nur 2500 Euro auf der „hohen Kante“. Und auch nach Monaten der Sponsorensuche fehlen ihm immer noch 33 000.

Der Kölner Verein hat seit seiner Gründung 1984 sein Segelrevier an dem Wassersportsee und zählt 180 Mitglieder, jedes dritte ist behindert. Für viele Schulen mit behinderten Kindern wie die Anna-Freud-Schule am Alten Militärring in Köln-Müngersdorf ist er unverzichtbarer Partner.

Die Vereinsmitglieder holen pro Jahr mehr als 200 Schülerund 60 eigene Kinder und Jugendliche mit Behinderung aus ihren Reihen mit ins Boot. Sie sind körperlich behindert, chronisch, psychisch oder emotional erkrankt. Nur so können sie das Sportangebot nutzen, das für nichtbehinderte Menschen selbstverständlich ist. „Das ist aufgrund mangelnder Infrastruktur woanders immer noch häufig nicht möglich“, so Schulleiter Ludwig Gehlen. Die Ausbilder gehen mit ihnen aufs Wasser und stärken ihr Selbstwertgefühl. „Das ist für unsere Schüler eine einmalige Erfahrung.“

So wie die Schule für körperliche und motorische Entwicklung profitieren rund 20 Einrichtungen und Förderschulen in Köln und der Region von der Vereinsarbeit. Darunter das APK Sozialpsychiatrische Zentrum in Hürth, die Kölner Uni-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Caritas-Suchthilfe in Bergisch Gladbach und das Hermann-Josef-Haus in Kall.

Auch drei Einrichtungen in Zülpich sind darunter, sogar das Internat der Rheinischen Schule für Blinde in Düren. Beim SFBEH sitzen alle in einem Boot. Ob behindert oder nicht: Jeder darf das Steuer führen oder die Segel bedienen. Helmut Gröger betont: „Wir binden alle so ein, dass jeder auch was tun kann.“

Das fördert den Gemeinschaftssinn und lässt das Handicap einmal vergessen. Ein Spezialboot, das der Vorstand eigens für die Kinder und Jugendlichen anschaffte, lehnten diese übrigens ab. Die beeinträchtigten Schülerinnen und Schüler wollen keine Extrawurst, sondern Normalität, so Meyer. „Und es geht auch super ohne technische Hilfsmittel.“ Doch leider nicht ohne barrierefreien Steg mit einer entsprechenden Zufahrt.

„Viele reden über Inklusion. Wir leben sie“, sagt Detlev Meyer vom Vorstand. „Eigentlich wollen wir doch nur eins: zusammen segeln. Dass wir uns jetzt so behaupten müssen, um unser Engagement weiterführen zu dürfen, kostet viel Kraft.“

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