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50 Jahre Kölner Kinder- und Jugendtelefon„Ich habe ein Riesenproblem“

Lesezeit 4 Minuten
Das Kinder- und Jugendtelefon in Köln feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag.

Das Kinder- und Jugendtelefon in Köln feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag.

Köln – Ein 18-jähriges Mädchen, das Zuhause den Haushalt schmeißen und sich jeden Tag um die kleinen Geschwister kümmern muss. Ein 14-jähriger Junge, der 400 Euro aus der Klassenkasse geklaut hat und Angst hat, aufzufliegen. Das sind zwei Anrufe beim Kinder- und Jugendtelefon, die Volker N. in Erinnerung geblieben sind. Der Ehrenamtler sitzt seit acht Jahren mehrmals im Monat in einem kleinen Büro in der Geschäftsstelle des Kölner Kinderschutzbundes in Bayenthal – und hört vor allem zu. Meist gehe es los mit „Ich habe ein Riesenproblem“, erzählt Volker N., und dann folgt oft Liebeskummer, Streit mit den Eltern oder Ärger mit den Mitschülern.

Das Kinder- und Jugendtelefon in Köln feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag und ist somit die älteste Hotline dieser Art in Deutschland. Gegründet wurde das Angebot am 26. September 1970 von drei Mitgliedern des Kinderschutzbundes. Inke Beyer war eine von ihnen. „Ich habe damals mitbekommen, dass viele Kinder Angst vor den Zeugnissen haben“, erinnert sie sich. „Wir dachten, die brauchen jemanden zum Reden.“ Der Plan wurde denkbar unkompliziert umgesetzt: Die drei Gründungsmitglieder schrieben ihre privaten Telefonnummern auf selbstgebastelte Plakate, die sie in etwa 60 Kölner Schulen aufhängten. Es erreichten sie auch schon einmal nachts Anrufe, erzählt Beyer – und sie versuchte, so gut es ging, mit ihrer Lebenserfahrung als dreifache Mutter zu helfen.

In Köln landen Anrufe aus ganz Deutschland

Acht Jahre später wurde das Angebot mit einer eigenen zentralen Telefonnummer professionalisiert. Immer mehr Städte in Deutschland ahmten die Idee eines Sorgentelefons für Kinder nach, der Dachverband „Nummer gegen Kummer“ wurde 1980 ins Leben gerufen. Man einigte sich auf Schulungen und bundesweite Standards, die das Angebot professioneller machten. Seit 1997 kann das Kinder- und Jugendtelefon unter einer kostenfreien Nummer in Deutschland erreicht werden.

Die Anrufe, die bei Volker N. und seinen über 20 Kollege in Köln landen, kommen also aus der ganzen Bundesrepublik. Über 7500 waren es im vergangenen Jahr. Was die Berater mit den Mädchen und Jungen besprechen, ist streng vertraulich. Es müssen keine Namen genannt werden, deshalb soll auch in diesem Text nicht der komplette Name von Volker N. stehen.

Ob er sich nicht manchmal hilflos fühlt, wenn er „nur“ zuhört? Nein, gar nicht, sagt er. Die 18-Jährige, die Zuhause überfordert war, hätte zu ihm gesagt: „Ich weiß, sie können mir nicht helfen, aber ich muss einfach mal darüber reden.“ Volker N. greift nicht in das Leben seiner Anrufer ein, sondern macht Vorschläge, wie sich das Problem lösen lasse. „Am Ende des Gesprächs vereinbaren wir oft einen kleinen Vertrag“, erzählt der Rentner. „Zum Beispiel legen wir fest, dass sich der Anrufer bei einer bestimmten anderen Stelle Hilfe holen soll.“ Dem Jungen, der Geld aus der Klassenkasse genommen hat, riet er: „Sag alles deinen Eltern! Es wird die Hölle, aber sie werden dir bestimmt helfen.“ Da habe er sich natürlich auch aus dem Fenster gelegt, gibt der Rentner zu. Was aus den Kindern und ihren Sorgen wird, erfährt Volker N. nicht. Rufen sie noch einmal an, landen sie in der Regel bei einem anderen Kollegen.

Krisenteam für Notfälle

Volker N. schätzt, dass drei Viertel seiner Anrufe sich um Sexualität und Liebe drehen. Einen jungen Menschen mit Suizidgedanken oder Missbrauchserfahrungen hatte er noch nie am Telefon. Für solche Fälle steht den Beratern ein professionelles Krisenteam zur Verfügung, erklärt Hans-Jürgen Dohmen, der die Ehrenamtlichen am Kinder- und Jugendtelefon Köln seit zwei Jahren koordiniert und ausbildet. Die Berater werden vor ihrem ersten Einsatz mehrere Monate geschult und danach mit Fortbildungen und Seminaren begleitet.

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Regelmäßig seien auch Scherzanrufer in der Leitung. Doch auch mit diesen Jugendlichen ergeben sich manchmal kurze Gespräche. „Sie rufen dann hoffentlich auch an, wenn sie wirklich einmal ein Problem haben“, sagt Dohmen. Er hat allerdings beobachtet, dass die nicht ernst gemeinten Anrufe seit Beginn der Corona-Pandemie zurückgegangen sind. Insgesamt verzeichnet das Telefon seit März eine erhöhte Nachfrage mit neuen Themen: Isolation, Einsamkeit und Langeweile. Ein freundliches Telefongespräch kann da tröstender sein als ein Chat, ist Dohmen vom Kinderschutzbund sicher.

Hilfe am Telefon

Das Kinder- und Jugendtelefon ist unter 116 111 von Montag bis Samstag von 14 bis 20 Uhr kostenlos zu erreichen. Auch online gibt es Hilfe.

Seit 20 Jahren gibt es auch ein Elterntelefon, das bei Erziehungsfragen unterstützt. Unter 0800/11 10 550 können Erwachsene von Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr anrufen.

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