Kölner IntegrationsprojektFußball als Lebenshilfe

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Das „Rheinflanke-Team“ trainiert auf dem Fußballfeld des ESV Olympia Köln am Gleisdreieck in Nippes.

Das „Rheinflanke-Team“ trainiert auf dem Fußballfeld des ESV Olympia Köln am Gleisdreieck.

Das Projekt Hope Hub der Kölner „Rheinflanke gGmbH“ verbindet Fußball mit Jobcoaching und Lebenshilfe. In Kooperation mit dem „ESV Olympia Köln“ kicken 35 jugendliche Spieler aus 15 Nationen auch im Liga-Betrieb.  

Dass auch ein Fußballfeld für junge Menschen ein Zuhause sein kann, ist keine Weltneuheit. Aber wenn dort neben sportlichen Heimatgefühlen auch sprachliche und soziale, nachbarschaftliche und nachhaltige, berufliche und bildende aufkommen, darf man das, ohne zu übertreiben, eine Innovation nennen. Und die hat einen – wie es sich für Neuerungen gehört, englischen – Namen:

„Hope Hub“ heißt das Kooperationsprojekt der Jugendhilfeträgerin „Rheinflanke“ mit dem „ESV Olympia Köln“. Und es macht seinem Namen alle Ehre. Denn es ist im übertragenen und räumlichen Sinne ein Knotenpunkt. Ein Ort, an dem jeder junge Mensch, ob ohne, vor allem aber mit Fluchterfahrung oder Migrationshintergrund, seinen Platz finden kann. Und der die Kompetenzen der beiden Kölner „Vereine“ im nagelneuen dunkelgrauen Container und daneben, auf den Sportplätzen des ESV, sternförmig verbindet – wie ein Hub eben.

35 Fußball-Spieler aus 15 Nationen

Konkret bedeutet das: Montags und donnerstags trainieren rund 35 Spieler zwischen 16 und 27 Jahren und aus 15 Nationen in den Abendstunden auf dem Sportgelände des Breitensportvereins ESV Olympia Köln in Nippes. Davor gibt es im benachbarten Hub-Container praxisorientierte Workshops unter anderem zu den Themen Achtsamkeit und Stressreduktion, gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit. Auf der Agenda stehen aber auch berufliche und persönliche Beratung zu Herausforderungen, die der Alltag vor allem für geflüchtete Jugendliche bereithält

Fußball ist bei uns kein Selbstzweck. Er ist Flankengeber, hilft uns, Vertrauen und Beziehungen zu den Jugendlichen aufzubauen, ihre Wünsche zu erfahren, um ihnen so passgenaue Unterstützungsangebote machen zu können
Judith Solf, Trainerin und Pädagogin bei „Rheinflanke gGmbH“

„Fußball ist bei uns kein Selbstzweck. Der Sport dient als Flankengeber, hilft uns, Vertrauen und Beziehungen zu den Jugendlichen aufzubauen, ihre Lebenswünsche zu erfahren, um ihnen so passgenaue Unterstützungsangebote machen zu können“, sagt Judith Solf. Und meint damit Hilfe bei der Orientierung im Stadtgebiet, Begleitung bei Behördengängen oder Arztbesuchen, bei der Ausbildungs- oder Jobsuche, bei der Anmeldung zu Sprach- und Integrationskursen.

Judith Solf ist leidenschaftliche Kickerin und Inklusionspädagogin, ihre Trainer-Kollegen Niklas Hack und Kai Ratz haben Sportwissenschaft und Pädagogik studiert. Unterstützt wird das Hope-Fußball-Team von einer großen Schar ehrenamtlicher Mitarbeitenden, „die ein wichtiger Pfeiler unseres Projekts sind“, sagt Niklas Hack.

Fußball als Integrationsmotor für geflüchtete Kinder und Jugendliche

Fußball als Integrations-, Inklusionsmotor und Lebenshilfe: Dass das Konzept der „Rheinflanke“, einer anerkannten Trägerin für sportbasierte Bildungs- und Jugendarbeit, aufgeht, beweist neben vielen anderen die Erfolgsgeschichte von Mahmoud Alkhallawi. An diesem sonnigen Februar-Nachmittag feilt der 27-Jährige gebürtige Syrer gemeinsam mit Judith Solf an Fußballtechniken von Justice, Ebuka und Raad auf dem Fußballfeld am Gleisdreieck – mit Elan, Expertise und freiem Blick auf den Colonius.

Judith Solf und Mahmoud Alkhallawi (2. von links) mit Justice, Ebuka und Road vor dem anthrazit-farbenen Hope Hub-Container am Sportgelände des ESV Köln.

Judith Solf und Mahmoud Alkhallawi (2. von links) mit Justice, Ebuka und Raad vor dem anthrazit-farbenen Hope Hub-Container am Sportgelände des ESV Köln.

2015 kam der damals 19-jährige angehende Abiturient nach einer lebensbedrohlichen Flucht über das Mittelmeer von Aleppo nach Köln. Lebte die ersten drei Jahre in einer Unterkunft am Breslauer Platz. Gemeinsam mit acht fremden Personen, die weder Deutsch noch Englisch sprachen – auf 50 Quadratmetern. Und wartete. Auf Hilfe, Bescheide, auf Papiere und eine Perspektive. „Dieses unerträgliche Feuer in einem, das das Warten entfacht, war zehrend“, sagt Mahmoud Alkhallawi heute. Es sollte drei Jahre lodern.

Bis ihm ein in Köln lebender Cousin die „Rheinflanke“ ans Herz legt. Und von ihren außerschulischen Lernorten berichtet, die Jugendlichen und ihren Familien seit 2015 helfen, eine nachhaltige Lebensperspektive in der Stadt zu entwickeln. Mahmoud absolviert ein Soziales Jahr bei der „Rheinflanke“, deren Team ihm hilft, einen Platz in einer Abendschule und eine Wohnung zu finden. Seit 2022 arbeitet er als „Minijobber“ bei der gemeinnützigen GmbH.

Von der Gemeinschaftsunterkunft in eine Kölner Medienfirma

Während eines Fußball-Sommercamps der „Rheinflanke“, bei dem auch Workshops, etwa zu politischer Bildung und Medien angeboten werden, stellt sich heraus, dass Mahmoud gerne in der Medienbranche arbeiten würde. Dank der persönlichen Kontakte einer Referentin findet er einen Job als Kabelträger bei einer Kölner Medienfirma – dieses Jahr startet seine Ausbildung zum Mediengestalter und Bildredakteur.

Die gebürtigen Nigerianer Justice, 23, und Ebuka, 20, flohen im März 2022 vor dem Krieg in der Ukraine, wo sie studierten. „Wir waren traumatisiert als wir hier ankamen, hatten unsere zweite Heimat verloren, kannten niemanden, auch die Sprache nicht, geschweige denn das System. Wir fühlten uns wie Non-Persons, Niemande, deren Lebenspläne sich plötzlich in Luft auflösten“, erzählen die beiden auf Englisch – aber auch, dass sie Judith Solf und der „Rheinflanke“ unendlich dankbar sind.

Da sie vor und hinter der Bande eine Art Zuhause gefunden haben. Und damit auch „Menschen, mit denen ich endlich sprechen, meine Sorgen und Wünsche teilen kann, die mir helfen, die nötigen Papiere zu erhalten und eine Uni zu finden, an der ich mein Studium beenden kann“, sagt Ebuka. „Die Menschen von der Rheinflanke sind sehr, sehr helpfull“, ergänzt Justice.

Unser Ziel ist es, Kinder und Jugendliche zu erreichen, die bislang nicht in festen Strukturen von Sportvereinen eingebunden sind
Lena Fröhlich, Projektleiterin Hope Hub

„Unser Ziel ist es, Kinder und Jugendliche zu erreichen, die bislang nicht in festen Strukturen von Sportvereinen eingebunden sind“, erklärt Projektleiterin Lena Fröhlich, „aufgrund der Kooperation mit dem ESV Olympia aber die Chance haben, in ein Vereinsleben und ins Nippeser Veedel integriert zu werden.“ Und auch in den offiziellen Ligabetrieb: Ein A-Jugendteam der „Rheinflanke“ spielt in der Kreisliga, ein anderes in der Bunten Liga. Mit dabei ist auch Raad, 20, der Ende 2015 mit seiner Familie aus dem Irak geflohen ist – und in einer Gemeinschaftsunterkunft in Weiden lebt. Dort lernte er Judith Solf und das Team von „Hope mobil“ kennen.

Aufsuchende Jugendarbeit: Freizeitspaß auf vier Rädern

Mit dem auch von „wir helfen“ geförderten Projekt bietet die „Rheinflanke“ – ausgestattet mit allerhand Sport- und Lernequipment – ein aufsuchendes Betreuungsangebot in Kölner Flüchtlingsunterkünften und im Sozialraum an. Neben Fußballspielen und anderen Sportarten gehören auch Tanz-Workshops oder Ausflüge zum rollenden Freizeit-Angebot, das Abwechslung bringt in den sonst oft belasteten Alltag der Jugendlichen – „und deren Ankommen in Köln und ihre Integration fördert“, sagt Solf.

Nicht nur sie, auch kölsche Pänz profitieren von dem Projekt. Denn das Angebot des Hope-Hub-Teams steht auch den Spielerinnen und Spielern des ESV Olympia und Schulen im Kölner Stadtgebiet zur Verfügung. Eine „Win-win-Situation“ nennt das Geschäftsführer Sebastian Koerber, „Geflüchtete profitieren vom Sportangebot unseres Kooperationspartners. Und die Mitglieder des ESV trainieren bei unserem Angebot Fair Play, Respekt und Toleranz auf und neben dem Fußballplatz, können es als soziales Lernfeld zur Persönlichkeitsentwicklung nutzen“. Und als Heimat.

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