Planet Kultur e.V.Wo sich Tragik und Komik die Hand geben

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Isabel Horn als Landstreicher Wladimir in einem Auszug aus Samuel Becketts „Warten auf Godot“.

"Life is a Cabaret“ ... Die Essenz  des weltberühmten Songs, den die  neun jungen  Ensemblemitglieder von „Planet Kultur e.V.“ mit  Verve und Talent zu Beginn ihrer Sommershow präsentierten – und vor ihnen keine andere als Liza Minelli tat –  haben sie in den Monaten zuvor live und in Farbe erfahren: Ihre jährliche Aufführung im Depot2 der Bühnen Köln  fiel ins Wasser, da die  möglichen Termine mit den Prüfungen für die Schulabschlüsse der Jugendlichen kollidierten.

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Alisa Watteroth als Athene und Munir Rohani als Herkules  in einem selbst geschriebenen  Stück  nach historischer Vorlage.

Die gemeinsam gestaltete Musical-Inszenierung  ist seit zwölf Jahren der Höhepunkt des Integrations- und Ausbildungsprojektes unter Leitung von Lisa Mehnert: Macbeth, Othello, Peter Pan,  Linie 15 und viele andere gelungene Inszenierungen  mehr standen schon auf dem „Planet Kultur“-Programm.

Widrigkeit & Witz

So musste das Ensemble in diesem Jahr mit seinem überhitzten Proberaum  in einem Südstadt-Hinterhof vorliebnehmen, wohin es 40 Gäste für eine Sommeraufführung geladen hatte – darunter auch das „Planet-Kultur“-Vorstandsteam mit Hedwig Neven DuMont („wir helfen“-Vorsitzende), Louwrens Langevoort (Intendant der Kölner Philharmonie), Carola Blum und „wir helfen“-Projektpate Ralf Becker (DuMont LiveKon-Geschäftsführer).  In einer einstündigen Aufführung der überraschend anderen Art (statt eines in sich geschlossenen Stücks inszenierte das Team eine originelle, kurzweilige Variation aus Schauspiel, Tanz und Gesang) erlebten die Besucher zweierlei: Beeindruckendes musisches Können und die beneidenswerte Fähigkeit, widrigen Umständen mit Witz zu begegnen.

Emotionales Fitness-Studio

Denn neben der Aufführung auf einer  großen Bühne musste das Team  auch auf seine eigene Technik und  eigene Instrumente verzichten, die  kurz zuvor bei einem Einbruch in die Projekträume abhanden kamen.  Life is a Cabaret... „Wenn sich in einem Projekt-Jahr die Schwierigkeiten derart häufen,  bleibt uns in unserem emotionalen Fitness-Center nichts anderes übrig als darauf mit Humor und Improvisationstalent zu reagieren“, scherzte Projektleiterin Lisa Mehnert, bevor sich der Vorhang hob – und sich für die kommenden 60 Minuten Tragisches und Komisches die Hand gaben.

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Das aktuelle "Planet Kultur"-Ensemble.

Wenn zum Beispiel Jeff Domingos, der einzig Schwarze des aktuellen Ensembles – dessen Eltern aus Afrika via Portugal nach Köln kamen – Heintjes „Mama“ präsentierte. Oder wenn sich die beiden  energiegeladenen jungen Sinti-Frauen Isabel Horn und Shelby Mettbach in einem Auszug aus Samuel Becketts „Warten auf Godot“ dem Zwang zu sinnlosem Warten hingaben. Dazu gesellten sich ein von Munir Rohani aus Afghanistan  selbst geschriebener Song, den Gesangsdozentin Christina Schamei sensibel instrumentierte oder Ray Evans und Jay Livingstons Ohrwurm „Que Sera, Sera“ – in einer humorvoll bearbeiteten Fassung von Gesangsdozent Max Peters   und der  ironischen und fantasievollen Choreografie von Tanzdozentin Doreen Naß. Schließlich durfte auch Michael Jacksons und Lionel Richies Gänsehaut-Song „We are the World“ nicht fehlen. 

Rabenschwarze Komödie

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Szene aus der schwarzen Schwesternkomödie "Die Ratte".

Was dem  Besucher  beim ersten Überfliegen des Programms als  lose Aneinanderreihung von Kunststücken erschienen sein mag, entpuppte sich  spätestens bei dem Auszug aus Justine del Cortes bitterböser Schwesternkomödie „Die Ratte“ als durchdachte Komposition rund um „Eltern-Kind-Beziehungen“, ein Thema das alle Kulturen verbindet. Und somit auch die  „Planet Kultur“-Teilnehmer zwischen 17- und 25 Jahren, von denen die meisten eine  Zuwanderungs-, Fluchtbiografie oder andere ungünstige Ausgangslagen haben, die es ihnen schwer machen eine berufliche Perspektive zu entwickeln und eigene Talente zu entwickeln und zu fördern.

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Praktikantin Sarah Oberste-Frielinghaus (links) und Munir Rohani.

Bei Lisa Mehnert und ihrem  zwölf-köpfigen Planet Kultur-Team  werden seit 2004 bis zu 20  Jugendliche ein Jahr lang in  Tanz, Gesang und Schauspiel unterrichtet – und nebenbei in allen klassischen Schulfächern wie Deutsch, Mathe und Englisch. Zusätzlich bieten ihnen die professionellen Lehrer und Künstler von „Planet Kultur“  jede Hilfe und Beratung, die sie brauchen, um sich zu  Schulabschluss oder Ausbildung zu motivieren – und so  Wege in eine sichere Zukunft zu finden.

Anerkennung und Applaus

„Berufsorientierte Maßnahme“ nennt sich das Projekt im Behördendeutsch, das von Beginn an auch vom Verein „wir helfen“ unterstützt wird. Dessen Vorsitzende, Hedwig Neven DuMont, die sich von Stunde Null an im „Planet Kultur“-Vorstand engagiert, hält das Projekt sehr hoch, da die kulturelle Arbeit neben ausdrucksstarken Auftritten vor allem „Teamgeist und Disziplin voraussetzt und die Jugendlichen aus ihrer Außenseiter-Rolle befreit.“ Indem sie ihnen, die bislang nur wenige Erfolge in ihrem Alltag verbuchen können, neben einem Schulabschluss Anerkennung,  Applaus und damit auch Wertschätzung bringe. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass ein erfolgreicher Bühnenauftritt Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen wachsen lässt.

Endlich Schulabschluss

Davon weiß auch Isabel  Horn im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied zu singen. Die schauspielerisch und gesanglich   begabte 20-Jährige  hat dank Lisa Mehnert und ihrem Team zwei Tage zuvor ihren Hauptschulabschluss mit 2,0 gemeistert. „Lange Zeit war mein Selbstbewusstsein im Keller, ich habe mehrere Anläufe und Schulwechsel gebraucht, um meinen Abschluss auf die Reihe zu kriegen,“ gesteht sie, „auch wegen meiner Minderwertigkeitskomplexe. Aber  hier schäme ich mich für nichts, auf der Bühne fühle ich mich pudelwohl und im Team wie ein Familienmitglied.“ Isabel hat vor zwei Jahren die Hauptrolle Tinker Bell im Musical „Peter Pan“ gespielt. Seitdem träumt sie  von einer Karriere als Musical-Star „und einem Realschulabschluss, den ich mit  Rückendeckung von Planet Kultur  bestimmt auch noch schaffen werde.“

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Praktikantin Sarah Oberste-Frielingshaus als "Miriam, in Schwarz".

Räume dringend gesucht

„Tommorow belongs to me“ heißt ein weiterer  Welthit  aus dem Musical „Cabaret“ – Damit Isabel und möglichst viele andere Jugendliche  gemeinsam mit dem Team auch weiterhin an einer gelungenen Zukunft arbeiten können, ist „Planet Kultur“ auf neue Räume angewiesen. Der Verein sucht ein rund 600 Quadratmeter großes Gebäude, das  Platz für  zwei große Proberäume, für vier Klassenräume , einen Aufenthaltsraum, eine Küche und drei Büros bietet.

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