Zukunftsforscher„Ein Ende der Einsamkeit ist in Sicht“

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Ein Junge sitzt auf dem Boden eines Flures mit vielen blauen Spinden, er hält seinen Kopf zwischen den verschränkten Armen.

Noch ist die Jugend aufgrund der Digitalisierung laut Matthias Horx „die einsamste Menschengruppe überhaupt“. Das könnte sich ändern, denn die Sehnsucht nach dem Zwischenmenschlichen sei auf dem Vormarsch.

Der Zukunftsforscher Tristan Horx analysiert Trends und Gegentrends, um daraus Visionen zu entwickeln und positive Veränderungen anzustoßen, die der heutigen Jugend zugutekommen.    

Individualisierung, Globalisierung und Digitalisierung – Die Megatrends der vergangenen Jahrzehnte funktionieren nicht mehr und könnten von Gegentrends, so klein sie auch sein mögen, verdrängt werden. Davon ist Tristan Horx überzeugt. Der Trend- und Zukunftsforscher spürt aktuelle Entwicklungen und Wandlungsdynamiken in der Gesellschaft auf, um daraus Visionen für morgen zu entwickeln und positive Veränderungen anzustoßen.

„Jeder Trend erzeugt irgendwann einen Gegentrend“, sagt Horx. „Je unsicherer die politischen und wirtschaftlichen Zeiten sind, desto mehr werden die aktuellen Megatrends und der Mainstream hinterfragt. Für „wir helfen“ hat der 30-jährige Forscher die aktuellen Gegenströmungen kommentiert, die insbesondere für die Zukunft der heute zwischen 18- und 29-Jährigen relevant sein könnten.

„Zurück ins Büro“ statt „Homeoffice“

Horx konstatiert, dass sich der Homeoffice-Boom dem Ende zuneigt. Viele Chefs wollen ihre Mitarbeitenden wieder persönlich am Arbeitsplatz sehen. Die einen fürchten ein sinkendes Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen, die anderen sehen eine sinkende Produktivität, möchten mehr Aufsicht. Dieser „Back to the Office“-Gegentrend der Unternehmer wird es laut Horx schwer haben, sich gegen den Trend des „Homeoffice“ durchzusetzen, weil die Jugend von heute, auch geprägt durch den Home-Office-Boom in Corona-Zeiten, nicht mehr acht Stunden am Stück im Büro sein möchte.

„In den nächsten Jahren wird es Widerstand und Proteste geben, ich denke aber, dass sich die Arbeit in Präsenz durchsetzen wird“, so Horx. Positiv betrachtet würde das der Jugend ein weniger einsames Arbeitsleben bescheren und Chancen für mehr Miteinander bergen.

Mut zum Mittelmaß statt Besonders-Sein um jeden Preis

„Das tägliche Streben danach, besonders zu sein, sich vom vermeintlich Normalen durch Kleidung, Frisuren, Einrichtungen oder Reisen zu unterscheiden, hat ihren Höhepunkt überschritten,“ so Horx. Die ständige Abgrenzung und Inszenierung der eigenen Einzigartigkeit verschlinge viel Energie und berge ein hohes Frustrationspotenzial. Den Gegentrend dazu nennt Horx „Das Comeback des 08/15“. „Das Gewöhnliche kommt langsam auf die Überholspur. Die neuen Normalos haben keine Lust mehr auf die ewige Abgrenzung von der Masse. Sie zelebrieren ihre Gewöhnlichkeit.“

Damit neige sich auch die Blütezeit einer Branche dem Ende zu, die ausschließlich daran verdient, junge Menschen zur Selbstoptimierung zu veranlassen. Was bedeuten könnte, dass das Interesse an den Mitmenschen wieder stärker in den Blick rückt.

De-Influencing statt Persönlichkeit als Ware

In den Sozialen Medien wie TikTok, Instagram und Co. präsentieren Influencerinnen und Influencer massenhaft vor allem sich selbst, gleichzeitig empfehlen sie ihrer Followerschaft dringend zu konsumierende Produkte.

Der 30-jährige Zukunftsforscher Tristan Horx trägt ein weißes T-Shirt unter dem blauen Anzug und einen kurzen Bart.

Zukunftsforscher Tristan Horx

Unsere Befragungen haben ergeben, dass einige Jugendliche die Community der Influencer eher als Influenza, also als eine Krankheit sehen, und diesen Berufszweig immer stärker hinterfragen.
Tristan Horx, Zukunftsforscher

Auch hier sieht Horx einen aufkeimenden Gegentrend: „Unsere Befragungen haben ergeben, dass einige Jugendliche die Community der Influencer eher als Influenza, also als eine Krankheit sehen, und diesen Berufszweig immer stärker hinterfragen.“ Zwar sei unklar, ob und wann sich der Gegentrend des „De-Influencing“ durchsetzen werde, dennoch habe „der Trend zur Personality als Ware aktuell den Höhepunkt der Dummheit“erreicht.

Neo-Machismus statt Feminismus

Auch im Verhältnis der Geschlechter zueinander sieht Horx eine Art Zeitenwende, denn aus seiner Sicht sei diesbezüglich der Kulturkampf bereits in vollem Gange. „Die alten, neuen Macho-Männer feiern ein triumphales Comeback.“ Die Männerwelt suche nach neuen Vorbildern, was in diesen komplexen Zeiten nicht so einfach sei. Horx: „Ich glaube, dass die jungen Frauen die Männer in vielen Lebensbereichen überholen und viele junge Männer dadurch das alte, sehr einfache Rollenbild wieder beleben möchten – und immer stärker ins Konservative abrutschen.“

Die Entwicklung sei zwar derzeit nicht mehrheitsfähig, aber stark auf dem Vormarsch. Diesen Trend weg vom Feminismus, hin zu den alten Männer- und Frauenrollen, lasse sich in fast allen Ländern beobachten. „Der Macho-Trend wird schon nächstes Jahr deutlicher, bei den Populisten spielt die verletzte Würde der Männer längst eine zentrale Rolle – in Form eines hasserfüllten Antifeminismus“, so Horx. Ihn zu stoppen sei Aufgabe aller, vor allem aber der jungen Generation.

Das analoge Leben statt beispiellose Vernetzung

Die Digitalisierung hat das soziale Leben gerade unter den Jugendlichen revolutioniert, Horx zufolge könne man sogar von der „einsamsten Menschengruppe überhaupt“ sprechen. Die Sehnsucht nach dem Zwischenmenschlichen, nach realer Kommunikation vis-à-vis sei enorm wichtig. „Auf dem Weg zur digitalen Utopie geschieht etwas Eigenartiges: Wir entwickeln wieder eine Schwäche für analoge Produkte und Ideen“, sagt Horx. Der Gegentrend „die Rache des Analogen“ bedeute, dass der digitale Megatrend kippe und der Wiederkehr des Analogen den Weg bereite.

Das Echte wird niemals verschwinden. Vielleicht erleben wir gerade ein Upgrade auf die nächste Evolutionsstufe der Menschheit: Nach der digitalen Revolution geht es zurück in die vertraute, analoge Welt
Trsitan Horx, Trendforscher

Horx: „Das Echte wird niemals verschwinden. Vielleicht erleben wir gerade ein Upgrade auf die nächste Evolutionsstufe der Menschheit: Nach der landwirtschaftlichen, der wissenschaftlichen und der digitalen Revolution geht es zurück in die vertraute, analoge Welt.“

Comeback des Dorfes statt Metropolen-Boom

„Für die Jugend stehen nicht, wie früher, Partys und Halligalli im Mittelpunkt. Sie sitzt am Rechner oder Handy, ist in gewisser Weise gar langweilig geworden. Angesichts der turbulenten politischen und gesellschaftlichen Zeiten ist sie psychologisch beschädigt“, sagt Horx. Die Sehnsucht nach Ruhe und Sicherheit sei deshalb groß: Ein Drittel der 18- bis 30-Jährigen könne sich vorstellen, auf dem Land zu leben, wie neueste Studien belegen.

„Die Stadt ist zu schnell, zu anonym, sie bringt Einsamkeit mit sich, eher ruhigere Strukturen gewinnen an Bedeutung. In den nächsten Jahren wird sich deshalb die Sehnsucht nach Urbanität umkehren: Kleinstädte und ländliche Regionen könnten eine Renaissance erleben.“

Liebenswerte Hässlichkeit statt Schönheitswahn

Gesellschaftlich geprägte Schönheitsideale diktieren den Modegeschmack und das Konsumverhalten. Dieser Turbodrang nach Schönheit kippe laut Horx: „Die immergleichen, überschminkten Gesichter, die einem auf Instagram und Co. entgegenlächeln, werden allmählich langweilig, weshalb das Authentische und Natürliche im Kommen ist und den Schönheitswahn ablösen wird.“

Lese-Tipp

In der Publikation von „The Future:Project“ stellen die Autorinnen und Autoren Matthias und Tistan Horx, Lena Papasabbas und Nina Pfuderer die 15 herrschenden Trends und ihre Gegentrends gegenüber und analysieren sie.

„15 Gegentrends – Wie die Zukunft ihre Richtung ändert“, The Future:Project, 128 Seiten, 34 Euro

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