19 Millionen Pakete täglich

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Berlin –  Das Versandgeschäft steuert zum Jahresende auf neue Rekorde zu. 19 Millionen Pakete wollen Deutschlands größte Lieferdienste DHL, Hermes, DPD und GLS im Weihnachtsgeschäft ausliefern – pro Tag. Alle Lieferdienste haben massiv eingestellt, neue Verteilzentren in Betrieb genommen, mehr Transporter angeschafft und neue Software eingeführt.

Am heutigen Freitag ist der Schnäppchen-Tag Black Friday, er markiert gleichzeitig den Startschuss zum Weihnachtsgeschäft. Und die Sendungen werden nicht nur immer mehr, sondern auch voluminöser. „Die Pakete sind größer dieses Jahr“, stellt Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher fest. Die Paketboten kommen an ihr Limit. Umso wichtiger ist es, dass der erste Zustellversuch klappt. Jede Verzögerung hält den auf Kante genähten Betrieb auf.

„Alle Paketdienstleister arbeiten zurzeit daran, die Effizienz zu erhöhen“, sagt Elena Marcus-Engelhardt vom Bundesverband Paket- und Expresslogistik. Dazu könnten auch die Kunden beitragen: Der Kunde „kann die Sendung umleiten, einen anderen Zustelltag angeben, einen Wunschnachbarn oder einen Abstellort. Oder er nutzt eine Paketstation oder Paketbox.“

Die Deutschen setzen beim Online-Handel vor allem auf Bequemlichkeit, sagt Marcus-Engelhardt. „87 Prozent wünschen die Zustellung an der Haustür.“ Nur drei Prozent der deutschen Besteller nutzen Paketboxen, zehn Prozent lassen ihre Pakete in einen Paketshop liefern.

Kein Paketservice traut sich, allzu laut über das Ende der Zustellung an der Haustür nachzudenken. Hermes-Chef Olaf Schabirosky lehnt sich schon vergleichsweise weit aus dem Fenster: „Dem boomenden Onlinehandel droht mittelfristig eine analoge Grenze. Natürlich wird es eine Haustürzustellung auch weiterhin geben. Dennoch müssen wir verstärkt an effizientere, alternative Zustellmöglichkeiten denken.“

Wer zu den üblichen Zeiten arbeitet, ist längst im Betrieb, wenn die Zusteller an der Tür klingeln. Für erfahrene Zusteller ist das kein Problem: Sie kennen die Gutmütigen, die alles annehmen, auch wenn sie selbst kein eigenes Paket bekommen, und sind in Rekordzeit fertig. Die Neulinge und Aushilfsfahrer tun sich schwerer. Sie suchen nicht existierende Hinterhäuser, orientieren sich mühsam an den Klingelschildern und verlieren immer mehr Zeit.

Immer präzisiere Software, die auch Öffnungszeiten und Staufallen kennt, soll die Fahrer durch die Stadt leiten und auch die Kluft zwischen den Routiniers und den Neuen verringern. Einige Anbieter haben für ihre Programme auch rumänische oder arabische Sprachversionen eingestellt, weil die verzweifelt gesuchten Mitarbeiter schon ranmüssen, bevor sie ihre Sprachkurse abgeschlossen haben.

Gerade im Winter, in der Hauptsaison, ist der Job nur etwas für Hartgesottene. Hundertmal am Tag aus dem geheizten Transporter raus in die Kälte, rein in den warmen Hausflur, die Treppen hoch, in die überhitzen Wohnungen, dann wieder bei Minusgraden auf der Suche nach unbeleuchteten Hausnummern – das Ende der Zustellung an der Wohnungstür wäre auch für die Zusteller eine echte Erleichterung.

Dennoch wendet sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi massiv gegen ein Ende der Haustürzustellung. „Das ist doch der Clou an dieser Dienstleistung“, sagt Verdi-Expertin Sigrun Rauch. Sie befürchtet Verschlechterungen für die Kunden, sollte die Haustürzustellung irgendwann nicht mehr Standard bei den Lieferdiensten sein. „Gerade in ländlichen Regionen sind Menschen darauf angewiesen, online Waren bestellen zu können und nach Hause geliefert zu bekommen.“

Doch der Druck, neue Lösungen für die sogenannte „letzte Meile“ der Zulieferung zu finden, wächst gerade in den großen Städten. Staus, Dieselfahrverbote, zugeparkte Straßen machen es für Zusteller immer schwieriger, überhaupt zum Zielort zu gelangen. In den sozialen Medien werden unter #dhlillegal Transporterfahrer an den Pranger gestellt, die Rad- und Fußwege zuparken. „Unsere Transporter machen nur sechs Prozent des innerstädtischen Verkehrs aus, aber sie fallen auf, wenn sie in zweiter Reihe stehen, weil sie wiedererkennbar sind“, sagt Marcus-Engelhardt. Laut einer Studie der IHK Köln waren 81 Prozent der Ladezonen in Köln und Leverkusen regelmäßig zugeparkt.

Zusteller wie Andreas Butzengeiger und seine Kollegen haben diese Probleme nicht. Der DHL-Bote fährt neuerdings mit seinem Lastenrad die breiten Bürgersteige von Berlin-Prenzlauer Berg ab. Jeden Morgen trifft er auf andere Fahrer in anderen Farben – etwa von Hermes. Sie nutzen ein gemeinsames Depot am ehemaligen Mauerstreifen. Kombiniertes Mikrodepot heißt diese Basis, jeder der fünf großen Paketdienstleister nutzt mietfrei einen 20-Fuß-Container als Umschlagplatz. Das Bundesumweltministerium fördert das Projekt mit 400 000 Euro.

Als Folge des Pilotprojekts sind allein von Hermes zwei Transporter weniger im Kiez unterwegs, sagt Hermes-Projektleiter Michael Peuker. Auch er ist schon einmal die Lastenrad-Tour gefahren. „98 Prozent der Reaktionen waren positiv“, sagt er. Wie bereits in anderen Städten wie Rostock wird Hermes bald auch anderswo in Berlin Lastenräder einsetzen, auch in weniger gemütlichen Stadtteilen.

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