Der deutsche Aktien-Leitindex klettert ungeachtet schlechter Konjunkturprognosen immer weiter. Wann ist Schluss damit?
Neues AllzeithochWarum der Dax trotz Krise Rekorde jagt – und wann der Wind sich drehen könnte

Ein Aktienhändler an der Börse beobachtet die Kursentwicklung auf seinem Monitor.
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Der Dax hat am Dienstag erneut einen Rekord aufgestellt. In der Spitze kletterte er bis auf 24.300 Punkte. Ungeachtet aller Unsicherheiten weist der deutsche Leitindex im laufenden Jahr schon ein Plus von rund 21 Prozent auf, während die US-Börsen im Minus liegen. Nicht nur den Börsen aus den USA, sondern auch anderen europäischen Indizes läuft der deutsche Aktienmarkt in diesem Jahr davon. Als einer der zentralen Treiber gilt das milliardenschwere Investitionsprogramm der neuen Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in die Infrastruktur und die Verteidigung.
„Keine Blase, keine Übertreibung“
Für Rolf Sassen, Leiter Kapitalmarktanalyse der Kreissparkasse Köln, ist die Entwicklung des Dax daher folgerichtig: „Die Märkte schauen nicht auf heute, nicht auf dieses Jahr, sondern setzen auf einen Aufschwung ab 2026. Was wir gerade sehen, ist daher keine Blase, keine Übertreibung.“ Sassen führt an, dass die wirtschaftlichen Aussichten in Europa zuletzt besser geworden seien, so habe sich fünfmal in Folge der Ifo-Geschäftsklimaindex verbessert, die EZB siebenmal den Zins gesenkt. „Das stärkt die Investitionsmöglichkeiten der europäischen Wirtschaft“, sagt Sassen.
Und doch steht die Rally an den Börsen in starkem Gegensatz zur Wirtschaftskrise in Deutschland. Ein Widerspruch sei sie aber nicht, sagt Sassen. Wenn selbst bei vielen schlechten Nachrichten die Kurse steigen, zeige das, dass der Markt nicht überhitzt. „Dass es am Montag und Dienstag wieder ein Rekordhoch im Dax gab, hat viele Ursachen: Es gibt einen Stimmungswandel der internationalen Kapitalanleger. Die Zweifel an der US-Wirtschaft mehren sich, gleichzeitig sind US-Aktien weiterhin hoch bewertet“, sagt Sassen. Die europäischen Märkte hätten lange Zeit in der Kursentwicklung hinterhergehinkt. Entsprechend seien europäische Aktien trotz der vergangenen Kurssteigerungen nach wie vor günstiger als US-Aktien. „Des Weiteren schichten Investoren vermehrt Aktienanlagen von den USA nach Europa um.“
Das beobachtet auch Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz: „Das Geld der Investoren aus Amerika kommt nach Europa“, sagt der Aktionärsvertreter. „In den USA sehen sie wegen Trump eher dunkle Wolken am Himmel und allokieren Geld Richtung Europa und Deutschland.“ Und es gebe einen zusätzlichen Antrieb dafür, sagt Tüngler: „Wenn der Dollar so schwach ist wie jetzt, können sie auch noch Währungsgewinne mitnehmen.“
„Nur noch genervt“
Außerdem sind die Anleger Tüngler zufolge „nur noch genervt von Donald Trumps Ankündigungen“. Vergangenen Freitag, als der US-Präsident mit Einfuhrzöllen auf EU-Waren in Höhe von 50 Prozent ab Juni drohte, stürzte der Dax-Kurs kurzzeitig ab, stabilisierte sich dann – und erholte sich vollends, als Trump der EU am Montag doch bis Juli Zeit für die Zollverhandlungen einräumte. „Trumps Hickhack kennen die Menschen jetzt, es spielt keine große Rolle mehr“, sagt Tüngler. „Man ist resilient gegenüber Trump.“ Und so scheint der Kursschock von Anfang April im Zuge der vom US-Präsidenten damals losgetretenen weltweiten Zoll-Lawine im Nachhinein für viele Anleger im Rückblick nicht mehr als ein idealer Einstiegszeitpunkt gewesen zu sein.
Dass es in Deutschland eine schlechte Konjunkturprognose nach der anderen hagle, verändere nicht den grundsätzlich positiven Blick auf die deutsche und europäische Wirtschaft, sagt Marc Tüngler. „Vergessen Sie Deutschland! Die Gewinner sind die Unternehmen, die weltweit aktiv sind.“ So machten die Dax-Konzerne hauptsächlich im Ausland ihr Geschäft und ihren Gewinn, erklärt er. „Sie sind nicht so abhängig von der Konjunktur in Deutschland und Europa.“
Natürlich verzeichneten einige Werte im Dax zuletzt erhebliche Verluste. Eine Branche, sagt Tüngler, bekomme die globalen Verwerfungen besonders deutlich zu spüren: „Die Autowerte sind komplett unter die Räder geraten, alle Probleme kumulieren sich bei ihnen.“ Geholfen habe die Ausweitung des deutschen Leitindizes von 30 auf 40 Unternehmen vor vier Jahren. „Indem der Dax viel breiter aufgestellt wurde, ist er auch krisenresilienter geworden.“
Aktionärsvertreter Tüngler führt noch einen weiteren Grund für steigende Kurse an: „Es gibt wahnsinnig viele Menschen, die mit dem Rauf und Runter der Börse viel Geld verdienen. Und dieses Geld fließt wieder an die Börsen und lässt sie steigen. Kleinanleger sehen davon nicht viel, nur, dass der Dax gestiegen ist, und dann freuen sie sich.“
Und jetzt? Geht es immer so weiter? Anlage-Experte Marc Tüngler sieht einen möglichen Wendepunkt: „Der Wind dreht sich erst, wenn aus Trumps Ankündigungen harte Zölle werden. Wenn Europa es nicht schafft, gemeinsam eine Einigung beim Zollstreit herbeizuführen, wird das deutliche Bremsspuren herbeiführen.“
„Kleinanleger sollten an ihrem langfristigen Plan festhalten und sich von aktuellen Nachrichten nicht verunsichern lassen“, sagt Analyst Rolf Sassen. „Es empfiehlt sich jedoch, auf einen breiten Mix zu setzen, aus unterschiedlichen Märkten und Branchen. Klumpenrisiken sollte man vermeiden.“
Langfristigkeit predigt auch Tüngler, Kleinanleger sollten jedoch gewisse Fähigkeiten mitbringen: „Es wird eine Zeit geben, in der die Kurse wieder fallen, und zwar nicht für einen Tag, sondern länger“, prognostiziert er. „Wer dünne Nerven hat oder nicht die Zeit, das zwei, drei Jahre auszusitzen, sollte im Rausch der steigenden Kurse nicht vergessen, bei Zeiten auch mal Gewinne mitzunehmen.“