Arbeitgeberpräsident Kirchhoff„2G-Prinzip wird sich durchsetzen“

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BRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff zum Interview beim „Kölner Stadt-Anzeiger“Ende August 2021.

Köln – Herr Kirchhoff, erwägen Ihre Mitgliedsunternehmen, ähnlich wie der 1. FC Köln, nur noch nach dem 2G-Prinzip mit Mitarbeitern umzugehen, also nur Geimpfte und Genesene ins Unternehmen zu lassen? Was halten Sie also von einer Impfpflicht in Betrieben?

Arndt Kirchhoff: Rechtlich können wir als Unternehmen niemanden zwingen. Wir empfehlen aber allen Beschäftigten dringend, sich impfen zu lassen. Wir haben als Arbeitgeberverbände mit den Gewerkschaften einen gemeinsamen Appell an alle Mitarbeiter gerichtet. Ich bin auch überzeugt, dass sich das 2G-Prinzip in vielen Bereichen des täglichen Lebens durchsetzen wird. Wer sich nicht impfen lassen will, wird auf Dauer Einschränkungen in Kauf nehmen müssen, auch am Arbeitsplatz. Klar ist, dass die Impfverweigerung Einzelner nicht zum Schaden von Kollegen, Arbeitgebern und Kunden sein darf.

Halten Sie an kostenlosen Tests fest?

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Momentan ja. Aber wenn der Staat die Bürgertests einstellt, dann muss auch die kostenlose Testangebotspflicht der Arbeitgeber enden.

Vita Arndt Kirchhoff

Arndt Kirchhoff (66), gebürtiger Essener, Vorsitzender des Beirats der Kirchhoff Gruppe, Iserlohn, einem familiengeführten, mittelständischen Automobilzulieferer mit weltweit rund 13.750 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 2,45 Milliarden Euro.

Seit 2016 Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen (UnternehmerNRW). seit 2014 Präsident des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen (Metall NRW), überdies Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) und Vizepräsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA)

Wie wollen Sie den Anreiz erhöhen, dass sich Mitarbeiter impfen lassen?

Viele Unternehmen bieten Impfungen in den Betrieben an. Das ist eine echte Erfolgsgeschichte, weil die Allermeisten das Angebot auch angenommen haben. Natürlich kann man etwa durch die Verlosung von Reisen, Fahrrädern oder Fernsehern Anreize setzen. Das sollte aber nicht im Mittelpunkt stehen. Die Impfung dient dem eigenen Schutz und dem der Mitmenschen.

Das zweite Top-Thema dieser Tage ist die Bundestagswahl, haben Sie eine Wunschkonstellation?

Ich werde jetzt keine Wahlempfehlung abgeben. Kritisch sehen wir aber die einzelnen Wahlprogramme. Die von SPD, Grünen und Linken rütteln an verschiedenen Stellen an den Grundpfeilern unserer Sozialen Marktwirtschaft. Vor einer solchen Politik zu Lasten unserer Wettbewerbsfähigkeit kann ich nur warnen. Eine starke Wirtschaft ist die Voraussetzung für die Einnahmen des Staates. Und die wiederum sind die Grundlage für unseren Sozialstaat und für Zukunftsinvestitionen in Bildung und Infrastruktur. Wir müssen die Unternehmen stärken statt sie immer weiter zu belasten. In den genannten Programmen sehe ich aber das Gegenteil. Dort werden vor allem Steuererhöhungen, neue Sozialleistungen, ein höherer Mindestlohn oder gar ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert. Das alles aber wäre wirtschaftspolitisches Harakiri.

Ist die Energiewende für Sie eine Belastung der Industrie?

Das Ziel der Energiewende ist richtig, daran zweifelt auch die Industrie nicht. Aber die Grünen etwa fordern zwar viel mehr Ökostrom, sind vor Ort dann aber meist die Wortführer, wenn es darum geht, eine neue Stromtrasse oder ein Windrad zu verhindern. Das ist absurd.

Das heißt, Sie wollen die Bürgerbeteiligung beschneiden?

Wir brauchen jedenfalls eine deutliche Beschleunigung des Planungs- und Genehmigungsrechts. Bis zur Erreichung des Klimaziels für 2030 sind es nur noch achteinhalb Jahre. Aber so lange dauern heute oft Planungsverfahren, oder auch länger. Mit diesem Tempo schaffen wir die Ziele also nicht. Natürlich brauchen wir eine Bürgerbeteiligung, aber nicht zehn Mal, sondern einmal. Auch Klagewege dürfen sich nicht über Jahre hinziehen. Statt ständig Ausstiegsdebatten zu führen, muss die Politik endlich Einstiegsszenarien entwickeln – also Einstiege in neue Technologien, Ausbau von digitaler Infrastruktur und intelligenten Stromnetzen sowie attraktive Bedingungen für private Investitionen.

Ein Thema, das bei den Bürgern auf geteilte Meinung stößt, ist etwa ein Tempolimit auf Autobahnen. Sie fahren einen Wagen, der nicht darauf hindeutet, dass er darauf ausgelegt ist. Wie stehen Sie dazu?

Wir sollten zunächst einmal die Digitalisierung besser nutzen, um das Tempo zu steuern. Es gibt Strecken, da geschieht das heute schon, zu Stoßzeiten, rund um Köln und Frankfurt etwa. Digital. Aber was spricht dagegen, zu bestimmten Uhrzeiten und auf bestimmten Strecken das Tempo zu erhöhen? Das Limit aufzuheben. Das entlastet andere Strecken und erhöht den Verkehrsfluss.

Klimaschützer sehen das nachvollziehbar kritisch…

Ein Tempolimit etwa auf 120 km/h würde die Treibhausemissionen in Deutschland insgesamt gerade mal im Promillebereich senken. Der Klimaeffekt ist also absolut überschaubar. Ich finde, wir sollten die Freiheit des schnellen Fahrens nicht zu starr einschränken. Deutschland ist technologisch in vielen Dingen die Nummer eins. Auch bei schnellen und sicheren Autos. Das ist ein Markenzeichen und Qualitätsmerkmal deutscher Autos, die weltweit als die besten gelten.

Und das Thema Sicherheit… schnelles Fahren ist automatisch gefährlich?

Die Zahl der Unfalltoten sinkt erfreulicherweise seit Jahren deutlich, das ist statistisch erwiesen. Dies ist sicherlich auch auf moderne Fahrassistenzsysteme zurückzuführen. Entscheidend ist also nicht ein generelles Tempolimit, sondern der Einsatz moderner Technologie. Die schnellen Autos von heute sind dank des Fortschritts weitaus sicherer als die langsamen von früher.

Es geht um Menschenleben…

… und genau deshalb haben wir inzwischen Assistenz- und Schutzsysteme, die meisten übrigens Made in Germany, die das Fahren um ein Vielfaches sicherer machen als irgendwelche Verbote. Wenn man wirtschaftlichen, technologischen Fortschritt abwürgt, dann stoppt man die Transformation zum großen Neuen.

Aber malen Sie da nicht einen deutschen Sonderweg, den es nicht gibt, nicht braucht…?

Wir sind ein Industrieland, gerade hier in der Region rund um Köln. Wir dürfen die Industrie nicht verteufeln. Sie ist eine zentrale Basis für Wohlstand, Arbeitsplätze, Nachhaltigkeit und Fortschritt. Wir brauchen hier eben Firmen wie Ford, Bayer, Lanxess, Covestro und Co. Und glauben wir im Ernst, dass wir ohne Chemie, Pharma, Biotechnologie und Forschung heute schon einen Impfstoff gegen Corona, einer gerade erst entdeckten Seuche, hätten? Sicher nicht!

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Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff (l.) im Gespräch mit Thorsten Breitkopf, Wirtschaftsressortleiter des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Wollen Sie weiter mit Kohle und Co. in die Zukunft lenken?

Eben nicht. Aber wir können nicht mit einem Schlag auf sie verzichten. Denn damit die Industrie die Transformation in Richtung Treibhausgasneutralität schaffen kann, brauchen wir zum Beispiel in gigantischem Umfang grünen Wasserstoff. Sonst wird es Stahl etwa von ThyssenKrupp und andere Grundstoffe irgendwann aus Deutschland nicht mehr geben. Und dann gehen auch weite Teile der industriellen Lieferketten verloren.

Soll das durch die Blume heißen: Wir sind alle zu grün geworden?

Wenn irgendwer wirklich grün ist, dann ist es die deutsche Industrie. Bei nachhaltigen Produkten und Prozessen macht uns niemand in der Welt etwas vor. Industrie handelt nach ökonomischen Grundsätzen, und nicht nach ideologischen, wie andere es tun. Aber klar ist: Die Energiekosten können so hoch nicht bleiben, sonst sind wir verloren. Aber die Energiewende muss besser gemanagt werden. Der Ausbau Erneuerbarer Energien, von Netzen und Speichern muss massiv vorangetrieben werden. Ich bin Kraftwerksingenieur. Ich habe zwar als junger Mann Kraftwerke gebaut bei Babcock. Aber mir ist völlig klar: Die Zeit von Kohle und Atom läuft ab.

Das hört sich an, als seien sie grüner als die Grünen…

Jedenfalls leben wir als Industrie die Kreislaufwirtschaft besser als je zuvor. Früher verwendeten wir eher Primäraluminium, heute werden in Europa mehr als 50 Prozent des produzierten Aluminiums recycelt. Beim Stahl noch viel mehr und länger.

Deutschland ist ein klassisches Autoland. Warum setzen wir alle Karten auf Elektroautos?

Für kurze Strecken, und das sind die meisten, die zurückgelegt werden, ist das Elektroauto ideal. Für längere Strecken werden wir andere Wege finden. Hier sehe ich insbesondere synthetische Kraftstoffe, die aus Erneuerbaren Energien hergestellt werden. Auch Wasserstoff kann eine Rolle spielen. Die deutsche Industrie liegt dabei insgesamt weit vorn. Wir haben 50 Millionen Autos mit Verbrennungsmotoren in Deutschland, weltweit sogar 1,5 Milliarden. Die sind ja durch das Aufkommen von E-Autos nicht auf einen Schlag weg. Sie haben noch eine lange Nutzungsdauer und sollten sie im Sinne eine CO2-Einsparung auch haben. Sie werden irgendwann mit synthetischem Kraftstoff laufen.

Was haben Sie aus den Lieferengpässen durch Corona-Krise und Co gelernt? Bauen Sie Ihre Lager aus?

Das ist in Teilen schlicht nicht möglich, oder zu teuer. Die Konsequenz muss sein, die Lieferketten geschlossen zu halten. Das kann einerseits heißen, dass wir bestimmte Produktionen zurück nach Deutschland holen müssen. Es ist andererseits aber auch eine Lehre, dass man Industrie nicht herunterfahren darf. Was wir heute an Problemen haben, ist in weiten Teilen noch die Folge der Lockdowns des vergangenen Jahres.

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Aus Klima- und Anwohnersicht ein strittiges Thema ist in Köln und dem Umland stets der Flughafen Köln/Bonn. Braucht NRW als einziges Bundesland mit Düsseldorf und Köln wirklich zwei Großflughäfen, angesichts des stark eingebrochenen Flugverkehrs?

Natürlich, nicht nur diese beiden, auch die Regionalflughäfen sind wichtig. Der Flugverkehr wird zurückkommen. Da ist es gut, dass wir Köln/Bonn haben. Insbesondere für die Fracht ist Köln/Bonn mit seiner Möglichkeit, auch nachts zu fliegen unerlässlich. Ich selbst fliege gerade auch wegen der kurzen Wartezeiten gerne von Köln/Bonn aus. Der Flughafen braucht sich vor Düsseldorf absolut nicht zu verstecken – im Gegenteil.

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