Hoffnung im Pharma-KonzernHat Bayer eine Heilung für Parkinson?

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Bayer am Horizont

Blick vom Bergischen Land auf Leverkusen

Leverkusen – Oft macht sich Parkinson erst durch ein Zittern bemerkbar. Nicht mehr ruhen wollende Hände sind das auffälligste Symptom der Krankheit. Die Muskeln werden steif, Bewegungen verlangsamen sich, der Gang ist gestört, der Gleichgewichtssinn funktioniert nicht mehr richtig. Wer an Parkinson erkrankt, bekommt oft Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken, hat häufig Schlafstörungen, Depressionen und geistige Beeinträchtigungen bis hin zur Demenz. Parkinson gilt als unheilbar. Bayer will das ändern. 

Parkinson entsteht in der Regel, wenn Nervenzellen im Gehirn absterben, die Dopamin produzieren – einen Botenstoff, der essenziell ist für die Steuerung von Bewegungen. Um den Mangel auszugleichen, nehmen Patienten Medikamente, die die Dopamin-Produktion im gesamten Körper anregen oder den Abbau von Dopamin im Gehirn reduzieren. Sie sorgen dafür, dass die Lebensqualität über einige Jahre aufrechterhalten wird. Die Krankheit können sie verlangsamen, aber nicht aufhalten. Eine Heilung für sie gibt es nicht.

Vorsicht beim Wort Heilung

Zumindest noch. Wenn beim Leverkusener Bayer-Konzern alle Rädchen perfekt ineinander greifen, sich die Hoffnungen der Pharmamanager bewahrheiten und mehrere Stufen klinischer Tests erfolgreich abgeschlossen werden, könnte sich das tatsächlich ändern.

Zumindest sprach Bayer-Chef Werner Baumann Anfang Februar im Podcast „Steingarts Morning Briefing“ vom „ersten Medikament, das jetzt auch im Menschen getestet werden kann und gegebenenfalls Parkinson heilen kann. Das also nicht einen chronischen Krankheitszustand etwas verbessern und die Symptome lindern kann, sondern möglicherweise echte Heilung verspricht in einem Krankheitsgebiet, in dem es seit 60 Jahren keine echte Innovation gegeben hat“.

Joachim Fruebis geht mit dem Wort Heilung deutlich vorsichtiger um. Er ist Chefentwickler bei BlueRock, der Bayer-Tochter, deren Mission die neuartige Parkinson-Therapie ist. Statt von Heilung zu sprechen, sagte Fruebis dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir haben die Hoffnung, dass es zu einer wesentlich besseren und natürlicheren Behandlung als nur einer symptomatischen Behandlung kommt.“

Neue Zellen ins Gehirn

Seit diesem Januar läuft mit einem Dutzend Patientinnen und Patienten ein erster klinischer Test. BlueRock implantiert ihnen einmalig neue, im Labor hergestellte, aber authentische Zellen chirurgisch ins Gehirn. Die Idee: Die frischen Zellen sorgen für eine Wiederbelebung der Dopamin-Produktion. Folglich würden die Symptome gelindert, und ja, im Idealfall womöglich verschwinden, was einer Heilung dann doch sehr nahe kommen würde.

Bei den klinischen Studien gehe es um die Sicherheit der Anwendung, schon in zwei Jahren könne die Therapie jedoch in großem Umfang klinisch getestet werden, zumindest, wenn alles ideal laufe, sagt Joachim Fruebis. Wenn auch hier wieder alles glatt läuft, könnte die Therapie weitere zwei bis drei Jahre später auf den Markt kommen. Und dieser Markt ist groß: Die Deutsche Parkinson-Gesellschaft (DPG) geht von etwa 400.000 Parkinson-Erkrankten in Deutschland aus, weltweit gibt es rund 6,1 Millionen Betroffene. Andere Quellen sprechen gar von sieben bis zehn Millionen Parkinson-Patienten weltweit.

Die Forschung mit BlueRock ist ein wichtiger Bestandteil von Bayers neuer Pharma-Strategie: Die Kosten für die rein interne Forschung wurden in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgefahren und Stellen abgebaut. Stattdessen setzen die Leverkusener auf externe Innovationen, Partnerschaften und Lizenzgeschäfte, um das Pharmageschäft zu stärken.

„Revolution in der Wissenschaft“

Um bei hochinnovativen Zell- und Gentherapien nicht nur mitzuspielen, sondern zum globalen Vorreiter zu werden, hat Bayer Ende 2020 eine Plattform für diesen Bereich gegründet. Zu dieser gehört auch BlueRock, das 2016 als Joint Venture mit einem US-Investor gegründet und 2019 komplett von Bayer übernommen wurde und Zelltherapien in der Neurologie, Kardiologie und Immunologie entwickelt. Auch die junge US-Pharmafirma AskBio, spezialisiert auf Gentherapien, hat Bayer übernommen. Zudem investieren die Leverkusener in Senti Bio, ebenfalls ein aus den USA stammendes Unternehmen, dessen Entwicklungspipeline Zelltherapien gegen Leukämie und andere Krebserkrankungen beinhaltet.

„Zell- und Gentherapien gehören zu den innovativsten Ansätzen in der Gesundheitsversorgung. Es ist unser Ziel, mit an der Spitze dieser Revolution in der Wissenschaft zu stehen“, sagte Bayers Pharma-Chef Stefan Oelrich zum Start der Plattform. Die hochinnovativen, jungen Tochterfirmen agieren auf ihr selbstständig, ohne den riesigen Konzernstrukturen gerecht werden zu müssen. So sollen sie nichts von ihrer agilen Arbeitsweise verlieren. Gleichzeitig nutzen sie die Bayer-Strukturen, wenn es zum Beispiel um den Marktzugang, die Herstellung und das Produktdesign geht.

Bayers gesamte Pharmasparte soll von diesem Modell profitieren. Auch digitale Technologien sollen künftig die Art der Gesundheitsversorgung revolutionieren. Beispiel hierfür ist Bayers Kooperation mit dem Kölner Healthcare-Unternehmen m.Doc. So haben die Partner eine Plattform entwickelt, die als digitaler Begleiter Patienten den Umgang mit ihrer Erkrankung im Alter erleichtern soll.

Die Pharma-Sparte hat Schwung nötig

Dabei ist es auch bitter nötig, dass Schwung in das Segment der Leverkusener kommt. In den kommenden Jahren laufen zahlreiche Patente aus, darunter auch solche für Bayers Bestseller: Der Gerinnungshemmer Xarelto war 2020 für mehr als ein Viertel des gesamten Pharma-Umsatzes in Höhe von mehr als 17 Milliarden Euro verantwortlich. Bayer verliert den Patentschutz für dessen Wirkstoff im Jahr 2023 in der EU, ein Jahr später auch in den USA. Das Augenmedikament Eylea brachte 2020 mehr als 14 Prozent des Pharma-Umsatzes. Auch dieses Patent läuft aus.

Bayer rechnet 2024 mit einem Umsatzrückgang in der Pharmasparte im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich. Diese Zahlen veröffentlichte Bayer-Chef Baumann vor wenigen Wochen beim Kapitalmarkttag des Konzerns.

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Dass das prognostizierte Minus nicht noch deutlicher ausfiel, überraschte auch Analysten. Doch Bayer sieht großes finanzielles Potenzial in aktuellen Forschungsprojekten, die sich bereits in der klinischen Erprobung befinden, und kürzlich vollzogenen Markteintritten, darunter Krebs- und Herz-Kreislaufmedikamenten. Bereits 2025 soll das Pharmageschäft wieder steigende Umsätze zeigen, lautet Baumanns Vision, der ein Jahr vorher den Chefsessel bei Bayer verlassen wird.

„Hohes Risiko, hohe Belohnung“

Welchen Beitrag Zell- und Gentherapien zu Wachstum und finanziellem Erfolg des Pharmakonzerns beitragen werden, steht indes noch in den Sternen – und hängt auch mit dem Gelingen von Leuchtturmprojekten wie der neuartigen Parkinson-Therapie zusammen.

Selbst der Leiter dieses Bereichs, Wolfram Carius, will sich nicht zu einer Prognose hinreißen lassen: „Es wäre komplett unseriös, eine Zahl zu nennen“, sagte der Manager dieser Zeitung. „Für die nächsten zwei, drei Jahre werden die Zahlen aber tief rot sein. Wir engagieren uns mit mehreren Milliarden.“ Aber natürlich erhoffe er sich einen wesentlichen Beitrag zu Umsätzen und Zukunftssicherung von Bayer, sagt Carius: „Wir gehen ein hohes Risiko ein und hoffen auf eine hohe Belohnung.“

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