Chef der Pronova BKK„Spahn-Reform wird Krankenkassen eine Milliarde Euro kosten“

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  • Die gesetzlichen Krankenkassen haben das Jahr wohl mit einem Milliardendefizit beendet.
  • Ein Grund dafür: Teure Reformen aus dem Gesundheitsministerium.
  • Im Interview spricht Pronova-BKK-Chef Lutz Kaiser über die Neuerungen und einen möglichen Personalabbau.

Herr Kaiser, die gesetzlichen Krankenkassen werden das Jahr mit einem Defizit von wohl mehr als einer Milliarde Euro beenden – auch wegen vieler teurer Gesetzesänderungen aus dem Gesundheitsministerium. Auf was müssen wir uns 2020 einstellen?

Jens Spahn ist seit März 2018 im Amt und hat in dieser Zeit 19 Gesetze erlassen. Diese Gesetze enthalten gute Ansätze, aber sie gehen leider sehr einseitig zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GVK), häufig ohne Qualitätsgewinn für die Versicherten. So wurde zum Beispiel die notwendige Prüfung von Krankenhausrechnungen durch Gesetze massiv eingeschränkt. Das kann die gesetzliche Krankenversicherung gut eine Milliarde Euro im Jahr 2020 kosten und bringt keinen Mehrwert. Beim Pflegepersonal-Stärkungsprogramm hingegen sind wir uns einig, dass es wichtig ist, in die Pflege zu investieren. Aber man muss auch erkennen, dass wir als einzelne Kasse bereits zwölf Millionen Euro im Jahr hierfür aufbringen müssen.

Was bedeutet das für Ihre Versicherten?

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Zum Jahreswechsel wurde der durchschnittliche Zusatzbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Gesetzgeber von 0,9 auf 1,1 Prozent erhöht. Rein rechnerisch hätte er aber durch die neuen Gesetze und Kostensteigerung um 0,3 Prozentpunkte erhöht werden müssen. Insgesamt rechnet die Pronova BKK ab 2020 nur durch die neuen Gesetze mit einer Mehrbelastung von 38 Millionen Euro im Jahr, das entspricht einer Steigerung des Zusatzbeitrags um 0,3 Prozentpunkte.

Der Chef Pronova BKK seit 2015

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Lutz Kaiser begann seine Karriere bei der Bayer BKK und wechselte 2001 zur Ford BKK. 2004 wurde er Vorstandschef  der Ford BKK und  später der BKK Ford & Rheinland. Seit Anfang 2013 ist er auch Mitglied des Aufsichtsrates beim BKK Dachverband. Der Krankenkassenbetriebswirt wurde 2010 Mitglied des Vorstands und am 1. Oktober 2013 Vorstandsvorsitzender der Pronova BKK. Seit dem   2015 ist er Alleinvorstand der Krankenkasse mit Sitz in Leverkusen.

Aktuell arbeiten bei Ihnen 1500 Mitarbeiter. Wie wird sich diese Zahl entwickeln?

Da spielen zwei Faktoren eine große Rolle. Wir befinden uns in einer Phase der digitalen Transformation – das wird dazu führen, dass Arbeitsprozesse automatisierter ablaufen werden und sich die Zahl der Mitarbeiter reduziert. Wir müssen aber auch unseren persönlichen Service hochhalten. Unsere Versicherten sind zwischen null und 100 Jahre alt. Wir können unseren Kunden nicht kategorisch zumuten, ausschließlich eine App für die Gesundheitsversorgung zu nutzen. Wir müssen immer beide Optionen, die persönliche und die digitale anbieten.

Werden Sie um Kündigungen herumkommen?

Davon gehen wir aus, denn auch bei uns schlägt die Demografie zu und viele Mitarbeitende werden in Rente gehen. Wir werden die Transformation größtenteils über diese Entwicklung auffangen können. Unsere Sorge geht eher in die Richtung, als großes Ausbildungsunternehmen junge Menschen für unseren Beruf weiterhin begeistern zu können. Auch der Mangel an Nachwuchs drängt uns – wie viele andere Unternehmen auch – in Abläufe der Künstlichen Intelligenz.

„Das ist unseren Kunden nicht vermittelbar“

Ein großes Problem für Ihre Kasse ist, wie das Geld aus dem Gesundheitsfonds aktuell an die Krankenkassen verteilt wird. Wieso?

Die Beitragszahler gehen davon aus, dass ihre geleisteten Beiträge zu uns kommen und wir hieraus ihre Leistungen bezahlen. So ist es aber nicht. Diese Beiträge gehen in den Gesundheitsfonds und werden nach komplizierten Schlüsseln an alle Kassen verteilt. Hiervon profitieren Krankenkassen wie die Allgemeinen Ortskrankenkassen, die besonders viele Menschen in ländlichen Regionen versichern: Denn Versicherte auf dem Land nehmen weniger Leistungen in Anspruch, da dort die Gesundheitsinfrastruktur schlanker ist.

Wenn einige Kassen dadurch Vermögen aufbauen können, Kassen mit Schwerpunkten in hochversorgten städtischen Regionen aber ihren Zusatzbeitrag erhöhen müssen, stimmt etwas mit der Verteilung nicht. Krankenkassen mit hohen Zusatzbeiträgen subventionieren dann durch die fehlerhafte Umverteilung die niedrigen Zusatzbeiträge anderer Kassen. Das versteht keiner und ist auch unseren Kunden nicht vermittelbar.

40 Prozent Ihrer Versicherten sind Rentner. Wie wollen Sie junge Kunden gewinnen?

Insbesondere die jungen Menschen erwarten, dass sie uns jederzeit erreichen können. Also nicht nur zu unseren Öffnungszeiten, sondern eigentlich immer. Ihre bevorzugte Kommunikation läuft über die Apps im Smartphone. Da gehören wir auch hin. Mit der elektronischen Gesundheitsakte »Vivy« oder der Onlinegeschäftsstelle »meine pronova BKK«, bieten wir da schon eine ganze Menge an. Wir sind auch in der GKV führend bei der virtuellen Sprachassistentin Alexa, um Service-Fragen schnell zu beantworten. Junge Leute können auch einen Cash-Back-Tarif wählen, um Beiträge zurückzubekommen.

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Wäre es möglich, auch eTracker zu nutzen, um zum Beispiel zu erfassen, ob einer Ihrer Versicherten joggen geht?

Nein, das dürfen wir nicht und das ist auch gut so. Natürlich gibt es Menschen, die so ein Modell befürworten. Die sagen: „Ich trage so eine Uhr, auf der ist mein ganzes Leben abgespeichert – und jetzt soll ich zu einem Arzt gehen und mir einen Stempel abholen, der besagt, dass ich mich gesund verhalte?“. Das wirkt schon ziemlich antiquiert. Deutschland hängt hier weit hinterher. Aber gerade in der heutigen Zeit ist der Datenschutz ein hohes persönliches Gut.

Wir müssen also die digitalen Möglichkeiten vorantreiben, ohne dem Menschen die persönliche Entscheidung im Umgang mit seinen Daten abzunehmen. Minister Spahn treibt diese Form der Digitalisierung voran. Das ist gut und muss deutlich Fahrt aufnehmen.

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