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Interview

Deutscher Blackrock-Chef
„Wir haben bei der Rente längst die Grenzen überschritten“

6 min
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Blackrock-Zentrale in New York City. In Deutschland sitzt der Vermögensverwalter im Frankfurter Opernturm.

Dirk Schmitz ist Deutschland-Chef des weltgrößten Vermögensverwalters. Er spricht über Altersvorsorge, den Standort Deutschland und Friedrich Merz

Herr Schmitz, das Vertrauen der Unternehmen in den Wirtschaftsstandort Deutschland schwindet. Teilen Sie diese Beobachtung?

Würde ich möglichst viel Aufmerksamkeit generieren wollen, würde ich eine ähnliche Sprache wählen. Wer objektiv auf die Sachlage schaut, bekommt einen differenzierteren Eindruck. Ja, in Deutschland und auch in Europa gibt es einen Reformstau, aber gleichzeitig ist es so, dass gerade die deutsche Wirtschaft auch sehr viele Stärken hat.

Welche Stärken sind das?

Wir haben ein stabiles politisches System und stabile Regierungen, auch wenn sich das nicht gerade immer so anfühlt. Wir haben einen hohen Ausbildungsgrad, sehr fähige Mitarbeiter, ein gutes und verlässliches Rechtssystem. Es gibt also viele Dinge, die für Deutschland sprechen, auch eine hohe Innovationskraft: In der Robotik und in der Medizintechnik sind wir weiterhin führend, und es gibt eine starke Start-up-Szene. Deutschland hat eine gute und starke Wirtschaft, in die nach wie vor viel investiert wird.


Dirk Schmitz, Vorstandsvorsitzender von Blackrock Deutschland

Head of DACH at BlackRock

Dirk Schmitz verantwortet seit Januar 2018 bei BlackRock alle Geschäftsaktivitäten in Deutschland, Österreich und Osteuropa (EEGA). Er ist Vorstandsvorsitzender der BlackRock Asset Management Deutschland AG. Zudem hat er seit April 2023 die Rolle des Regional Head of DACH (EEGA und Schweiz) inne.

Dirk Schmitz, Vorstandsvorsitzender von Blackrock in Deutschland.

Zur Person

Dirk Schmitz, 1971 geboren, ist Länderchef für Deutschland, Österreich und Osteuropa sowie Vorstandsvorsitzender der Blackrock Asset Management Deutschland AG. Blackrock ist der größte Vermögensverwalter der Welt und seit 1994 mit einem eigenen Büro in Deutschland vertreten. Weltweit verwaltet der Finanzriese rund zwölf Billionen Euro Kundengelder. Zu Blackrock wechselte der Mönchengladbacher Dirk Schmitz im Januar 2018 von der Deutschen Bank. Dort hatte er mehrere Jahre das Banking- und Kapitalmarktgeschäft für institutionelle und Firmenkunden geleitet. In seiner letzten Funktion bei der Deutschen Bank war Dirk Schmitz Leiter des Bereichs Global Markets für Deutschland. Davor arbeitete er 10 Jahre für Morgan Stanley in London und Frankfurt. Dirk Schmitz begann seine Karriere bei JP Morgan in New York und London.


Sie gehören mit Blackrock zu den Investoren in den Standort. In welchem Umfang?

Wir haben über 230 Milliarden Euro in den deutschen Wirtschaftsraum investiert. Daran sieht man, dass viele unserer Kunden langfristig in den Standort investiert sind und wir sehen auch, dass viele weiter investieren wollen.

Und so blicken auch die großen ausländischen Investoren auf unser Land?

Ich habe Ende dieser Woche wieder drei Kollegen aus New York hier bei uns in Frankfurt. Sie kommen mit dem konkreten Ziel, in Deutschland zu investieren. Und wir werden uns einige Projekte anschauen, die dafür infragekommen. Man kann sich und sollte sich immer vergleichen mit denen, die es besser machen. Ab und zu hilft aber auch der Blick auf Länder, die vielleicht nicht so attraktiv sind. Und da gibt es viele Länder in Europa, die meine Kollegen gerade nicht besuchen. Wenn sie nach Europa kommen, dann oft an den attraktiven Standort Deutschland.

Sie zeichnen ein positives Bild. Aber droht Deutschland nicht, seine Stärken zu verlieren?

Wer seine Stärken behalten will, muss sie immer wieder trainieren. Durch Inaktivität geraten sie in Gefahr. Viele Dinge müssen in diesem Sinn reformiert werden.

Welche wirtschaftspolitischen Reformen braucht es jetzt?

Die Kostenbelastung ist enorm. Deutsche Unternehmen sind sehr viel stärker mit Kosten belastet als solche in anderen Ländern. Hier fallen Arbeitskosten, Energiekosten und die Steuerbelastung besonders ins Gewicht. Das beschlossene Gesetz zur Entlastung bei der Unternehmensteuer ist ein erster Schritt. Bei Energie- und Lohnsteuern sowie Arbeitskosten muss noch mehr gemacht werden. Der nächste große Punkt ist die Bürokratie, die uns allen das Leben schwer macht, denn Projekte mit Genehmigungsfristen von fünf bis zehn Jahren werden sehr schnell unrentabel. Wir müssen außerdem dringend unsere Alterssicherungssysteme reformieren.

Altersvorsorge ist ein wichtiges Geschäftsfeld für Blackrock…

Mehr als die Hälfte unserer Kundinnen und Kunden spart mittelbar oder unmittelbar für das Alter. Der überwiegende Teil unserer Gelder dient also der Altersvorsorge. Wir müssen deshalb langfristig und mit ruhiger Hand und gutem Risikobewusstsein für sie investieren. Wir müssen das Geld nicht innerhalb von drei Jahren verdoppeln.

Wie blicken Sie auf die Entwicklung des Rentensystems?

Ich möchte zwischen zwei Dingen unterscheiden. Wie Gelder zwischen Generationen verteilt werden, wer welche Lasten trägt, all das sind rein politische Fragen, die in Berlin beantwortet werden müssen. Und ich beneide niemanden darum, diese Entscheidungen treffen zu müssen. Was ich allerdings sagen kann, ist, dass das aktuelle Umlagesystem im demografischen Wandel nicht nur an seine Grenzen stößt. Das wird seit 20 Jahren prophezeit. Wir sind bei der Rente längst über die Grenzen hinausgeschossen.

Was fordern Sie?

Wir müssen es schaffen, unsere Alterssicherungssysteme zu reformieren und in ein kapitalstockbasiertes System zu transformieren. Jeder von uns, aber auch der Staat und die Betriebe könnte für die Menschen in Deutschland Geld beiseitelegen und das Geld arbeiten lassen. Das hätte den Effekt, dass in Deutschland ein ungleich tieferer und leistungsfähigerer Kapitalmarkt entstünde. Mit Nvidia ist ein einzelnes Unternehmen in den USA doppelt so groß wie der gesamte deutsche Aktienmarkt. Wir haben also viel weniger Finanzierungskraft im heimischen Kapitalmarkt.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ich am Kapitalmarkt ein Vielfaches der eingezahlten Beträge auch wieder rausbekommen kann, um für das Alter abgesichert zu sein, wenn ich langfristig überlegt anlege und den Zinseszinseffekt für mich arbeiten lasse.
Dirk Schmitz, Deutschlandchef von Blackrock

Gibt es Vorbilder?

Das machen nicht nur die USA besser, sondern auch kleine europäische Länder wie die Niederlande und Schweden. Sie haben jeweils mehr als 100 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts beiseitegelegt für die Altersvorsorge der Bevölkerung. So schnell gleichzuziehen, geht zwar nicht, aber wir könnten uns den Kapitalstock langsam aufbauen. Dieses Geld stünde natürlich auch zur Verfügung, um Investitionen zu stemmen – direkt in Unternehmen, aber auch in die Erneuerung der Infrastruktur.

Haben Sie in die Tischkante gebissen, als das Rentenpaket im Bundestag verabschiedet wurde?

Was mich sorgt, sind die Schwerpunkte. Um das umlagefinanzierte Rentensystem zu finanzieren, wird in den nächsten 15 Jahren vermutlich ein dreistelliger Milliardenbetrag in die Hand genommen. Und für eine von wenigen Maßnahmen für ein kapitalstockbasiertes System – Stichwort Frühstartrente – gibt es jährlich circa 100 Millionen Euro. Da stimmt die Balance zwischen einem defizitären, langfristig nicht tragbaren Umlageverfahren und einem zukunftsfähigen Kapitalstocksystem nicht.

Viele Deutsche haben aber die Angst, dass bei einer kapitalgedeckten Altersvorsorge am Ende Rentenzahlungen an Entscheidungen der Wall Street hängen, dass Anlagen entsprechend unsicher sind und das Geld mit einem Mal weg ist. Was entgegnen Sie?

Wir haben gerade erst eine repräsentative Umfrage zur Altersvorsorge gemacht, in der uns über 80 Prozent der Befragten sagen: Ich glaube nicht, dass die staatlich zugesicherte Rente auch ausgezahlt wird. Das Vertrauen in den Staat scheint mir da auch nicht mehr vorhanden zu sein. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ich am Kapitalmarkt ein Vielfaches der eingezahlten Beträge auch wieder rausbekommen kann, um für das Alter abgesichert zu sein, wenn ich langfristig überlegt anlege und den Zinseszinseffekt für mich arbeiten lasse.

Zuletzt wurde spekuliert, ob sich an den Börsen eine KI-Blase gebildet hat, die bald platzt. Das würde auch deutsche Kleinanleger empfindlich treffen. Auch Blackrock setzt auf KI-Aktien aus den USA. Sind Sie sicher, dass es nicht zum Platzen einer Blase kommt?

Auch hier geht es wieder um den Anlagehorizont. Blasenbildung kann es immer geben, auch Rückschläge und Volatilität. Wir werden aber deswegen nicht nervös. Wir dürfen einen Großteil der Gelder unserer Kunden langfristig anlegen, fünf bis zehn Jahre und länger. Digitalisierung und KI sind die Gamechanger, die die Wirtschaft transformieren werden, wie zuvor vielleicht die Elektrizität oder die Dampfmaschine. Wir glauben, dass KI einen enormen Produktivitätsvorsprung in allen Geschäftsbereichen auslösen wird. Deshalb investieren wir für unsere Kunden auch in diese Geschäftsfelder.

Können Sie konkrete Projekte nennen?

In Frankfurt sind wir eine Rechenzentrums-Partnerschaft mit dem lokalen Stromversorger Mainova eingegangen. Gemeinsam bauen wir hier vor Ort ein Datencenter, das auch die Rechenleistung für KI-Anwendungen liefert.

Als Wirtschaftsminister brachte Grünen-Politiker Robert Habeck Anfang 2025 ins Spiel, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben. Dafür wurde er gescholten. Jetzt tauchte die Idee kürzlich erneut als Prüfauftrag in einem Rentenpapier der CDU auf. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Ich würde mir sehr viel mehr Unterstützung von der Politik für die private Vorsorge wünschen, viel mehr staatliche Anreize für kapitalstockbasiertes Vorsorgen im Alter. Und mit dem, was Sie gerade beschrieben haben, würde man vermutlich das Gegenteil erreichen: Man bestraft die private Vorsorge.

Wie würden Ihre Anleger reagieren?

Deutschland steht in einem internationalen Wettbewerb. Wenn hier Bedingungen geschaffen werden, die nicht mehr attraktiv sind, ist das Kapital flexibel und schnell woanders.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, r) und Dirk Schmitz, Blackrock Länderchef Deutschland, unterhalten sich nach einem Gruppenfoto mit Vertretern mehrerer deutscher Unternehmen beim Investitionsgipfel «Made for Germany» im Kanzleramt. Es soll um eine Investitionsinitiative mehrerer deutscher Unternehmen gehen, die den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken soll. +++ dpa-Bildfunk +++

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, rechts) war als Aufsichtsratschef von Blackrock in Deutschland zwei Jahre lang Chefkontrolleur von Dirk Schmitz. Hier treffen sich die beiden Ex-Kollegen bei einem Investitionsgipfel im Kanzleramt im Juli 2025.

Bundeskanzler Friedrich Merz war bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock in Deutschland – und damit zwei Jahre lang Ihr Chefkontrolleur. Wie haben Sie ihn erlebt in der gemeinsamen Arbeit?

Es war eine sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit.

Trauen Sie ihm zu, Deutschland aus der Krise zu führen?

Wirtschaftliche Zusammenhänge versteht er. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. In Berlin muss er verschiedene Interessen zusammenbringen und kann nicht allein entscheiden, auch wenn er Bundeskanzler ist.