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Quittung des AtomstromhungersDeutschlands Atomerbe: Strahlender Müll für 30.000 Generationen

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Das Foto zeigt 34 Castor-Behälter im Zwischenlager für Atommüll am Kernkraftwerk.

In den stillgelegten Atomkraftwerken in Philippsburg (Landkreis Karlsruhe) befinden sich keine Brennelemente mehr.

In wenigen Tagen ist die Nutzung der Kernkraft in Deutschland Geschichte. Die Probleme der jahrzehntelangen Kernspaltung bleiben bestehen.

Wenn am Sonntagmorgen der letzte Wasserdampf über den Kühltürmen der deutschen Atommeiler verschwunden ist, hat in Deutschland eine neue Zeitrechnung begonnen. Wer jedoch glaubt, dass mit der Umsetzung des Atomausstiegs die jahrzehntealte Kontroverse rund um die radioaktive Strahlung ein Ende findet, der irrt sich. Denn nach der atomaren Nutzung ist die nicht weniger heikle Frage der Endlagerung des gefährlichen Atommülls noch lange nicht gelöst.

1957 ging mit dem Forschungsreaktor der TU München erstmals ein Atommeiler in Betrieb, vier Jahre später, speiste das Versuchsatomkraftwerk Kahl in Unterfranken erstmals mit Kernenergie erzeugten Strom in das Verbundnetz ein. Es folgten knapp 62 Jahre, in denen Deutschland die Atomkraft nutzte.

Atomstromhunger belastet kommende 30.000 Generationen

Befürworter wie der erste Atomminister Franz Josef Strauß (CSU) kamen in der Zeit etwa wegen der guten CO2-Bilanz kaum noch aus dem Schwärmen heraus. Bis heute ist für viele Menschen das deutsche Wirtschaftswunder mit dem Atomstrom verbunden. Die Rechnung für den deutschen Atomstromhunger müssen aber sehr wahrscheinlich kommende Generationen zahlen.

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„Wir haben etwa drei Generationen lang Atomkraft genutzt in unserem Land und dabei Abfälle produziert, die noch für 30.000 Generationen gefährlich bleiben. Diese Verantwortung übergeben wir an unsere Enkel, Urenkel und noch viele weitere Generationen“, fasst Bundesumweltminister Steffi Lemke (Grüne) die nun anstehenden Aufgaben zusammen. Und auch wenn Lemke schon qua Amt in Sachen Endlagersuche Optimismus ausstrahlen muss, zeigen alle bisherigen Erfahrungen mit dem Atommüll, dass dies kein Selbstläufer wird.

Niemand wohnt gerne neben radioaktiver Müllhalde

Erstmals startete die Suche nach einem Endlager in Deutschland 1963 - doch egal wo ein Standort auch nur in die engere Auswahl kam, sofort wurden Proteste und Zweifel laut. Kein anderer Ort in Deutschland ist derart mit dem Protest verbunden wie das kleine Örtchen Gorleben in Niedersachsen. Als der Salzstock unweit der damaligen Grenze zur DDR 1977 als Endlager ausgewählt wurde, formierte sich eine Gegenbewegung, die am Ende auch zur Gründung der Grünen beitrug.

Ein Grund für den Protest war die fehlende wissenschaftliche Erkundung. 2013 wurde das Endlagerprojekt Gorleben offiziell beendet. Fast zwei Milliarden Euro flossen in die Erkundung. Eine Lehre aus dem gescheiterten Verfahren: Ohne valide wissenschaftliche Fakten für eine Eignung wird auch die 2017 neu gestartete Endlagersuche keinen Standort in Deutschland ermitteln, der von den Menschen in der Umgebung zumindest zähneknirschend akzeptiert wird.

Kein Wunder, niemand wohnt wohl gerne neben einer radioaktiven Müllhalde. Dies ist rund um die 16 Zwischenlager für den hochradioaktiven Atommüll aber längst Alltag. In der Regel sind diese an die bisherigen Atomkraftwerke angedockt oder in deren Umgebung.

Weniger stark radioaktiver Abfall hat deutlich größeres Volumen

2002 verpflichtete der Gesetzgeber die Kraftwerksbetreiber zur dezentralen Zwischenlagerung unweit der Meiler. Kritiker und auch einige Experten sehen in den Zwischenlagern ein Sicherheitsrisiko, immerhin sind diese nicht gegen Flugzeugabstürze oder gar Terrorangriffe gesichert.

Hinzu kommt die Endlagerung der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. Diese enthalten zwar nur ein Prozent der Radioaktivität - dafür ist das Volumen deutlich größer: Rund 303.000 Kubikmeter Abfall sollen ab 2027 im Schacht Konrad bei Salzgitter endgelagert werden. „Die Entscheidung (für den Endlagerstandort, Anm. d. Red.) sollte von den Betroffenen zumindest toleriert werden können, weil für sie durch einen transparenten Prozess nachvollziehbar ist, dass die geologische Situation vor Ort die bestmögliche Sicherheit in Deutschland bietet“, umreißt Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base), die Problematik.

Jetzt ist es unsere Aufgabe, kommenden Generationen dieses Problem nicht zu hinterlassen.
Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base)

Das neue Suchverfahren lieferte 2020 einen Vorgeschmack auf die Debatten, die noch kommen werden: Nachdem der erste „Zwischenbericht Teilgebiete“ rund 90 Gebiete in Deutschland - und damit mehr als die Hälfte der Landesfläche - als grundsätzlich geologisch geeignet für ein Endlager definierte, formierte sich vielerorts Gegenprotest. So teilte die der Atomkraft zugeneigte bayerische Staatsregierung etwa umgehend mit, dass der Freistaat geologisch ungeeignet sei.

Zudem kamen wieder Zweifel auf, Gorleben bei der neuen Suche auszuklammern. Für König spielt das keine Rolle: „Egal wie man zur Atomkraft steht oder gestanden hat: Der Abfall ist nun mal da. Jetzt ist es unsere Aufgabe, kommenden Generationen dieses Problem nicht zu hinterlassen.“ Eine dauerhafte Lagerung in den oberirdischen Zwischenlagern sei aus Sicherheitsgründen keine Alternative zu einem unterirdischen Lager. „Diese Zwischenlager sind eben keine Endlager.“

48,8 Milliarden Gesamtkosten für Stilllegung und Rückbau der Meiler

Und noch ein atomares Risiko bleibt Deutschland nach der Abschaltung für die kommenden 10 bis 15 Jahre erhalten: Insgesamt müssen noch mehr als 30 Meiler zurückgebaut werden. In mühevoller Kleinarbeit müssen diese unter hohen Sicherheitsauflagen von allen radioaktiv verstrahlten Komponenten befreit und schließlich abgerissen werden. Ein zähes Unterfangen - doch verglichen mit der Endlagersuche das kleinere Problem. Hier halten Prognosen eine Dauer bis zum Jahr 2068 für möglich.

Anschließend muss das Lager noch gebaut werden - das könnte weitere 20 Jahre dauern. Von den Kosten ganz zu schweigen. Eine Kommission hat die geschätzten Gesamtkosten unter anderem für Stilllegung und Rückbau der Meiler sowie die Transporte und die Lagerung der Abfälle auf 48,8 Milliarden Euro berechnet. Daraufhin wurde ein Fonds eingerichtet, in den die Betreiber der Atomkraftwerke einzahlen mussten. Aus diesem Betrag soll die Zwischen- und Endlagerung bezahlt werden.

Atomausstieg wird teuer

Nach Angaben des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) wurden rund 24 Milliarden Euro einbezahlt, inklusive eines Risikoaufschlags. Sollte dies jedoch nicht reichen, müssen die Energieversorger nicht zusätzlich Geld nachschießen. Stattdessen muss dann voraussichtlich der Staat dafür aufkommen. Die Betreiber sind auch für die Kosten von Stilllegung und Rückbau der Meiler verantwortlich.

Dem Energiekonzern RWE zufolge schwanken die Kosten für den Nachbetrieb und Rückbau eines Kernkraftwerks je nach Größe, Alter und Betriebsstunden der Anlagen zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Euro. Fest steht auf jeden Fall - der Atomausstieg wird kostspielig. (dpa)

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