Die letzten Kohlelieferanten

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Auslieferer Jens Meyer schaufelt Steinkohle in eine Waage.

Auslieferer Jens Meyer schaufelt Steinkohle in eine Waage.

Essen –  Fast zu schmal ist das Kellerfenster des Zechenhauses in Gelsenkirchen-Hassel. Die weißen Kunststoffsäcke passen gerade hindurch. Einen halben Zentner wiegt ein einziger, Steinkohle ist darin. Sorte Anthrazit aus Ibbenbüren, recht fein gemahlen, damit die Heizung nicht verstopft. 40 Säcke bekommt die Bewohnerin, Vorrat für die kalte Zeit.

Die Auslieferungsfahrer Roland Lohschelder (58) und Jens Meyer (43) wissen, wie das geht: Kohle sauber abladen. Beide arbeiten schon mehr als zehn Jahre beim Essener Brennstoffhandel Seidelmann, einem der letzten Kohlenhändler im Ruhrgebiet. Meyer holt die Säcke vom Wagen, gern auch zwei auf einmal, einen in jeder Hand. Lohschelder geht in den Keller, nimmt die Säcke an und stapelt sie in eine Ecke. Nach einer halben Stunde haben die beiden die Tonne in den Keller geschleppt.

Wilhelm Seidelmann ist einer der Firmeninhaber. Erst am Vormittag war der 55-Jährige noch in Ibbenbüren, einen großen Laster voll Kohle holen, lose. Jetzt steht der groß gewachsene Mann auf dem Lagerplatz der Firma in Gelsenkirchen.

Wilhelm Seidelmann

Wilhelm Seidelmann

Zusammen mit vier Familienmitgliedern betreibt er in vierter Generation ein 1889 gegründetes Brennstoff-Handelsgeschäft mit zehn Angestellten. Gab es im Ruhrgebiet früher hunderte Zechen, ist heute nur noch eine einzige aktiv – „Prosper Haniel“ in Bottrop. Am Jahresende ist auch dort Schluss. In Deutschland wird dann keine Steinkohle mehr zu Tage gefördert.

Aber gehandelt. 6500 Abnehmer hat die Firma Seidelmann, die meisten von ihnen sind ehemalige Bergleute, die auch im Ruhestand Anspruch auf Kohle haben, das sogenannte Deputat. Auftraggeber ist der Kohlekonzern RAG. Seidelmanns Kunden lassen sich ihre Kohle nicht als Energiebeihilfe auszahlen, sondern nehmen lieber die echte Kohle für ihre Heizung. 2,5 Tonnen standen bislang jedem Rentner pro Jahr zu. Mit dem Ende der Steinkohlenförderung in Deutschland endet jedoch auch diese Regelung. Die bisherigen Deputatempfänger erhalten noch eine Abfindung, dann ist Schluss.

Vor allem Ältere beliefert der Händler. Erst am Vortag habe er mit einem 89-Jährigen gesprochen, der sich keine neue Heizung mehr kaufen möchte. Vor allem in den Zechensiedlungen hätten noch einige Bewohner die Dauerbrandöfen. „Für die Leute ist das wichtig, dass das weitergeht.“ Für Seidelmann auch. Er hofft, dass er künftig etwa 5000 Privathaushalte beliefern wird. „In Ibbenbüren gibt es noch mindestens zwei, drei Jahre Kohle, die haben noch so viel Ware auf Halde.“ Alles andere wird importiert.

Wie viele Wohnungen noch mit Kohle heizen, ist nicht genau bekannt. Die 2015 veröffentlichte Studie „Wie heizt Deutschland?“ des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft spricht von rund 300 000 Kohleheizungen bundesweit, unterscheidet aber nicht zwischen Braun- und Steinkohle. 300 000 sind nicht viel bei 40,4 Millionen Wohnungen.

Geht es nach den Hertener Stadtwerken im Norden des Ruhrgebiets, können es ruhig noch weniger werden. Kohleheizungs-Experte Klaus Telges nennt gleich mehrere Gründe, die aus seiner Sicht gegen Kohleheizungen sprechen. „Aus dem Schornstein eines Hauses mit Kohleheizung gehen besonders viele ungefilterte Schadstoffe in die Luft, etwa Stickoxide, Kohlenmonoxid und vor allem Rußpartikel. Ein Haus mit einem Kohleofen ist wirklich eine Dreckschleuder.“ Auch sonst lässt er an der Steinkohle kein gutes Haar: „Kohle ist im Moment sehr teuer, man macht sich dreckig, man braucht einen zusätzlichen Lagerraum im Keller und hat auch immer das Staubproblem im Haus.“

Auch bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sieht man den Einsatz von Kohle in Einzelöfen kritisch. Neben der Luftbelastung durch Feinstaub und Ruß sei insbesondere der hohe Schwefelgehalt der Kohle schädlich, sagt DUH-Experte Patrick Huth. Und zum Thema Klimaverträglichkeit teilt die Expertin für Kleinfeuerungsanlagen beim Umweltbundesamt, Anja Nowack, schlicht mit: „Kohlefeuerungen emittieren mehr Kohlendioxid als Erdgas- oder Holzfeuerungen. (dpa)

KOHLEDEPUTAT BESCHÄFTIGT DIE JUSTIZ

Die Regelungen über den Bezug von Gratiskohle für Bergleute, das sogenannte Kohledeputat, beschäftigen die Justiz. Als das Ende der Förderung zum Jahresende 2018 feststand, verhandelten die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und der Bergwerksbetreiber RAG im Jahre 2015 einen Tarifvertrag über das Ende des Kohledeputats. Beim Landesarbeitsgericht in Hamm liegen derzeit noch 341 Verfahren. In vielen Fällen wollen die Bergleute eine höhere Abfindung oder Energiebeihilfe erreichen. Ursprünglich waren es 460 Fälle.

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