Markus Steilemann spricht darüber, wie die Übernahme durch den arabischen Ölkonzern Adnoc vorankommt, die Folgen für den Standort Leverkusen.
Ex-Dax-Konzern vor ÜbernahmeCovestro-Chef Steilemann: „Die Industrie wird Deutschland verlassen“

Covestro-Chef Markus Steilemann navigiert den Kunststoffspezialisten durch wirtschaftlich schwierige Zeiten.
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Herr Steilemann, der Verband der Chemischen Industrie (VCI), dem Sie als Präsident vorstehen, hat kürzlich für die Branche die niedrigste Kapazitätsauslastung seit 1991 gemeldet. Was muss noch passieren, ehe die Politik wieder einen Rahmen schafft, in dem die Industrie wettbewerbsfähig produzieren kann?
Markus Steilemann: Zunächst, was der VCI kommuniziert, sind Durchschnittswerte. Es gibt durchaus noch immer das ein oder andere Unternehmen, das sich einer guten Ertragslage erfreut. Richtig ist aber: Die Lage der Chemie ist derzeit enorm schwierig. Das hat auch Gehör in der Politik gefunden. Im Feld Energie sind bereits erste Maßnahmen umgesetzt worden. Man geht an die Gasspeicherumlage, an die Strompreissteuer. Beim Bürokratieabbau oder bei den Unternehmenssteuern ist dagegen noch viel zu wenig passiert. Das muss sich ändern, und zwar jetzt.
Kann der Standort Deutschland mit den richtigen Reformen für die Chemie wieder interessant werden? Oder verhindern das die hohen Energiepreise ohnehin?
Wir sind in einer sehr, sehr schwierigen Gesamtsituation. Der Strompreis ist auf einem Niveau, das immer noch etwa doppelt so hoch ist wie vor dem Ausbruch des Ukrainekriegs. Ich sehe zurzeit nicht, wie sich das ändern sollte. Die Basis für den Preis ist LNG-Gas. Und das werden wir nicht günstiger nach Deutschland importieren können. Hinzu kommt eine Nachfrageschwäche in vielen Industrien, die für die Chemie als Abnehmer wichtig sind, von der Automobilbranche über die Bauindustrie bis zur Elektronikbranche.
Was folgt daraus? Die Deindustrialisierung?
Im Prinzip müssen wir uns damit abfinden, dass die energieintensive Industrie in Europa auf lange Sicht nicht wettbewerbsfähig sein wird. Die Industrie wird Deutschland und andere europäische Standorte dann Schritt für Schritt verlassen. Was dabei aber häufig vergessen wird, ist, dass die nächste Zukunftstechnologie, nämlich die künstliche Intelligenz, extrem energieintensiv ist.
Sie haben gesagt, Teile der Chemie wird es in Europa nicht mehr geben. Bedeutet das auch das Ende für Teile von Covestro?
Die Herstellungskosten unserer Anlagen in Europa sind zwar im internationalen Vergleich hochpreisig, sie sind aber wettbewerbsfähig gegenüber Importen. Für die kommen andere Aufschläge dazu, Logistikkosten nicht zuletzt. Zweitens haben wir patentierte Verfahren, die unseren Energieverbrauch senken. Wir haben zum Beispiel eine Anlage in Dormagen, die bis zu 80 Prozent weniger Energie als konventionelle Prozesse verbraucht. Aber: Was wir früher gemacht haben, also aus Europa in die Welt zu exportieren, funktioniert so nicht mehr.
Was heißt das für Covestro?
Wir müssen unsere Investitionsbedarfe gegenüber kurzfristigen Kosteneinsparungen abwägen. Aber aus einer rein energiepolitischen Sicht haben wir keinen Anlass, bestimmte Teile von Covestro infrage zu stellen, um es ganz deutlich zu sagen.
Die geplante Übernahme von Covestro durch eine Tochter des staatlichen Ölkonzerns Adnoc aus Abu Dhabi wird derzeit von den Wettbewerbshütern geprüft. Sind Sie in den Prozess eingebunden?
Ich selbst bin punktuell in diese Gespräche eingebunden. Wir haben breit und gut aufgestellte Teams, sowohl von Adnoc beziehungsweise der Tochter XRG als auch von Covestro, die intensiv und konstruktiv mit der EU-Kommission zusammenarbeiten.
Zuletzt wurde das Prüfverfahren ausgesetzt. Die Wettbewerbshüter halten Bestandteile des Deals möglicherweise für wettbewerbsverzerrend. Welche Auflagen könnten daraus für die Übernahme folgen?
Was in einem laufenden Verfahren besprochen wird, gehört nicht in die Öffentlichkeit. Das halten wir auch so.
Eine Spekulation besagt, dass Investitionszusagen von Adnoc nicht als Zuschuss, sondern nur als Kredit gewährt werden dürfen. Trifft das zu?
Wir werden sehen, ob und wie potenzielle Auflagen am Ende der noch offenen Verfahren aussehen werden. Wir haben eine bestehende Investitionsvereinbarung, die für uns uneingeschränkt maßgeblich ist. Zudem bin ich überzeugt davon, dass die strategische Logik und die damit einhergehenden Zusagen in Bezug auf diese Transaktion vollauf intakt und in sich schlüssig sind. Daher bin ich weiterhin sehr zuversichtlich, dass wir alle regulatorischen Freigaben im geplanten Zeitrahmen und unter Berücksichtigung aller Interessen erhalten werden und freue mich auf die baldige Zusammenarbeit mit Adnoc.
Worin besteht diese Übernahme-Logik?
Wir haben strategisch zwei Stoßrichtungen. In unserem Produktportfolio gibt es den sogenannten massenchemikalischen Bereich. Das sind Märkte, in denen wir eine gute Wettbewerbsposition haben und die grundsätzlich wachsen. Wir haben es allerdings auch mit einem sehr zyklischen Geschäft zu tun. Der zweite Teil unseres Portfolios wächst ebenfalls stark, hat aber eine ganz andere Charakteristik. Hier geht es um sehr kundennahe Innovationsleistungen. Beides bindet viel Kapital. Es liegt also in der Natur unserer Geschäfte, dass sie Weitsicht und einen langen Atem benötigen. Für uns ist daher ein strategischer Partner wie Adnoc interessant, der in der Lage ist, langfristig zu investieren und nicht an den kurzfristigen Notwendigkeiten des Kapitalmarkts orientiert ist.
Es gibt keine Vorprodukte von Adnoc, die für Sie von Wert sind?
Das war lange Zeit eine Annahme von Externen. Man dachte, da kommt eine Öl- und Gasfirma, die uns mit entsprechenden Produkten versorgt. Wir brauchen Öl. Super, dann liefert mal. Aber die Wertschöpfungsketten geben dies so ohne Weiteres nicht her. Unsere Lieferanten sind in der Regel regionale Firmen beziehungsweise welche mit entsprechenden lokalen Infrastrukturen, um die Produkte zu uns bringen zu können. Adnoc, als potenzielle neue Eigentümerin, produziert jedoch nicht an unseren Standorten. Es gibt auf dieser Seite also ohne Weiteres eigentlich keine Synergien.
Es sei denn, die Fabriken würden in Zukunft da gebaut, wo das Öl ist.
Die Logik bei unseren Produkten ist, dass sie zur Vermeidung von langen, teuren Logistikketten in den oder nahe an den Abnahmemärkten produziert werden. Mit Blick auf unsere heutigen großen Märkte Europa, Nordamerika und China müssten wir in Abu Dhabi so kostengünstig und attraktiv produzieren, dass der Transport zu den Märkten und die Bereitschaft der Kunden, lange Lieferzeiten in Kauf zu nehmen, überkompensiert wird.
Adnoc hat seine eigene Kunststoff-Tochter erst kürzlich mit der Kunststoff-Tochter von OMV zusammengeführt. Kann die Integration von Covestro in dieses Konstrukt der nächste Schritt sein?
Adnoc hat sehr klar gesagt, dass sie mit XRG ein globales Top-3-Chemieunternehmen mit dem Nukleus Covestro schaffen wollen. Mit den anderen Portfolio-Unternehmen von Adnoc bestehen aber kaum Überschneidungen. Nicht auf technologischer Seite und auch nicht bei den Kunden. Insoweit sehe ich diesen Schritt nicht.
Bleibt der Name Covestro erhalten und am Standort Leverkusen wird auch nicht gerüttelt?
Es handelt sich hier um einen Wechsel in der Eigentümerschaft, und nicht um eine typische Akquisition zur Verschmelzung in einen neuen Konzern. Wir bleiben als Unternehmen eigenständig, dazu zählt das Headquarter in Leverkusen, dazu zählt unser Name, dazu zählt unsere Identität. Erst in diesem September haben wir unser zehnjähriges Bestehen gefeiert. Ein Jahrzehnt, in dem wir gezeigt haben, dass Covestro erfolgreich, eigenständig und international wettbewerbsfähig ist. Darauf bauen wir auf: Covestro bleibt Covestro. Sitz der Gesellschaft ist Leverkusen. Punkt.
Kreislaufwirtschaft war ein großes Thema für Covestro, Nachhaltigkeit insgesamt. Wie wichtig ist das dem Ölkonzern Adnoc?
Sowohl Adnoc als auch XRG, als Investitionsarm von Adnoc, haben einen sehr klaren Nachhaltigkeitsfahrplan. Adnoc will ja gezielt Einnahmen jenseits der Öl- und Gasindustrie erzielen. Covestro kann genau dabei helfen, weil wir uns früh dazu bekannt haben, uns weg von Öl und Gas zu entwickeln.
Gelingt das auch unter den schwierigen wirtschaftlichen Umständen, die Sie beschrieben haben?
Eine Herausforderung, nicht nur für uns, sondern für die Industrie besteht darin, dass es derzeit noch wenig Bereitschaft auf Kundenseite gibt, die höheren Produktionskosten für grüne Varianten zu bezahlen. Die Kunden sind gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten preissensitiver und greifen häufiger zum klassischen Produkt. Wir könnten schneller grüner werden, aber wir treffen derzeit auf eine deutlich zurückgehende Nachfrage.
Zur Person: Markus Steilemann ist Vorstandsvorsitzender des Leverkusener Kunststoffherstellers Covestro und Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Seine berufliche Karriere begann er 1999 bei Bayer. 2015 wurde er Vorstandsmitglied beim damals von Bayer abgespaltenen Chemiekonzern Covestro und war dort zunächst für den Bereich Innovation verantwortlich. Als Chief Commercial Officer übernahm er 2017 zusätzlich die Verantwortung für Marketing und Vertrieb und rückte ein Jahr später an die Spitze des Vorstands auf. Gebürtig stammt der 55-Jährige aus Geilenkirchen in der Nähe von Aachen.