Kuriose ForschungSo könnten gestresste Pflanzen der Medizin in Zukunft helfen

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Gewächshaus

(Symbolbild)

  • Forscher wollen die Wirkungsweise von gestressten Pflanzen untersuchen.
  • Die unter Stress ausgestoßenen Pflanzenstoffe könnten hilfreich bei der Behandlung von Krankheiten sein.
  • Das Gemeinschaftsprojekt mehrerer Universitäten wird von Anika Wiese-Klinkenberg geleitet.

Eigentlich ist Anika Wiese-Klinkenberg ein netter Mensch. Doch ihr Job verlangt von ihr, gemein zu sein. Nicht zu Menschen, aber Pflanzen muss sie im Namen der Wissenschaft ärgern. Sie gießt sie mit Salzwasser, setzt sie Kältestress aus, bestrahlt sie mit einem Zuviel an Licht oder entzieht ihnen Nährstoffe.

Verschenktes Potenzial

Aus gutem Grund: Wenn Pflanzen gestresst sind, produzieren sie mehr sekundäre Pflanzenstoffe – und genau die will die Wissenschaftlerin vom Forschungszentrum in Jülich aus Paprikagewächsen extrahieren. „Wir haben in Deutschland Gewächshäuser voll von grünem Material, für das sich niemand interessiert“, sagt die Forscherin vom Institut für Bio-, Geo- und Pflanzenwissenschaften. Nachdem alle Tomaten und Paprikas geerntet sind, landet das Grünzeug der einjährigen Pflanzen normalerweise auf dem Kompost.

Verschenktes Potenzial, findet Wiese-Klinkenberg. Denn Pflanzen produzieren chemische Stoffe, um sich vor äußeren Einflüssen zu schützen. Auf zu viel Sonnenstrahlung beispielsweise reagieren sie, indem sie Inhaltsstoffe herstellen, die UV-Licht absorbieren.

Zusammenarbeit vieler Hochschulen

Diese Reaktion der Pflanzen auf Stress will sich Wiese-Klinkenberg zunutze machen. Mit absichtlich erzeugtem Stress soll der Gehalt solcher Inhaltsstoffe in den nicht mehr benötigten Gewächshauspflanzen erhöht werden.

Die positiven Eigenschaften dieser Stoffe können der Menschheit Nutzen bringen. Die Wirkungsweise reicht von antioxidativ über antimikrobiell, mancher Stoff könnte sogar hemmend auf Tumorzellen wirken. Auch Farb-, Duft- und Aromastoffe können aus den Pflanzenresten gewonnen werden.

Begonnen hat die Pflanzenphysiologin Ende 2017 mit einem Projekt zu Tomatenpflanzen, das vom Bioeconomy Science Center gefördert wurde. Das aktuelle Paprika-Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. Es ist eine Zusammenarbeit vieler verschiedener Wissenschaftler und Institutionen wie der RWTH Aachen und der Uni Bonn. Während Wiese-Klinkenberg in Jülich an den Pflanzen forscht, kümmern sich Ökonomen der Uni Bonn um die Frage, wie die gewonnen Pflanzenstoffe eingesetzt werden könnten.

Hintergrund

Bei dem Forschungsprojekt „Tailoring of secondary metabolism in horticultural residuals and cascade utilization for a resource efficient production of valuable bioactive compounds“ (kurz: TaReCa) geht es darum, Pflanzenreste aus Gewächshäusern – in dem Fall zunächst von Paprikapflanzen – nutzbar zu machen.

Aus ihnen sollen sekundäre Inhaltsstoffe gewonnen werden, die als Wirkstoffe in Kosmetika oder als natürliche Aroma- und Konservierungsstoffe verwendet werden können.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Nachhaltigkeitsprojekt läuft noch bis 2020. Neben dem Forschungszentrum Jülich sind unter anderem daran beteiligt die RWTH Aachen, die Uni Bonn und auch die Landwirtschaftskammer NRW.

Denkbar wäre zum Beispiel der Einsatz in der Kosmetik, als Antioxidantien oder natürliche Konservierungsstoffe in Cremes etwa. Bei den Paprikapflanzen forscht Wiese-Klinkenberg vor allem an den Flavonoiden Cynarosid und Graveobiosid A. Cynarosid (Luteolin-7-glucoside) wirkt antibakteriell, antioxidativ und könnte beispielsweise gegen Schuppenflechte helfen.

Unterschiedliche Anwendungsbereiche

Graveobiosid A kann die Eiablage von bestimmten Insekten verhindern. Es könnte als natürliche Schädlingsabwehr zum Einsatz kommen. Die Gewächse sollen aber auch auf weitere Stoffe mit nützlichen Eigenschaften hin untersucht werden. „In anderen Pflanzen finden sich vielleicht mehr sekundäre Pflanzenstoffe als in diesen Nutzpflanzen“, sagt die Biologin.

„Aber es geht ja darum, möglichst viel Rest-Biomasse von Pflanzen verwerten zu können, um nicht noch mehr Pflanzen anbauen zu müssen, was wieder mehr Fläche, mehr Wasser und mehr Dünger bedeuten würde.“ Da Tomaten und Paprika bei uns massenweise in Gewächshäusern angebaut werden, eignen sie sich besonders für diesen Zweck.

Blätter bis jetzt eher unerforscht

Während die Früchte gut erforscht sind, hat man den Blättern bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt. In einem großen Gewächshaus gegenüber von ihrem Institut wachsen derzeit viele kleine Paprikapflänzchen in Klimakammern heran. Sie stehen in Steinwollewürfeln, die mit Barcodes versehen sind, damit Daten gleich zugeordnet werden können.

Nährlösung wird, wie in den Produktionsgewächshäusern auch, kontrolliert zugefügt. Wirklich kalt ist es in der Kammer noch nicht, sondern mit 24 Grad gerade angenehm für das junge Gemüse. Doch bald wird es ernst: „Wir machen als nächstes 14 Tage lang Stress“, sagt die Wissenschaftlerin. 

Bestmöglicher „Stressgrad“ für die Pflanzen

Dabei kommt es darauf an, die Pflanzen zwar so zu provozieren, dass sie möglichst viel der gewünschten chemischen Stoffe produzieren. Sie sollen aber auch nicht daran eingehen. „Momentan sind wir in der Finetuning-Phase“, sagt die Biologin. Salz und Kälte haben sich als ideale Stressmacher erwiesen. Jetzt gelte es die ideale Menge herauszufinden.

In der zweiten Phase wird der Stressgrad der Pflanzen bestimmt. Sensoren messen die Farbwerte der Blätter. Eine Art Fotoautomat macht regelmäßig Aufnahmen von allen Seiten der Pflanze, während die sich auf einem Teller dreht.

Biologin Anika Wiese-Klinkenberg untersucht im FZ Jülich Pflanzenreste von Paprika.

Biologin Anika Wiese-Klinkenberg untersucht im FZ Jülich Pflanzenreste von Paprika.

Weil es immer auch ungestresste Kontrollpflanzen gibt, kann bestimmt werden, wie sehr die Probanden unter Stress in ihrem Wachstum gehemmt werden. „Wir wollen Indikatoren finden, die uns sagen, wie gestresst eine Pflanze ist. Die wollen wir dann in Relation zur Produktion der gewünschten Stoffe setzen“, erklärt Wiese-Klinkenberg.

Abfall soll vermieden werden

Es geht also darum, den richtigen „Stressgrad“ für die höchstmögliche Produktion an sekundären Pflanzenstoffen zu bestimmen. Das ganze Prozedere inklusive der Extraktion muss später in den Gewächshäusern der großen Tomaten- und Paprikaproduzenten umsetzbar sein. Im Idealfall sollten die Produzenten selbst in der Lage sein, die Pflanzen entsprechend zu behandeln, damit die Stoffe anschließend gewonnen werden können.

Dabei soll möglichst viel Biomasse verwertet werden, um Abfall zu vermeiden. Wie genau das aussehen kann, ist allerdings noch unklar. Gemüsebauern werden dazu befragt, was für sie machbar wäre.  

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