NRW-Bauern und der Ukraine-KriegAm Ende zählt jede Tonne Getreide

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Ein Mähdrescher bei der Getreideernte

Düsseldorf/Jülich – Natürlich macht sich auch Landwirt Erich Gussen (56) viele Gedanken darüber, wie er dazu beitragen kann, den durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine drohenden Ausfall von günstigem Getreide abzumildern. Die beiden Länder liefern laut EU-Kommission 34 Prozent des Weizens für die Weltmärkte.

Doch Gussen, der in seinem Betrieb in Jülich vor allem Zuckerrüben, Weizen, Mais und Gerste anbaut, ist skeptisch, ob seine Gedanken zu einer Lösung führen. „Viel werden wir nicht tun können. Aber wenn wir deutschlandweit schon 100.000 Tonnen mehr Weizen produzieren, entlasten wir den Markt. Wir in der EU werden keinen Hunger leiden, aber die Menschen in Afrika schon“, fürchtet der Vizepräsident des Rheinischen Landwirtschaftsverbands.

Wie ist die Ausgangslage?

Wegen der drohenden Ernteausfälle hat die EU-Kommission am Mittwoch entschieden, dass die Bauern in diesem Jahr auch die Flächen bewirtschaften dürfen, die aus Gründen des Umweltschutzes eigentlich brachliegen sollten. Zudem sollen die Landwirte mit 500 Millionen Euro unterstützt werden, damit sich die steigenden Preise für Dünger und Sprit nicht auf die Ernährungssicherheit auswirken.

Wie hoch ist der Brachflächenanteil in NRW?

Diese ökologischen Vorrangflächen machen laut Schätzungen der Landwirtschaftskammer NRW rund 6000 von 1,5 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche aus. Von den 1,5 Millionen Hektar sind rund eine Million Ackerland. Kritiker wie Martin Häusling, Agrarsprecher der Grünen im EU-Parlament, halten die Freigabe für reine „Schaufensterpolitik. Würden alle aktuell in der Europäischen Union brachliegenden Flächen in die Produktion beispielsweise von Getreide einbezogen, läge sie nur um bis zu 4,4 Prozent höher“, sagt er.

Für Deutschland hatte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bereits angekündigt, dass die Landwirte in diesem Jahr ausnahmsweise auch auf ökologischen Vorrangflächen Futterpflanzen anbauen dürfen.

Was ist mit der EU-Agrarreform, die ab 2023 Prämien für Stilllegungen von landwirtschaftlichen Flächen vorsieht?

Ab 2023 müssen die Landwirte in der EU, wenn sie weiter Agrarsubventionen erhalten wollen, aus Gründen der Ökologie und Biodiversität vier Prozent ihrer Flächen stilllegen und der Selbstbegrünung überlassen. Dafür steht deutschen Bauern eine Milliarde Euro pro Jahr an Unterstützung zur Verfügung.

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Erich Gussen

Angesichts des Kriegs in der Ukraine müsse das gesamte System der Agrarpolitik noch einmal überdacht werden, sagt Landwirt Gussen. „Natürlich könnte man sagen, die paar zigtausend Hektar zusätzlich in Deutschland sind nicht so entscheidend. Ich sehe das anders. Alles, was wir in der EU nicht brauchen, kann exportiert werden. Am weltweiten CO2-Ausstoß hat Deutschland auch nur einen Anteil von maximal zwei Prozent, aber wir steigen trotzdem aus den fossilen Brennstoffen aus.“

Umweltschützer kritisieren die Produktion von Biokraftstoffen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Auch NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) spricht davon, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln Vorrang haben müsse.

Bei den derzeitigen Weltmarktpreisen für Weizen könne sich das durchaus lohnen, glaubt Bernhard Rüb, Sprecher der Landwirtschaftskammer NRW. „Bis vor vier Wochen war es Konsens, dass die EU nicht in den Weltmarkt eingreift.“ Der Staat könne nicht anordnen, dass die Bauern nur noch Brotgetreide produzieren. „In der Diskussion wird oft verdrängt, dass man auf einem Hektar Land nicht gleichzeitig Weizen für Afrika, Biogas als Ersatz für russisches Gas anbauen und gleichzeitig eine Photovoltaik-Anlage betreiben kann“, sagt Rüb.

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Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, begrüßt dagegen, dass die Kommission „der Ernährungssicherung in der EU“ den Vorrang gebe vor „Reduktionsvorgaben etwa beim Pflanzenschutz“.

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