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Interview

Immobilienforscher
„All das wird den Wohnraummangel in Köln noch weiter verschärfen“

6 min
Altbauten stehen in der Merowingerstraße in der Kölner Südstadt

Altbauten in der Kölner Südstadt

Jochen Möbert analysiert seit zwei Jahrzehnten die wirtschaftliche Lage auf dem Immobilienmarkt – und hat einen praktischen Vorschlag, wie wir den Wohnungsmangel bekämpfen könnten.

Herr Möbert, Ihre Berechnungen zeigen, wie sich der Wohnraummangel in den kommenden Jahren verschärfen wird. Was erwarten Sie in Köln und der Region?

Jochen Möbert: Bis 2040 zeigen sich zwei wesentliche Entwicklungen, die für alle 400 Kreise und kreisfreie Städte in Deutschland gelten: Starke Regionen wie Köln werden noch stärker, schwächere Regionen noch schwächer. Wirtschaftsstarke Städte ziehen Menschen an, vor allem junge, kreative und gut gebildete Leute. Und so drängen die Menschen seit vielen Jahren und Jahrzehnten in die Metropolen. Dies ist ein sehr beständiger Trend, der unserer Ansicht nach nicht abbrechen dürfte. All das wird den Wohnraummangel hier noch weiter verschärfen.

Von wie viel fehlenden Wohnungen reden wir konkret?

Köln bräuchte rund drei Prozent mehr Wohnungen als es aktuell gibt. Im Jahr 2040 könnte das meinen Projektionen zufolge auf nahe neun Prozent steigen. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt das: Aktuell fehlen in Köln rund 20.000 Wohnungen, nach meinen Berechnungen dürften es 2040 sogar mehr als 50.000 Wohnungen sein.

Wie kommen Sie auf die Zahlen?

Ich nehme auf Kreisebene die historischen Trends für Haushaltsgröße, Einwohnerzahl und Fertigstellungszahlen von Neubauten und projiziere sie in die Zukunft. Hier beziehe ich die bundesweite Bevölkerungsprognose bis 2040 mit ein. Wir erwarten in Deutschland demografisch bedingt einen stärkeren negativen natürlichen Bevölkerungssaldo, der allerdings ein Stück weit ausgeglichen wird durch eine weiterhin kräftige Nettozuwanderung von bundesweit etwa 400.000 Menschen pro Jahr. Diese dürfte es weiterhin eher in die wirtschaftsstarken Regionen ziehen. Beim Neubau erwarten wir in den 2030er Jahren bundesweit deutliche Steigerungen.

Geringe Fertigstellungszahlen sind das eine, die Bezahlbarkeit der Wohnungen das andere. Experten erwarten, dass die Zinsen wieder steigen dürften, somit wird Bauen noch teurer.

Ja, auch wir erwarten Zinserhöhungen und bei der traditionellen Bauweise dürften die Baukosten eher zu- als abnehmen. Ich denke, eine Lösung des Problems könnten der Modulbau sein. Bei einer Werksführung habe ich kürzlich womöglich die Zukunft des Neubaus gesehen, denn dort werden schnell und günstig 3D-Bauteile, sogar ganze Räume, in Werkshallen gebaut. Man findet dort traditionelles Handwerk neben Robotern. So erreicht man einen hohen Vorfertigungsgrad und eine zunehmende Automatisierung und endlich auch Produktivitätssteigerungen in der Bauindustrie. Zudem bringt dies auch Vorteile im Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte: Die Handwerker, die dort arbeiten, haben sogar Sommerurlaub, was auf klassischen Baustellen oft schwierig umsetzbar ist. Auch weitere Vorteile – wie Schutz vor Kälte und Nässe, und damit auch keine Kurzarbeit im Winter –, dürften für viele Arbeitnehmer attraktiv sein. Diese zieht es künftig wohl eher in Richtung Industriehalle als auf die Baustelle. Das heißt allerdings im Umkehrschluss, dass der traditionelle Bau noch teurer werden dürfte. Derweil wachsen die Wettbewerbsvorteile für den Modulbau.

Modulbau und Fertigteile auf Baustellen sind doch nicht neu, oder?

Ja, die Idee ist mindestens 100 Jahre alt und es gibt heute viele unterschiedliche Fertigteilbauer. Jedoch sind deren Baukosten typischerweise nicht günstiger als im klassischen Individualbau. Dies liegt auch daran, dass dieser Sektor hauptsächlich auf 2D-Konstruktionen und Fertigteile für Einfamilienhäuser setzt. Meine Einschätzung ist, dass es zu massiven Kosteneinsparungen kommt, wenn man sich für den Modulbau entscheidet – also nicht nur einzelne Wände vorfertigt, sondern komplette Räume. Dann kann man in der Werkshalle nicht nur den Innenausbau, sondern auch die Möblierung und Elektrogeräte installieren, also beispielsweise mit Bad, Parkett, Tapete, Lampe und sogar Bett und Matratze.

Wie viel günstiger kann man dadurch bauen?

Ein solches Geschäft lohnt sich erst mit ausreichend hohen Stückzahlen. Es ist sehr kapitalintensiv, eine solche Halle zu bauen, darin stehen auch teure Kräne und Roboter. Man kann das sicher nicht von heute auf morgen ausrollen. Aber wenn es einmal läuft und die Stückzahlen eine gewisse Schwelle übersteigen, erzielt man deutliche Kostenvorteile.

Lässt sich denn in der Baubranche noch Geld verdienen?

Klar. Aber es war, außer in den Jahren der Niedrigzinsphase, nie ein Selbstläufer. Man muss auch sehen, dass die Produktivität in der Baubranche jahrelang gesunken ist. Das ist übrigens nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen. Das hat auch mit Regulierung und höheren Baustandards zu tun, aber man hat auch lange an den traditionellen Arten des Bauens festgehalten und eben zu wenig investiert, sowohl in Maschinen als auch in Fort- und Weiterbildung. Meiner Beobachtung nach findet in der Branche nun aber ein Umdenken statt.


Jochen Möbert, Immobilienexperte Deutsche Bank Research

Jochen Möbert, seit 25 Jahren Volkswirt, arbeitet sei fast 17 Jahren im Forschungsbereich der Deutschen Bank. Der Immobilienexperte ist spezialisiert auf Wirtschaftsanalysen, den deutschen Wohnungsmarkt und die allgemeinen makroökonomischen Aussichten. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu Themen wie Inflation, Zinsen und der Dynamik des Wohneigentums.


Wenn eine Branche immer unproduktiver wird – wie überlebt sie überhaupt?

Zum einen durch niedrige Löhne. Es fanden sich immer genügend Menschen, die für geringe Löhne Stein auf Stein setzen. Zum anderen durch das sehr niedrige Zinsumfeld. Doch diese Sonderkonjunktur der 2010er Jahre ist passé. Heute haben wir wieder ein höheres Zinsniveau und vielerorts fehlen uns die Arbeitskräfte. Es bleibt also nur der Weg, die Produktivität zu erhöhen. Neben dem Modulbau dürfte also verstärkt in Technologie, Digitalisierung, KI und Robotik investiert werden.

Was meinen Sie konkret?

Die Branche hat über die vergangenen Jahre einen großen Wissensschatz angesammelt. Sogenannte digitale Zwillinge werden das Bauen kostengünstiger machen, weil die Grenzkosten der Digitalisierung niedrig sind und die Computer dank KI teils schon heute Entwürfe auf Knopfdruck ausspucken können. Zudem kann man auch Planungs- und Baufehler reduzieren oder eliminieren. Sie machen in vielen Fällen einen ordentlichen Anteil an den traditionellen Baukosten aus. Darüber hinaus lässt sich ein Gebäude auch leichter instand halten, weil man es zielgenau managen und warten kann. So lässt sich der Energie- und CO₂-Verbrauch senken, indem man Gebäudeteile individuell steuert. Und bei Bedarf kann man ebenso gezielt Bauteile austauschen, weil man weiß, was, wie, wo verbaut wurde. Für die meisten Gebäude dürfte gelten, dass deutlich mehr als 50 Prozent der Kosten eines Gebäudes über die Nutzung und nicht beim Bau anfallen.

In Ihren Analysen gehen Sie davon aus, dass bis 2040 jedes Jahr nur noch 30.000 neue Eigenheime gebaut werden – in ganz Deutschland. War’s das mit dem Traum vom Haus?

Ich weiß nicht, ob so viele diesen Traum überhaupt noch haben. Viele Menschen finden es angenehm, sich um wenig kümmern zu müssen, sind eher risikoavers und wohnen deshalb gerne zur Miete. Auf der anderen Seite erfüllte sich dieser Traum in den wirtschaftsstarken Metropolen für viele Menschen schon in der Vergangenheit immer seltener. Meine Projektionen machen da ehrlich gesagt wenig Hoffnung, weil sich trotz einer optimistischen Neubauprognose die Nachfrage in den wirtschaftsstarken Regionen ballt. Der Preis, den man für gute Jobs, kurze Wege, viel Kultur und gutes Essen beim Italiener zahlt, ist dann oftmals eine kleinere Wohnung.

Einer Familie, die dringend eine Vierzimmerwohnung braucht und keine findet, der wird der Abend beim Italiener doch egal sein, oder?

Hier sind wir wieder beim Eingangsproblem: Wir bauen viel zu wenig. Oft gibt es im Umland noch geeigneten Wohnraum, deshalb ziehen Familien dann häufiger aus der Stadt heraus. Meine Projektionen zeigen, dass Köln zwar einen sehr großen Wohnraummangel hat, dass aber im Umland im Jahr 2040 tendenziell Wohnraum zur Verfügung stehen und dort das Wohnungsangebot die Nachfrage übersteigen dürfte. Im Rheinisch-Bergischen Kreis etwa zeigt meine Projektion einen Überschuss an Wohnungen von mehr als zehn Prozent, im Rhein-Erft-Kreis vier bis sechs Prozent und in Leverkusen immerhin noch mehr als vier Prozent. Wichtig: Das sind Projektionen und keine Prognosen. Beispielsweise sind lokale Entwicklungen wie etwa die Ansiedlung der Datencenter von Microsoft im Rheinischen Revier oder auch eine verbesserte Anbindung noch nicht eingepreist. Aber ich denke, meine Projektionen geben eine erste Einordnung und sie helfen, darüber nachzudenken, wo die Reise in einer Region hingeht.