Interview

Kölner Auto-Designer
„SUVs sind die größte Schande, die die Industrie produziert hat“

Lesezeit 6 Minuten
Besucher der Automobil-Messe IAA fotografieren einen SUV.

Seit Jahren steigt die Zahl der SUVs auf deutschen Straßen nahezu ungebrochen.

Der Kölner Design-Professor Paolo Tumminelli erklärt, warum der Hype auf SUVs kein Ende nimmt – trotz zahlreicher offensichtlicher Nachteile.

Herr Tumminelli, vor zehn Jahren waren SUVs auf deutschen Straßen noch eine Ausnahmeerscheinung, heute sind sie nicht mehr wegzudenken. Was ist da passiert?

Paolo Tumminelli: Es hat sich enorm viel verändert: Vor zehn Jahren war die Motivation, einen SUV zu kaufen, der Eskapismus – das Narrativ, mit diesem Fahrzeug überall hinzukommen und die Reise seines Lebens unternehmen zu können. Heute ist das im Grunde genommen nicht mehr täglich erlebbar. Die Mehrheit der SUVs hat keinen Allradantrieb mehr und in der Regel Fahreigenschaften wie ein normales Auto. Begonnen hat der Hype damals mit Fahrzeugen wie dem Porsche Cayenne oder einem Range Rover, die nur für bestimmte Menschen erschwinglich waren. Heute kommen viel mehr Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus in den Genuss eines SUVs. Inzwischen gibt es SUVs in allen Fahrzeugklassen, der klassische Wagen, ob Klein- oder Mittelklasse, existiert nicht mehr.

Warum entscheiden sich dennoch immer mehr Menschen für einen SUV?

Dass wir SUVs inzwischen attraktiver finden als ein normales Automobil liegt unter anderem am Storytelling der Unternehmen, wonach ein SUV mehr zu bieten hat als andere Fahrzeuge: „Bigger, Better, Faster.“ Das hat natürlich auch einen Preis.

Herstellung von SUVs kostet nicht viel mehr als bei anderen Autos

Sie spielen auf die Kosten für SUVs an, die deutlich höher liegen als für normale Autos.

Wir sehen ganz klar, dass sich der Durchschnittspreis von Neuwagen enorm erhöht hat. Die Vorstellung vieler: Ein SUV wiegt fünfzehn bis dreißig Prozent mehr als ein klassisches Automobil und darf demnach auch rund zwanzig Prozent mehr kosten. Dieser Mehrwert ist pures Gold für die Unternehmen, denn die Herstellung eines SUVs kostet mehr oder minder dasselbe wie die Herstellung anderer Fahrzeuge. Ein 0815-SUV ist letztendlich nichts anderes als ein aufgebocktes Automobil. Der vermeintliche Vorteil für den Kunde besteht aus dünner Luft und viel Image. Problematisch ist, dass die Menschen, die sich einen SUV kaufen, sich kaum über die Nachteile informieren.

Die da wären?

Dadurch, dass SUVs deutlich mehr wiegen, verbraucht die Produktion deutlich mehr Material, also Rohstoffe. In Deutschland sind das pro Jahr rund 750 Millionen Tonnen mehr. Dasselbe gilt für den Spritverbrauch und die Benutzung des öffentlichen Raums. In der ganzen Energie- und Umweltkette sehen wir dadurch eine enorme Verschwendung von Ressourcen. Und das geht zulasten der gesamten Welt. SUVs sind so ziemlich die größte Schande, die die Industrie im neuen Jahrtausend produziert hat.


Paolo Tumminelli ist Professor für Designkonzepte an der TH Köln und forscht zu Konsumkultur. Nach seinem Architektur- und Designstudium arbeitete er unter anderem als Designer für Alfa Romeo.


Ein ernüchterndes Fazit.

Hinzu kommen für jeden einzelnen Fahrer höhere Betriebskosten sowie ein höheres Unfallrisiko. SUVs sind im Schnitt dreißig Prozent weniger aerodynamisch als andere Autos, da sie höher sind, breitere Reifen haben und einen größeren Querschnitt. Dadurch brauchen sie deutlich mehr Energie, um fortbewegt zu werden, was sich bei jeder Tankfüllung zeigt.

Worin liegt das höhere Unfallrisiko begründet? SUVs gelten doch landläufig als sicherer als andere Fahrzeuge.

Ein egozentrischer Fahrer könnte sagen, dass ein SUV für ihn sicherer ist als ein normales Automobil. Für ihn persönlich mag das stimmen: Das Fahrzeug ist deutlich schwerer, die Insassen sind besser geschützt. Für alle anderen Verkehrsteilnehmer sind SUVs jedoch viel gefährlicher – etwa viermal so gefährlich wie andere Autos, wie Studien zeigen. Durch die höhere Sitzposition haben Fahrer schnell das Gefühl, dass sie langsamer fahren als es eigentlich der Fall ist. Durch dieses veränderte Geschwindigkeitsgefühl, das höhere Gewicht und die Unübersichtlichkeit kommt es schneller zu Unfällen, zudem ist die Neigung zum Umkippen deutlich höher.

Große SUVs werden vorrangig in Metropolen verkauft, kleinere eher auf dem Land

Im städtischen Raum kommt noch ein anderes Problem hinzu: zu wenig Platz für all die großen Fahrzeuge.

Es ist dramatisch: Ausgerechnet in den großen Metropolen werden die großen SUVs verkauft, kleine und Kompakt-SUVs hingegen eher im ländlichen Gebiet. Das ist ein totaler Widerspruch, könnte man meinen. Wenn man die Beweggründe der Menschen studiert, sich einen SUV zu kaufen, sind es meist oberflächliche Betrachtungen, also softe Faktoren ohne konkreten Benefit.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Jüngere Käuferinnen und Käufer entscheiden sich meist für einen SUV, weil sie in einem attraktiven Fahrzeug unterwegs sein wollen, SUVs mit einem aktiven Lifestyle verbinden und den Fahrspaß schätzen. Mütter fahren SUVs, weil sie glauben, dass diese sicherer sind als ein normales Automobil – was wie bereits erwähnt nicht korrekt ist. Und die Generation 50 Plus schätzt die höhere Sitzposition, den Lebensstil und glaubt, dass ein SUV sie überall hinbringen kann. Wenn man also nach den Beweggründen fragt, einen SUV zu kaufen, dann werden mit Ausnahme der Sitzposition und des vermeintlich höheren Schutzes lauter emotionale, selbstdarstellende Gründe genannt.

Wie wirkt sich das im städtischen Gebiet aus?

Es ist einfach die Menschen zu fragen, warum sie sich etwas gekauft haben. Schwieriger ist es, von den Leuten zu erfahren, ob sie glücklich sind. Die Mutmaßung liegt nahe, dass diejenigen, die in der Stadt vom normalen Auto auf einen SUV umsteigen, schnell unzufrieden sind, wenn sie merken, dass sie beim Rangieren benachteiligt sind, ebenso bei der Parkplatzsuche und der Sicht rundherum. So ein SUV hat deutlich größere tote Winkel als ein normales Auto.

In Paris hat sich kürzlich eine Mehrheit der Einwohnerinnen und Einwohner in einer Bürgerbefragung für deutlich höhere Parkgebühren für SUVs ausgesprochen. 

Wenn am Straßenrand SUVs parken statt normaler Autos, entsteht schnell ein Gefühl der Besetzung des öffentlichen Raums. SUVs sind dem Stadtbild ein Gräuel. Die Entscheidung in Paris ist ein gravierendes und sehr interessantes Signal darüber, wie die Allgemeinheit zum Phänomen SUVs steht. In gewisser Hinsicht hat der SUV sein erstrebenswertes Alleinstellungsmerkmal verloren.

Auch Koblenz passt Parkgebühren für große Fahrzeuge an

Wie genau meinen Sie das?

SUV-Käufer haben bisher so gut wie keinen Gegenwind erfahren. Überspitzt gesagt: Alle fanden es cool, wenn jemand so ein Auto fuhr. Jetzt in Paris ist ein eindeutiges Zeichen gesetzt worden: Wenn ich einen SUV fahre, finde ich das cool. Wenn alle einen SUV fahren, haben wir ein Problem.

Denken Sie, dass Ansätze wie in Paris oder in Koblenz, wo Parkgebühren von der Fläche, die ein Fahrzeug besetzt, abhängig sind, langfristig etwas am SUV-Hype ändern werden?

Hohe Parkgebühren werden eine schmerzhafte Nebenwirkung bleiben, die Menschen locker in Kauf nehmen. Ohne politische Einwirkung sehe ich kein Wende im SUV-Trend.

Wie könnte so eine politische Einwirkung aussehen?

Jetzt, wo der Marktanteil von SUVs bei Neuzulassungen um die 50 Prozent liegt, müsste die Politik eingreifen und kritisch Stellung gegenüber verschwenderischen Fahrzeugformen nehmen. Die Pkw-Besteuerung ist bislang an Hubraum und Emission gebunden. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß. Eine gesunde Politik würde entscheiden, dass die Nutzung eines unnötig großen, schweren und starken Automobils zu einer angemessenen Mehrbelastung führt. Man denke an eine allgemeine Radgröße-Steuer oder an Eintrittsgebühren für alle Stadtzentren.

Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Das Problem: Die deutsche Automobilindustrie profitiert von den aktuellen Gegebenheiten, es werden nur noch teure SUVs gebaut. Der neueste Trend unter Normalbürgern sind übrigens Pick-up-Trucks – also Automobile ohne jegliche Sensibilität für soziales Handeln und unsere Umwelt. Wenn dem keine politische Aktion entgegenwirkt, werden die Menschen irgendwann alle wie verrückt im Spaß-Lkw unterwegs sein.

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