„Das Niveau ist massiv gesunken“Kölner Betriebe haben große Probleme bei der Azubi-Suche

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Industrieunternehmen Atlas Copco, vlnr: Azubis Peter Kossmann und Lena Paas, Leiter der Ausbildung Dirk Pappe

Die Azubis Peter Kossmann (l.) und Lena Paas (m.) haben sich bewusst für eine Ausbildung entschieden. Ausbildungsleiter Dirk Pappe (r.) hat Schwierigkeiten, weiteren qualifizierten Nachwuchs zu finden

Die Zahl der qualifizierten Bewerberinnen und Bewerber sinkt. Es gibt noch viele freie Stellen – in den verschiedensten Branchen. 

Die Probleme bei der Azubi-Suche, so erzählt es Dirk Poppe, hätten mit der Corona-Pandemie angefangen. „Vorher haben wir eine Flut von Bewerbungen erhalten. Das ist jetzt ziemlich abgeflaut.“

Poppe ist Ausbildungsleiter bei Atlas Copco, einem Industrieunternehmen, das komplexe Geräte wie Druckluftkompressoren oder Sauerstoffgeneratoren herstellt. In Deutschland hat Atlas Copco in 20 Gesellschaften rund 3800 Mitarbeiter, der Kölner Standort befindet sich in Sürth. Und hier klagt Poppe auch darüber, wie schwierig es mittlerweile geworden sei, die vorhandenen Ausbildungsplätze mit geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten zu besetzen.

Teils nur 19 Bewerbungen auf 100 Stellen

Zwar bekommt Atlas Copco in Köln noch immer bis zu 350 Bewerbungen auf die derzeit 23 Ausbildungsstellen. „Aber von den meisten hört man nie wieder etwas. Überspitzt gesagt: Wenn wir zwanzig zum Einstellungstest einladen und am Ende fünf erscheinen, haben wir Glück.“ Immer weniger junge Menschen zeigten ernsthaftes Interesse an einer Ausbildung im Betrieb.

Vergleicht man diese Zahlen mit denen der restlichen Metall- und Elektroindustrie, zählt Atlas Copco gemessen an den Bewerbungen sogar zu den gefragten Arbeitgebern. Aus Daten der Bundesagentur für Arbeit geht hervor, dass auf 100 gemeldete Ausbildungsstellen für Mechatronik im Schnitt nur 33 Bewerbungen kommen. Auch im Maschinenbau übersteigt das Angebot die Nachfrage bei weitem – hier kommen nur 64 Bewerber auf 100 Stellen. In der Metallbearbeitung sind es sogar nur 19.

Bewerber erfüllen Anforderungen nicht mehr

Doch auch dort, wo beide Seiten zusammenfinden, beklagen die ausbildenden Betriebe ein Problem: Die Bewerber könnten die Anforderungen der Betriebe häufig nicht mehr erfüllen. „Wir merken in den Einstellungstests, dass das Niveau massiv abgefallen ist“, sagt Dirk Poppe. „Auch die Isolation der Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen, was die sozialen Kompetenzen angeht.“

Es ist nicht allein ein Problem der Industrie – in anderen Branchen beobachtet man eine ganz ähnliche Entwicklung. „Die Qualität der Bewerbungen ist zurückgegangen“, sagt beispielsweise Melanie Kräling, Personalchefin im Luxushotel Excelsior Ernst. „Wir schauen nicht so stark auf die Noten, aber sie sollten schon gute Kenntnisse in Deutsch und Englisch haben, und keine Massen an unentschuldigten Fehlstunden.“ Früher habe man problemlos Kandidatinnen und Kandidaten mit Zweier- und Einserabschlüssen an allen Schulformen gefunden. Das sei nicht mehr so. „Und die Azubis sind auch nicht mehr so belastbar wie früher. Unser Service ist anspruchsvoll, aber bei vielen fehlen die Gastfreundschaft und die Liebe zum Detail, die in einem Grand Hotel wie unserem zentral sind.“

Genau wie Poppe sieht auch Kräling die Corona-Pandemie als Treiber dieser Entwicklung. „Die jüngeren Generationen setzen andere Prioritäten als früher.“

Demografischer Wandel wird sich verschärfen

Doch während die Corona-Pandemie Einfluss auf Prioritäten und soziale Faktoren gehabt haben mag, gibt es derzeit noch eine ganz andere weitreichende Herausforderung für deutsche Unternehmen: den demografischen Wandel. Der Fachkräftemangel hat sich bereits in den vergangenen Jahren dramatisch verschärft und er wird es in den kommenden Jahren weiter tun. Weil die Bevölkerung schrumpft und die geburtenstarken Jahrgänge schrittweise in den Ruhestand gehen, wird es bis 2060 11,7 Prozent weniger Menschen geben, die potenziell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Marco Erlemann, Betriebsratschef bei Atlas Copco

Marco Erlemann ist Betriebsratschef bei Atlas Copco

Dabei ist die Situation schon heute schwierig. „Der Arbeitsmarkt ist leer“, sagt Dirk Poppe. „Wir finden keine fertigen Fachkräfte mehr.“ Atlas Copco hat deshalb bereits die Zahl der Ausbildungsstellen von zehn auf 23 erhöht, sozusagen um den eigenen Bedarf heranzuzüchten. „Durch den Fachkräftemangel sind Bewerbungsgespräche heutzutage Werbegespräche für das Unternehmen – nicht mehr andersrum.“

Ansehen der Ausbildung soll gestärkt werden

Es sei zentral, das Prestige der Ausbildung und auch der Industrie zu stärken, sagt Marco Erlemann, der Betriebsratschef bei Atlas Copco ist. „Wir müssen uns nicht verstecken, nicht bei unseren Gehältern.“ Auch die Arbeitsbedingungen seien mit einer 35-Stunden-Woche und Gleitzeitregelungen ab der ersten Prüfung gut.

„Es gibt viel gesellschaftlichen Druck, Kinder aufs Gymnasium zu schicken – und dann sollen sie natürlich auch studieren“, erzählt Lena Paas, die eine Ausbildung zur technischen Produktdesignerin macht. „Dabei verdiene ich mit einem IG-Metall-Tarif als Berufseinsteigerin mehr als ein Architekt.“ Ihr sei es wichtig gewesen, nach der Schule erst Praxiswissen zu sammeln. Mittlerweile studiert die 23-Jährige berufsbegleitend. Ähnlich beschreibt es auch der 21-Jährige Peter Kossmann, der eine Ausbildung zum Mechatroniker absolviert. „Ich persönlich hatte auch gar keine Lust aufs Studium, und dort direkt wieder etwas Theoretisches zu machen.“ Doch die Vorteile einer Ausbildung würden viele nicht sehen: „Ich kann mir vorstellen, dass es bei einigen noch die Einstellung gibt: ‚Ach, fürs Studium hat es nicht gereicht‘. Dabei ist das Unsinn.“

Nicht alle wollen die Vier-Tage-Woche

Die Betriebe gehen nun verstärkt an die Schulen, um für sich zu werben. Dirk Wasmuth, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Kölnmetall, sagt, gerade an Gymnasien sei „eine regelrechte Image-Kampagne“ vonnöten: „Die duale Ausbildung muss sich auch in den Köpfen der Abiturientinnen und Abiturienten als echte Alternative – oder Add-on – zum akademischen Abschluss etablieren.“

Auch für Melanie Kräling vom Excelsior Hotel Ernst ist es wichtig, Aufmerksamkeit für die Arbeit im Hotel zu bekommen. Das funktioniert klassisch über Berufsmessen genau wie über soziale Medien. Bald soll ein Tiktok-Kanal starten, auch Werbung beim Streamingdienst Spotify ist geplant. Auch den Bedürfnissen der jüngeren Generation will man gerecht werden: Nach dem Lockdown hat das Hotel auf freiwilliger Basis eine Vier-Tage-Woche (bei weiter 40 Stunden) eingeführt. In der Küche machten das alle, erzählt Kräling. „Aber in den anderen Bereichen ist das gar nicht gewünscht.“ Einfache Lösungen gibt es auch hier keine.

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