Kölner Fairtrade-Gründer„Unsere Prämien sichern jetzt wirtschaftliches Überleben“

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Beschäftigte in Kolumbien

  • Vor 28 Jahren hat Dieter Overath den Verein Transfair, der das Fairtrade-Siegel vergibt, in Köln-Sülz gegründet.
  • Dieses Jahr wurden in Deutschland erstmals mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz mit den fair gehandelten Produkten gemacht.
  • Im Interview spricht Overath über die Geschichte des Vereins, die Nachfrage in Corona-Zeiten – und wie Fairtrade-Prämien gerade als Absicherung für Produzenten wirken.

Herr Overath, auf der einen Seite belastet die Corona-Krise die Menschen finanziell stark, auf der anderen wird so viel über Verantwortung und Solidarität diskutiert wie selten zuvor. Was überwiegt bei der Nachfrage nach Fairtrade-Produkten?

Durch die Angst vor Jobverlusten und Kurzarbeit erleben wir in Deutschland zurzeit schon eine Fokussierung auf das Preiseinstiegssegment. Mit Bananen, Schokolade, Kaffee und Orangensaft deckt Fairtrade aber absolute Alltagsprodukte ab, sowohl im Supermarkt als auch beim Discounter. Von Marken bis zum Preiseinstieg ist alles dabei. Deshalb haben wir bei Lebensmitteln keine Absatzprobleme. Probleme gab es zuletzt nur bei den Blumen, weil sie bislang vor allem als Beifracht von Passagierflügen transportiert wurden – die alle weggebrochen sind.

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Transfair-Gründer Dieter Overath

Wir würden die Wertschätzung, die aktuell überall zu erfahren ist, aber gerne auch auf den globalen Süden übertragen. Denn der Kaffee, der hier im Regal eingeräumt wird, muss natürlich irgendwo gepflückt werden. Und die Menschen im Kakaoanbau, die in einem Dorf in der Elfenbeinküste leben, laufen vielleicht einen halben Kilometer zur nächsten Wasserstelle. Seife zum Händewaschen haben sie auch nicht.

Wie unterstützen Sie Ihre Produzenten?

Der Vorteil von Fairtrade ist, dass wir in den Produktionsländern schon Strukturen aufgebaut haben, auf die wir jetzt zurückgreifen können. Als in Folge der Krise zum Beispiel von einer Woche auf die andere 50.000 Beschäftigte auf Blumenfarmen in Kenia arbeitslos wurden, haben wir mit unseren Fairtrade-Blumenfarmen die Vereinbarung getroffen, die Fairtrade-Prämien bis zum Herbst als eine Art Kurzarbeitergeld einzusetzen. Die Prämien, die Produzenten allein durch Absätze auf dem deutschen Markt erhalten haben, sind vergangenes Jahr auf 38 Millionen Euro gestiegen, das ist ein Puffer, der jetzt ein Stück weit wirtschaftliches Überleben sichert. Außerdem liegt der Fairtrade-Mindestpreis für viele Produkte signifikant über denen des Weltmarkts.

Geschäftsjahr 2019

Deutsche haben im Jahr 2019 erstmals mehr als zwei Milliarden Euro für Fairtrade-Produkte ausgegeben. Der Umsatz stieg um 26 Prozent auf 2,04 Milliarden Euro, wie das Unternehmen am Donnerstag bekanntgab. Die Menge der verkauften Bananen stieg um 41 Prozent auf 130.000 Tonnen (20 Prozent Marktanteil), die des verkauften Kaffees um 12 Prozent auf 23.000 Tonnen (fünf Prozent Marktanteil). Kakao stieg um 45 Prozent auf 79.000 Tonnen (Marktanteil 17 Prozent). Gut eine halbe Milliarde faire Rosen wurden verkauft, das ist ein Plus 19 Prozent und entspricht einem Marktanteil von 30 Prozent.

Fairtrade-Produzenten erhalten für den Verkauf ihrer Produkte einen stabilen Mindestpreis, um sich gegen schwankende Weltmarktpreise abzusichern. Zusätzlich dazu bekommen sie eine Fairtrade-Prämie. Produzenten und Partner entscheiden gemeinsam, in welche Projekte sie investiert werden soll.

Dieter Overath, Jahrgang 1954, hat den Verein Transfair 1992 gegründet und ist bis heute sein Vorstandsvorsitzender. Zuvor war er unter anderem im Vorstand von Amnesty International aktiv.

Sie fordern schon lange ein Lieferkettengesetz. Wie optimistisch sind Sie, dass es trotz des drängenden Krisenmanagements kommen wird?

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ein freiwilliger Ansatz allein nicht reichen wird, um ganze Branchen zu ändern. Viele Firmen scheren sich einen Teufel darum, unter welchen Bedingungen ihre Rohstoffe abgebaut werden, ob zum Beispiel Kinderarbeit im Spiel ist oder nicht. Wir brauchen ein Gesetz, dass sicherstellt, dass in der gesamten Lieferkette Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden. Deutschland wollte das Thema auf die Agenda setzen, wenn es in der zweiten Hälfte des Jahres den EU-Ratsvorsitz übernimmt. Wir werden sehen, ob die Diskussion um Euro-Bonds und andere Corona-Hilfen so dominant sein wird, dass sie andere Themen verdrängt.

Eine Kritik am Fairtrade-Konzept ist, die Bauern müssten bereits reich und gut organisiert sein, um das Konzept umsetzen zu können.

Es stimmt, dass die Kakao- und Kaffeebauern in einer Kooperative organisiert sein müssen und auf einem Niveau sein müssen, dass sie am Exporthandel teilnehmen können. Denn die Idee von Fairtrade beruht, wie der Namen schon sagt, auf Handel. Entwicklungsorganisationen wie Misereor, die Welthungerhilfe und Brot für die Welt arbeiten daran, die Basis für diese stabile Selbstorganisation zu fördern. Dennoch: Fairtrade erreicht mit seinem Entwicklungsansatz ganz klar marginalisierte Kleinbauernfamilien und Plantagenbeschäftigte. In Mexiko schulen die Bauern einander und es gibt einen Hilfsfonds für diejenigen, die sich die Zertifizierung für 500 Euro nicht leisten können. Aber uns ist völlig klar, dass wir nicht die Welt retten können. Das ist auch eine Absatzfrage: Wenn wir Millionen Bauern zertifizieren, dann verkaufen sie alle nicht genug. Sie müssen 30 bis 40 Prozent der Ernte fairtrade absetzen, damit sie die Chance haben, die Mittel umzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, so viel Druck aufzubauen, dass Firmen wie Chiquita und Nestle sich zunehmend erklären müssen.

Sie haben Transfair vor 28 Jahren in Köln-Sülz selbst gegründet. Erzählen Sie uns, wie das lief.

Ich habe BWL studiert, mit Marketing und Personal als Schwerpunkt. Aber irgendwie bin ich danach in einer Sinnkrise gelandet: Soll das alles zu mehr Staubsaugern führen? Ende der 80er Jahre suchten Misereor und Brot für die Welt dann jemanden mit BWL-Kenntnissen und dem nötigen Idealismus, der ein Jahr lang ausprobiert, ob sich das Konzept der Eine-Welt-Märkte auf Supermärkte übertragen lässt. Ich hatte damals schon lange ehrenamtlich im Vorstand von Amnesty International gearbeitet und bekam den Posten. Anfangs hießen wir noch „Arbeitsgemeinschaft Kleinbauernkaffee“, aber es hat sich schnell gezeigt, dass wir damit nicht ernst genommen wurden.

Was war für Sie der Durchbruch?

Wir haben damals mit einer Kölner Agentur den Namen Transfair entwickelt und das Logo, mit Juristen die Lizenzverträge und das dazugehörige Kontrollverfahren. Wir wollten ein lebendiges Siegel gründen, keine Ablassplakette. Es war klar, dass wir mit Kaffee anfangen würden. Nicht klar war, ob wir einen Röster finden würden und jemanden, der sich den Kaffee ins Regal stellt. Hier hat uns geholfen, in Köln Verbindung zu haben: Rewe hat sich Ende 1992 entschieden, als erste Handelskette einen Fairtrade-Kaffee ins Sortiment aufzunehmen.

Auch die Umstellung auf Fairtrade-Rosen bei Rewe war sehr wichtig für uns. Das hat das Konzept massentauglich gemacht, denn im Supermarkt gibt es nur eine Sorte Rosen zu kaufen – nicht wie beim Kaffee regalweise andere Produkte. Als Lidl dann die erste Handels-Eigenmarke Fairglobe für Kaffee, Bananen und Orangensaft entwickelt hat, war das für uns ein wichtiger Durchbruch. Und wenn Lidl etwas macht, macht Aldi das natürlich schnell nach. Heute ist das Produktsortiment mit einem Fairtrade-Siegel auf gut 7.000 angewachsen.

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Gerade bei Lidl mussten Sie zuletzt aber auch einen Rückschlag hinnehmen…

Lidl hatte sich 2018 dazu entschieden, zu  hundert Prozent auf Fairtrade-Bananen umzustellen und neben den fairen Bio-Bananen auch faire konventionelle Bananen anzubieten, für 1,09 Euro im Preiseinstieg. Daraufhin ist den Mitwettbewerbern nichts Besseres eingefallen, als ihre Bananen zum Sonderpreis von 88 Cent zu verkaufen. Daher hat Lidl auch wieder andere Bananen ins Sortiment aufgenommen. Da hat der Markt seine gnadenlose Härte im Preiskampf gezeigt. Bananen treiben mich wirklich in die Verzweiflung. Der Skandal ist doch, dass Menschen glauben, sie haben das Recht, sie für unter einen Euro zu bekommen. Es gibt kein billigeres Produkt, selbst Äpfel kosten mehr, und die kommen gleich hier aus der Region.

Dennoch war 2019 für Sie ein Rekordjahr. Wie blicken Sie nach vorne?

Wir sagen mit Erfolg und Sorge, dass 2019 das beste Jahr in unserer Geschichte war. In den vergangenen 15 Jahren sind wir zweistellig gewachsen. Dieses Jahr sind wir froh, wenn wir am Ende eine schwarze Null herausbekommen oder vier bis fünf Prozent Wachstum. Die Erwartung reduziert sich natürlich angesichts der dramatischen Situation der vergangenen Wochen.

Glauben Sie, dass die Welt durch die Krise gerechter werden kann?

Schon vor Corona war Ausbeutung ein Auslaufmodell. Es gab zuletzt immer mehr gesellschaftliche Debatten darüber, dass Unternehmen auch Verantwortung für die ersten Glieder der Lieferkette übernehmen müssen. Entwicklungsminister Gerd Müller hat das Thema auf die politische Agenda gesetzt  und auch die wirtschaftlichen Akteure reagieren. Selbst ein Konzern wie Ferrero, der Fairtrade vor zehn Jahren nicht mit der Zange angefasst hätte, sagt heute: Wir müssen den Anbau attraktiver gestalten, damit junge Leute eine Lebensperspektive im Agrarbereich bekommen. Wenn es niemanden mehr gibt, der Kakao für einen Euro am Tag erntet, funktioniert das aktuelle System nicht mehr.

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