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Kölner GründerMehrere Generationen unter einem Dach – löst das den Wohnungsmangel?

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Zwei Studenten und eine ältere Frau lächeln in die Kamera.

Maria Bögner (rechts) aus Köln mit den beiden Austauschstudenten Sara aus Slowenien und Emil aus England.

Ein Kölner Gründer will Jung und Alt in Wohngemeinschaften zusammenbringen. Die Idee ist nicht neu – birgt aber Potenzial.

Maria Bögners vier Kinder wünschten sich alle ein eigenes Zimmer. Also bauten die Bögners ihr Haus in Köln-Sürth um, steckten zehntausende Euro hinein, schafften Raum für das Erwachsenwerden mit Privatsphäre. Dann zog als erstes Philipp, der älteste Sohn, aus. Nach und nach taten es ihm seine Geschwister gleich. Das Haus leerte sich, der teuer erkaufte Platz blieb.

Nicht nur sogenannte „Empty Nester“ wie die Bögners, deren Kinder gerade das Elternhaus verlassen haben, wohnen irgendwann in einem Zuhause, das für sie eigentlich zu groß ist. Viele Senioren bleiben Jahrzehnte in einer Wohnung oder einem Haus, das ihrem Anspruch längst nicht mehr genügt. Etwas Barrierefreies wäre schön, etwas weniger Wohnfläche, um die man sich kümmern muss. Junge Familien hingegen suchen händeringend Wohnungen mit vier oder fünf Zimmern, die es in Köln kaum gibt.

Dass Wohnraum nicht bedarfsgerecht verteilt ist, wissen Politik, Kommunen und Wohnungswirtschaft ebenso wie die Betroffenen. „Die Nachfrage nach altersgerechtem Wohnraum steigt durch den demografischen Wandel kontinuierlich, doch das Angebot entwickelt sich in die entgegengesetzte Richtung“, sagt Gesa Crockford, Geschäftsführerin der Immobilienplattform Immoscout 24. „Altersgerechte Wohnungen sind zudem häufig teure Neubauten. Das hält ältere Menschen in ihren bestehenden, oft zu großen Wohnungen – und verschärft so die Wohnungsknappheit für alle Generationen.“ Allein in Köln fehlen bis zum Jahr 2040 Berechnungen der Deutschen Bank zufolge 50.000 Wohnungen.

Familie Bögner vermietet seit 15 Jahren an Studenten

Bei den Bögners löste Sohn Philipp das Problem der Eltern. Er sagte: „Jetzt habt ihr so viel Geld investiert, und die Zimmer werden nach und nach leer. Warum sucht ihr euch nicht Untermieter?“ So berichtet es Maria Bögner beim Hausbesuch. Erst sei sie skeptisch gewesen - nun wegen ihrer Privatsphäre. „Wir haben ja ein Familienhaus, hier kann man nichts abtrennen, es gibt keinen eigenen Eingang für die Untermieter.“

Im Jahr 2010 fasste sie sich dennoch ein Herz und nahm Kontakt zur Wiso-Fakultät der Uni Köln auf. Eine Bekannte hatte erzählt, dass die Hochschule händeringend nach Wohnraum für Austausch-Studierende suche. „Wir hatten eine indische Studentin bei uns und das war so wunderbar, dass diese Erfahrung die Tür für alle weiteren geöffnet hat“, sagt Bögner. Seitdem haben sie jedes Jahr mehreren Studenten ihre Tür geöffnet, nur einmal habe es nicht gut geklappt.

Zwei Männer und eine Frau in blauen Shirts lächeln in die Kamera

Ingemeinschaft-Gründer (von links): Philipp Bögner, Anne Hufnagel und Andre Schmöller

In den Anfangsjahren teilten sich die Untermieter ein Bad mit Tochter Barbara im Dachgeschoss des Hauses. Als diese auszog, vermieteten die Eltern auch ihr Zimmer. Inzwischen können sich die Bögners kein anderes Leben mehr vorstellen, sagen sie.

Auch finanziell ist der Deal für beide Seiten attraktiv. „Das Haus kostet ja laufend Geld, da steuert die Miete einen Teil bei, um die Kosten zu decken“, sagt Bögner. Die Studenten im Gegenzug zahlen zwischen 390 und 420 Euro pro Monat – und damit weit weniger als für durchschnittliche WG-Zimmer in Köln.

Start-up aus München will Jung und Alt zusammenbringen

Bögners Sohn Philipp machte aus der Idee ein Geschäftsmodell. Der 40-Jährige wohnt inzwischen in München und hat dort 2024 die Firma „Ingemeinschaft“ gegründet. Die Plattform soll ältere Personen mit verfügbarem Wohnraum mit jungen Wohnungssuchenden zusammenbringen und so generationsübergreifende Wohngemeinschaften schaffen. „Unsere Idee ist, dass die Menschen nicht nur Wohnraum, sondern auch Alltag, Erfahrungen und Gemeinschaft teilen“, sagt Bögner. „Wir möchten nicht nur bezahlbaren Wohnraum schaffen, sondern auch ein unterstützendes Umfeld fördern, in dem Menschen voneinander lernen, sich gegenseitig stärken und neue Formen des Miteinanders entstehen können.“

Rund 20 Wohnpartnerschaften hat das Start-up eigenen Angaben zufolge im Großraum München bislang vermittelt. Die Vermieter sind zwischen 57 bis 81 Jahren alt, die Mieter zwischen 22 und 51 Jahre. „Viele unserer Vermieter brauchen das zusätzliche Geld nicht, aber freuen sich über die Gemeinschaft“, sagt Bögner. Geld verdient die Firma erst dann, wenn die Vermittlung erfolgreich war. Der Untermieter zahlt 49 Euro pro Monat an Ingemeinschaft, maximal zwölf Monate lang. „Das zahlt nicht alle Gehälter unserer zehn Mitarbeiter, aber mit der Menge wird das schon werden“, sagt Bögner. 

Das Bundeswirtschaftsministerium bezuschusst die Firma mit 250.000 Euro für zwei Jahre. Doch die Förderung ist daran gebunden, dass Ingemeinschaft 100 Partner-Organisationen befähigt, ebenfalls Mehrgenerationenwohnen voranzutreiben. Wenn sie die hundert Partner nicht schaffen, muss das Geld zurückgezahlt werden. Bis zum Jahresende will Bögner 50 Partner haben, er und sein Team sind deshalb in Köln und Berlin unterwegs, um über ihr Projekt zu sprechen. „In Köln haben wir zum Beispiel mit der evangelischen Kirche und einem Seniorenzentrum gesprochen“, sagt Bögner. Die Resonanz sei immer ähnlich: spannend, kommt mal vorbei und stellt euch vor.

Mehrheit steht Mehrgenerationenwohnen kritisch gegenüber

In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass die meisten Menschen solche Vorstöße zwar interessant finden, ihren eigenen Wohnraum aber weder teilen noch aufgeben möchten. Einer repräsentativen Umfrage der Plattform Immoscout24 zufolge bewertet mehr als die Hälfte der Befragten das Konzept Mehrgenerationenwohnen negativ. Sie haben vor allem Bedenken, dass die Lebensgewohnheiten zu unterschiedlich sind, die Privatsphäre fehlt und dass es Konflikte zwischen den Generationen geben könnte.

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Je älter, desto eher können sich Menschen eine Wohngemeinschaft mit Jüngeren vorstellen

Für das eigene Alter kann sich dann aber wiederum ein Drittel vorstellen, Wohnraum mit jemandem zu teilen, würden diese Wohnform sogar bevorzugen – vor allem, wenn die Lebensrealität konkret wird. Je älter die Befragten sind, desto größer fällt die Zustimmung zum Mehrgenerationenwohnen aus. Allerdings: Wenn Wohnraum geteilt wird, dann am liebsten mit der eigenen Familie. Nur zehn Prozent könnten sich vorstellen, mit nicht-verwandten Personen unter einem Dach zu leben. 

LEG suchte in Köln Tauschwohnungen für Senioren – ohne Erfolg

Die Alternative zur Wohngemeinschaft ist, sein Zuhause zugunsten einer passenderen Wohnung aufzugeben. Das scheitert in der Praxis vor allem an drei Dingen: Verfügbarkeit, Preis und Umfeldwechsel. Die Immobiliengesellschaft LEG hatte 2017 das Programm „Wohnen für Generationen“ aufgelegt. Wenn kleinere Wohnungen frei werden, sollten diese gezielt älteren Menschen in deren Wohnumfeld angeboten werden.

Mit zwei Versprechungen wollte die LEG die Senioren für die Verkleinerung gewinnen: Zum einen wurde zugesichert, dass die neue, kleinere Wohnung im selben Quartier liegt, die Senioren also in ihrem Umfeld bleiben können. Zum anderen gab es einen starken finanziellen Anreiz: Die alten Mietkonditionen – also der Quadratmeter-Mietpreis – wurde auf die neue Wohnung übertragen. Das heißt: Wer vorher für 100 Quadratmeter 1000 Euro bezahlt hatte, der zahlte nun für die 60 Quadratmeter große Wohnung 600 Euro.

„Leider haben wir in der Tat dieses Projekt schon vor Jahren einstellen müssen – aufgrund mangelnder Resonanz. Wir haben die Erfahrung machen müssen, dass das Konzept nicht aufgeht“, berichtet ein LEG-Sprecher. Insgesamt habe es damals nur zwölf Wohnungstausche gegeben. „Das mediale Interesse war stets groß, nur die Resonanz nicht. Daher wird es auch keine Fortsetzung geben.“

Und so bleibt es wohl erst einmal bei der Initiative einzelner wie Maria Bögner. „Wir haben überlegt, auch mal längerfristig zu vermieten, aber wir schätzen gerade die Flexibilität der aktuellen Lösung“, sagt sie. Zu Weihnachten ist das Haus nämlich immer voll, mit Kindern und Enkeln, da brauche sie den Platz. Ein Haus weiter überlegt die Nachbarin, ob sie es den Bögners gleichtut: Unter ihrem Dach lebten einst sechs Personen, nach dem Tod des Mannes ist die Frau allein. Vielleicht nicht mehr lange, wenn sie auch zur Vermieterin wird.