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Kölner investierte in Start-upKräuter fürs Weltall oder fürs Wohnzimmer

6 min
Indoor-Garten: Aus einem beleuchteten Holzkasten wachsen Gemüse und Kräuter.

Indoor-Garten: Aus einem beleuchteten Holzkasten wachsen Gemüse und Kräuter. Eine besondere Technik macht das möglich.

Der Indoor-Wandgarten Myriad ermöglicht es, Gemüse und Kräuter ohne Tageslicht anzubauen – mittels integrierter Nasa-Technologie. Ein Kölner Unternehmer investierte in das Start-up.

Neuerdings wachsen in der Kölner Design-Agentur Rincón Kräuter und Salate. Nicht draußen auf der Terrasse am Stadtgarten, sondern innen, an der Wand. Die wuchernden Pflanzen haben tatsächlich nichts mit dem dekorativen Grünzeug zu tun, wie es seit ein paar Jahren in vielen Cafés aus Töpfen übers Mobiliar rankt, es handelt sich um echte Nutzpflanzen, die dank Nasa-Technologie, Licht und Wasser saisonunabhängig wachsen. Selbst in einem Keller gedeihen sie. Aus einem beleuchteten Holzkasten wachsen Eichblattsalat, Thaibasilikum, Wilder Rucola, Lila Pak Choi, Zitronenmelisse und noch vieles mehr. Nicht zu vergessen: Buschbohnen und Tomaten hat Matthias Rincón kürzlich geerntet. Der Kasten im Setzkastenformat heißt Myriad, wie die junge Firma, die ihn erfunden hat, und der Besitzer der Kölner Agentur, Matthias Rincón, ist mit sieben weiteren Investoren an dem Start-up Myriad beteiligt.

Matthias Rincón sitzt an einem Holztisch und lacht in die Kamera.

Matthias Rincón ist mit sieben weiteren Investoren an dem Start-up Myriad beteiligt.

Der Name des Gartensystems ist abgeleitet von Myriade aus dem Altgriechischen, das im Singular 10.000 bedeutet und im Plural eine große Vielfalt. Wo an der Oberfläche sinnliches Grünzeug glänzt, arbeitet im Inneren Nasa-Technologie. Die beiden Erfinder, Yannic Hönle (36) und seine Geschäftspartnerin und Verlobte Miriam Martín González (32), sind beide Raumfahrtingenieure, „mit der Technik sind wir durchaus vertraut“, sagt Hönle. Der Kölner Investor Rincón hat das Paar und ihr Pflanzensystem bereits 2023 bei einem Hospitality-Kongress kennengelernt. Damals gehörte er selbst noch mit seinem weiteren, mittlerweile ehemaligen Unternehmen ipartment, der Branche an; als Erster in Deutschland etablierte er gewerbliche Serviced-Apartments.

Ein Grundgedanke zur Erfindung: wie ernähren sich Menschen während interplanetarer Reisen ressourcenschonend und vitaminreich?

„Ich war nicht nur von der Idee und vom Produkt sofort sehr angetan, sondern auch von seinen beiden Gründern“, sagt Rincón. Martín González und Hönle haben ihre Firma 2022 gegründet, nachdem sie zwei Jahre lang am System getüftelt hatten. Eigentlich hatte das Paar eine Weltreise geplant, doch dann durchkreuzte die Pandemie ihre Pläne. Schließlich überlegten sie weitere Optionen, um mit dem zurückgelegten Geld etwas Sinnvolles machen zu können. „Es fügte sich schnell alles zusammen“, sagt die gebürtige Spanierin Martín González, die zu diesem Zeitpunkt an ihrer Masterarbeit schrieb. Darin beschäftigte sich die angehende Ingenieurin mit der Frage, wie sich Menschen während interplanetarer Reisen ressourcenschonend und vitaminreich ernähren können.

Ihre Forschung war der Grundstein für die Unternehmensgründung. Dazu kam die Tatsache, dass bei dem Paar keine Topfpflanze länger als zwei Wochen überlebte. „Wir haben beide keinen grünen Daumen, wollten aber unbedingt unser eigenes Gemüse anbauen und einmal Erfolg haben bei der Aufzucht“, fasst Hönle zusammen. 

Neben Rincón konnten sie weitere sieben Investoren überzeugen, 600.000 Euro waren damals nötig, um das Produkt zur Serienreife zu bekommen. „Das ist mehr als gelungen“, ich bin sehr zufrieden mit der Entwicklung“, sagt der Kölner Agentur-Betreiber. Und Hönle ergänzt: „Wir haben für unseren technologiebasierten Gartenbau zahlreiche Design- und Start-up-Awards gewonnen, jetzt wollen wir das Marketing und den Vertrieb ausbauen. Das Produkt muss nun zielgruppengerecht positioniert werden.“

Erstes Pflanzprojekt im umgebauten Ikea-Kleiderschrank

Das hätte sich Rincón natürlich schon früher gewünscht. „Aber der Fokus lag auf der Serienreife, was schon ein hoch komplexes Unterfangen war“, sagt Rincón. Jetzt, um das Marketing und den Vertrieb ausbauen zu können, ist frisches Geld notwendig: 1,2 Millionen für zwei Jahre. Dazu muss man den Anfang der Produktentwicklung kennen: Ihr erstes Pflanzprojekt mit Bohnen und Tomaten realisierte das Paar in einem umgebauten Ikea-Kleiderschrank – und der technologische Durchbruch ließ nicht lange auf sich warten: „Wir waren bei einer Hochzeit in Indien eingeladen, und als wir nach zehn Tagen zurückgekehrt sind, dachten wir, alle unsere Pflanzen sind tot – wie immer. Stattdessen ist die Bohne so stark gewachsen, dass sie um die LEDs rankte. Uns war klar: Die Sache funktioniert.“

Daraufhin kauften sie die Einzelteile im Baumarkt, produzierten die Pflanzgefäße mit dem 3D-Drucker, „selbst die Leiterplatten haben wir gelötet und in einem kleinen Ofen mit den Komponenten selber gebacken“, erinnert sich Martín González an diese Zeit. Die selbstgebauten Prototypen bekamen Freunde und die Familie, und als auch da die Ernte erfolgreich war, bewarb sich das Paar erfolgreich an der Universität Bayreuth um ein Gründungsstipendium, fanden acht Investoren und konnten ihr Business starten. Heute zählt ihr Betrieb sieben Mitarbeiter.

Der Wandkasten mit schon groß gewachsenen Pflanzen ist zu sehen. Eine Hand hält einen Kräutertopf in die Kamera.

In den Töpfen gedeiht das Saatgut in nahrhaftem Kokosschaum.

Nach drei Jahren sehen die Wandgärten hochprofessionell und stylisch aus. 16 Gefäße finden in dem Holzkasten Platz. Darin gedeiht das Saatgut ohne Erde: Die Töpfe sind mit nahrhaftem Kokosschaum ausgekleidet. Was man braucht, ist Wasser und Strom für die intensive und dem Sonnenlicht sehr ähnliche LED-Beleuchtung. Kein Gießen, kein Dünger, kein Tageslicht.

Nährstoffreicher Nebel versorgt die Pflanzen

Die Versorgung der Pflanzen gelingt über die automatisierte Abgabe eines nährstoffreichen Nebels – es ist eine von der Nasa entwickelte Technologie, um im Innenraum ohne Tageslicht Pflanzen pflegeleicht anzubauen, um Menschen im Weltraum ernähren zu können. In einem gewissen Rahmen wachsen die Pflanzen nach. Nach rund drei Monaten muss jedoch neue Saat her.

160 verschiedene Salate, Kräuter und Gemüsesorten haben Hönle und Martín González mittlerweile getestet. Gelegentlich brummt der Kasten auch, erzählt Rincón nach bereits monatelanger Erfahrung. Das hört sich dann an wie der leere Magen eines gefräßigen Tieres. Aber statt nach Futter schreien die Pflanzen quasi nur nach Wasser, das der Gartenbesitzer dann in den Holzkasten schüttet, etwa sechs Liter im Monat. Mehr Pflege ist nicht verlangt, bei dieser Form des Gärtnerns werden noch nicht einmal die Hände schmutzig.

Für die Zukunft der Firma ist nun die Weiterentwicklung des Konzepts wichtig. Rincón, der nicht nur am finanziellen Erfolg interessiert ist, sondern aufgrund seiner lebenslangen Erfahrung als Unternehmer das Start-up auch strategisch berät, will nun ein Abo-Modell für den Wandgarten initiieren. „Auf Wunsch mit einem Servicepaket, das auch die Lieferung der Saat inkludiert.“

Da Rincón seit diesem Jahr an einem weiteren Start-up beteiligt ist, das Auto-Abos inklusive aller Serviceleistungen wie Versicherung, Steuer usw. vermittelt, ist er von einer solch komfortablen wie flexiblen Lösung auch bei den Wandgärten mehr als überzeugt. Bislang waren die Abnehmer der 800 Euro teuren Wandgärten vor allem Privatleute. Hobbygärtner, leidenschaftliche Köche, Familien. „Jetzt wollen wir B2B ausbauen.“ Er meint, Hotels, die gesamte Hospitality-Branche, Schulen, Kindergärten, Gastronomie und Kantinen als Kunden gewinnen. „Die Resonanz ist bisher sehr erfreulich“, sagt Hönle. Und berichtet von einem Großauftrag für die Stäy-Service-Apartments im Rhein-Main-Gebiet. Da soll es demnächst an einer ganzen Wand in der Lobby sprießen.

Die Bewohner kaufen dann nicht mehr abgepackte Kräuter im Supermarkt, wovon in den Single-Haushalten in der Regel die Hälfte weggeworfen wird. Künftig sollen sie mit der Schere nach Bedarf ernten können und Ananasminze, Orangenthymian, brasilianische Paprika und vieles mehr mit in ihre Wohnungen nehmen können.


Der Myriad-Garten Die Anschaffung kostet 800 Euro, 16 Pflanzen werden mitgeliefert. Die Saat kommt von einem auf Indoor-Pflanzenzucht spezialisierten Händler aus der Region Bayreuth. Von Ananasminze, Schokominze, Orangenthymian, Berg-Rosmarin, Zitronenmelisse, Römische Kamille bis Vietnamesischer Koriander

Die Betriebskosten Im System gibt es nur wenig Verlust, es verbraucht 99 Prozent weniger Wasser und Dünger als die konventionelle Landwirtschaft. Die Stromversorgung kostet zwischen zwei und drei Euro pro Monat. Rund sechs Liter Wasser sind pro Monat notwendig.