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AltersvorsorgeKölner Vermögensverwalter: Deutsche sollen erst mit 70 in Rente

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Ein älteres Paar sitzt auf einer Bank. Der gesetzlichen Rente in Deutschland droht der Kollaps – betriebliche und private Altersvorsorge sind schwach entwickelt, sagt eine Studie von Flossbach von Storch

Der gesetzlichen Rente in Deutschland droht der Kollaps – betriebliche und private Altersvorsorge sind schwach entwickelt, sagt eine Studie von Flossbach von Storch

Der gesetzlichen Rente in Deutschland droht der Kollaps, sagt eine Studie des Kölner Vermögensverwalters Flossbach von Storch. Der Autor fordert einen deutlich späteren Eintritt in den Ruhestand. 

Eine Studie des Kölner Vermögensverwalters Flossbach von Storch stellt dem deutschen Rentensystem ein katastrophales Zeugnis aus. Der gesetzlichen Rente in Deutschland drohe der Kollaps – auch die betriebliche und private Altersvorsorge sei im internationalen Vergleich schwach entwickelt, sagt Studienautor Sven Ebert, promovierter Mathematiker und Wissenschaftler am Flossbach von Storch Research Institute.

„Die gesetzliche Rente bildet mit einem Anteil von 53 Prozent an den gesamten Alterseinkommen ein Klumpenrisiko bei der Altersvorsorge. Sie muss reformiert werden und es muss diversifiziert werden“, sagt Ebert. Aufgrund der Alterung der deutschen Gesellschaft stehe die gesetzliche Rente zunehmend unter Finanzierungsdruck. „Hält die Politik bis 2035 an der ‚Haltelinie‘ von 48 Prozent fest, wird die Belastung pro sozialversicherungspflichtig Beschäftigtem durch die gesetzliche Rente in den nächsten zehn Jahren um rund 70 Prozent steigen“, heißt es in der Studie.

Nur 52 Prozent der deutschen Arbeitnehmer besitzen eine betriebliche Altersvorsorge
Sven Ebert, Mathematiker, Storch Research Institute

Eine potenzielle Abschwächung der Rentenkrise bietet die Säule von Betriebsrenten, bei denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusätzlich zur gesetzlichen Rente einen privaten Baustein fürs Alter schaffen. Doch die Untersuchung kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Nur 52 Prozent der deutschen Arbeitnehmer besitzen demnach eine betriebliche Altersvorsorge. Hinzu kommt: Der Bestand an staatlich geförderten privaten „Riester-Renten“ sinkt seit Jahren und umfasst heute nur noch zehn bis zwölf Millionen aktive Verträge.

Die Probleme der deutschen Rentenversicherung liegen aber nicht nur im Versicherungssystem selbst begründet. Die Altersvorsorge leidet laut Flossbach von Storch Research Institute unter einer alternden Gesellschaft und schwachem Wirtschaftswachstum. „Zu wenig Geburten und eine steigende Lebenserwartung sorgen für demografischen Druck. Im Jahr 2035 wird ein Ehepaar den Wohlstand für sich selbst, die eigenen Kinder und einen Rentner erwirtschaften müssen“, sagt Studienautor Ebert.

Sven Ebert, Wissenschaftler bei Flossbach von Storch, ist im Porträt vor einer Bücherwand zu sehen.

„Im Jahr 2035 wird ein Ehepaar den Wohlstand für sich selbst, die eigenen Kinder und einen Rentner erwirtschaften müssen“, sagt Sven Ebert, Wissenschaftler bei Flossbach von Storch und Studienautor.

Produktivitätssteigerungen könnten das demografische Problem dämpfen, sind aber seit längerem nicht zu beobachten. Die Teilnahme von Zuwanderern am Arbeitsmarkt, eine weitere Möglichkeit, den demografischen Druck zu mildern, sei sowohl bei EU-Ausländern als auch bei Menschen aus Drittstaaten eingeschränkt.

Studie: „Für die Mittelschicht sind Kinder damit Luxus“

Falsche Anreize und verfehlte Wirtschaftspolitik erschwerten die Vorsorge im Alter zusätzlich. „Ruhestandsprivilegien verschärfen den Fachkräftemangel und belasten die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, während die Unterstützung für Familien unzureichend und die Belastung von jungen Menschen zu hoch ist“, sagt Ebert.

Eltern erhielten keinen Beitragsrabatt in der gesetzlichen Rente, obwohl sie deren langfristigen Fortbestand sicherten. „Dazu ist Kinderbetreuung in Teilen Deutschlands ein knappes und teures Gut. Insbesondere für die Mittelschicht sind Kinder damit Luxus“, so das Urteil des Studienautors.

Die Rente mit 63 kostet die Allgemeinheit aktuell rund 20 Milliarden Euro pro Jahr
Sven Ebert

Harsche Kritik übt der Finanzwissenschaftler auch an dem anhaltenden Trend zur frühzeitigen Verrentung in der Bundesrepublik. „Die Rente mit 63 hat die im Zuge der Agenda 2010 abgeschafften Vorruhestandsregelungen weitestgehend ersetzt und kostet die Allgemeinheit aktuell rund 20 Milliarden Euro pro Jahr“, sagt Ebert. Darüber hinaus verstärke sie den Fachkräftemangel.

Die Belastung durch Steuern und Abgaben könne - auch aufgrund der Ruhestandsprivilegien - in Deutschland fast 50 Prozent der Lohnkosten betragen und liege damit gut 15 Prozentpunkte über Ländern wie Kanada oder Großbritannien, mit denen Deutschland um qualifizierte Zuwanderer konkurriere. Entsprechend schlägt der Wissenschaftler vor, ins Ausland zu schauen und nach Vorbildern zu suchen. „Bei ‚demografie-festen‘ Systemen im Ausland geht staatliche Grundversorgung mit kapitalgedeckter Zusatzversorgung Hand in Hand“, sagt der Wissenschaftler, gibt aber auch zu bedenken: Die Stärkung kapitalgedeckter Elemente braucht Zeit. Sie stehe aber nicht im Widerspruch zu sozialem Ausgleich.

Die USA zeigen, welche Renditen in der Altersvorsorge bei konsequenter Anlage in Aktien möglich sind
Sven Ebert

Die demografie-feste Altersvorsorge im Ausland verknüpft die gesetzliche Rente zur Absicherung des Existenzminimums mit Kapitalmarkt-naher betrieblicher oder privater Vorsorge zum Erhalt des Lebensstandards. „Die USA zeigen, welche Renditen in der Altersvorsorge bei konsequenter Anlage in Aktien möglich sind. In den Niederlanden sieht man die gesellschaftlichen Vorzüge einer flächendeckenden betrieblichen Altersversorgung.“

Ein breiter gesellschaftlicher Aufbruch an den Kapitalmarkt brauche Zeit, sei aber möglich, ist Experte Ebert überzeugt. In Kanada verdoppelte sich der Anteil von Fonds und Aktien am Finanzvermögen der privaten Haushalte in den vergangenen 30 Jahren von 20 Prozent auf 40 Prozent.

Damit greift Sven Ebert einen Vorschlag des früheren Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP) auf. Dieser plante in seiner Amtszeit ein staatlich gefördertes Altersvorsorgedepot. Auf diesem Weg sollten Menschen über den Aktienmarkt besser für ihre Rente vorsorgen können. Lindner nannte das Altersvorsorgedepot vor knapp einem Jahr einen „Gamechanger“, der den demografischen Wandel und die schrumpfende Zahl der Beitragszahler abfedern sollte.

Lob für Lindners Aktienrentenplan

„Länder wie Schweden sind uns mit der Aktienrente 25 Jahre voraus. Es ist Zeit, dass auch Deutschland den nächsten Schritt geht: hin zu mehr Wahlfreiheit und mehr Chancenorientierung. Zeit für eine neue Kapitalmarktkultur“, postete der FDP-Politiker im September 2024 im Kurznachrichtendienst X, als er noch im Amt war. Zum Hintergrund: Der Anteil relativer Altersarmut ist in Schweden, das eine gesetzliche Basisrente mit einer aktienbasierten Zusatzversorgung kombiniert, nur etwa halb so hoch wie in Deutschland.

Als Fazit der Studie gibt Finanzwissenschaftler Ebert für Deutschland konkrete Handlungsempfehlungen. „Das Renteneintrittsalter sollte 70 Jahre betragen. Privilegien wie die ‚Rente mit 63‘ sollten abgeschafft werden“, fordert er. Die gesetzliche Rente sollte Ebert zufolge künftig eine Basisabsicherung sein, die nicht vom früheren Lohn abhänge und für alle Bürger knapp oberhalb des Bürgergelds liege.

Betriebliche und private Vorsorge müssten von Kapitalgarantien und bürokratischer Komplexität befreit werden, um höhere Renditen zu ermöglichen und die Verbreitung insbesondere der betrieblichen Altersversorgung zu verbessern. „So kann der Lebensstandard weiter Teile der Bevölkerung im Alter gesichert werden“, so Ebert. In der privaten Vorsorge sollte das Konzept des Altersvorsorgedepots der letzten Bundesregierung wieder aufgenommen werden, das bislang nicht über den Planungsstatus hinauskam.