Lanxess-Chef„Wer jetzt vor die Tür geschickt wird, fällt in die Arbeitslosigkeit“

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Matthias Zachert, Vorstandsvorsitzender von Lanxess, beim Interview im Lanxess Tower am Kölner Rheinufer

  • Matthias Zachert ist Vorstandsvorsitzender des Kölner Chemiekonzerns Lanxess, in dessen Zentrale am Rheinufer in normalen Zeiten 1200 Menschen arbeiten. Aktuell ist es nicht einmal die Hälfte.
  • Beim Interview im Lanxess Tower hat der Manager von den Aussichten des Konzerns in der Krise gesprochen, welche Rolle dabei Desinfektionsmittel gespielt haben und welche Einfluss dabei die Afrikanische Schweinepest hat.
  • Außerdem geht es um Corona-Bonus statt Jobverlust, was eigentlich „schmutzige Chemie“ ist und wie die Zukunft der Lanxess-Zentrale aussehen könnte.

Herr Zachert, Lanxess wurde von der Krise hart getroffen. Umsatz und operativer Gewinn sind zweistellig rückläufig. Wie nachhaltig beschädigt die Pandemie den Konzern?

Im kommenden Jahr werden wir die Nachwirkungen noch spüren. Betrachten wir aber die nächsten zwei bis vier Jahre und gehen wir davon aus, dass demnächst ein Impfstoff kommt, dann wird uns die Krise eher nicht nachhaltig beeinträchtigen. Dass unser Umsatz zweistellig fällt, ist nicht überraschend, weil die gesamte Industrie rückläufig ist. Die Automobilisten haben zeitweise 50 bis 70 Prozent verloren. Im Vergleich zur Chemiebranche schlagen wir uns ebenfalls gut. Wettbewerber sind um 30 bis 50 Prozent gefallen, wir nur um zehn bis 20. Wir kommen also stabil durch diese heftige, weltweite Rezession.

Welche Rolle spielt die verringerte Abhängigkeit von der Autobranche?

Als ich 2014 bei Lanxess angefangen habe, hing über die Hälfte unseres Umsatzes an der Automobilindustrie. Jetzt sind es noch 20 Prozent. Hätten wir beispielsweise nicht unser Kautschukgeschäft verkauft, wären wir jetzt stark angeschlagen.

Zur Person

Matthias Zachert, 1967 in Bonn geboren, ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender des Kölner Spezialchemiekonzerns Lanxess. Nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann bei Mercedes-Benz studierte er von 1990 bis 1995 Betriebswirtschaft. Zachert war unter anderem tätig für Aventis Pharma, Kamps und Merck. Von 2004 bis 2011 war er Lanxess-Finanzvorstand. (hge)

Auch unsere Mitarbeiter bekommen mit, dass wir Krisen anders meistern als zuvor. Wir sind eines der wenigen Unternehmen, das einen Corona-Bonus ausschütten kann. Dass wir die finanzielle Stärke dazu haben, freut mich sehr. Andere Unternehmen kürzen Gehälter oder müssen umstrukturieren.

Sie haben also die Talsohle der Krise durchschritten und Ihre Mitarbeiter müssen keinen Jobverlust fürchten?

Ich habe meinen Führungskräften gesagt: Wer jetzt vor die Tür geschickt wird, der fällt in die Arbeitslosigkeit. Das war vor zwei Jahren noch ganz anders, da brummte die Konjunktur, und wer mit einer Abfindung nach Hause ging, hatte gute Chancen auf einen neuen Job. Das ist jetzt nicht mehr so. Wir haben alle in Lohn und Brot gelassen, und ich meine: Wenn nicht wir gut durch die Krise kommen, wer dann? Durch den Verkauf der Currenta-Anteile bekamen wir im April 780 Millionen Euro aufs Konto. Vor der Krise haben wir noch kleinere Verkäufe abgeschlossen, die wir heute so nicht mehr umsetzen könnten. Wir haben also Grund, zuversichtlich zu sein, sind aber weiter fokussiert und wachsam.

Das Segment Consumer Protection mit Dersinfektionsmitteln hat Ihnen in der Krise viel Freude bereitet. Welchen Anteil hat die Pandemie am Erfolg der Sparte?

Im Desinfektionsbereich machen wir ungefähr 100 Millionen Euro Umsatz. Durch Corona kamen in diesem Jahr etwa zehn Millionen Euro dazu. Die Pandemie war also kein Riesenbooster. Viel gravierender sind andere Trends, etwa im Bereich der Tiergesundheit. In immer mehr westlichen Ländern werden glücklicherweise keine Antibiotika mehr Tieren verabreicht. Umso wichtiger ist aber dann die Stallhygiene, sprich die Desinfektion. Vor vier Jahren haben wir uns in diesem Geschäft mit Zukäufen verstärkt und stellen nun eines der weltweit wichtigsten Produkte für die Desinfektion in der Tierhaltung her.

Die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest dürfte Ihnen in die Karten spielen...

Das ist ein viel größerer Treiber als Corona. Wir sind heute der Platzhirsch in dem Bereich und haben sowohl in Europa als auch in Amerika und Asien eine starke Position. Und wir wollen im Segment Consumer Protection künftig noch wachsen, auch durch weitere Zukäufe.

Um welche Größenordnung geht es bei möglichen Übernahmen?

Wenn wir Zukäufe alleine mit Fremdkapital finanzieren wollen, haben wir die Möglichkeit, zwischen einer und zwei Milliarden Euro zu investieren.

Am US-Standort El Dorado haben Sie Lithium gefunden. Welche Bedeutung hat das für Ihre Rolle als Batteriezulieferer?

Wir haben El Dorado damals wegen der Bromförderung gekauft und wussten nicht, dass die Brom-Sole auch Lithium enthält. Gelingt uns die Extraktion, wäre das ein Sechser im Lotto, eine Wertkreierung von Hunderten von Millionen Euro. Aber das können wir noch nicht endgültig absehen. Es geht bei der Batterie jedoch nicht nur um Lithium. In Leverkusen stehen unsere großen Phosphorchlorid- und Flusssäurewerke. Beide Stoffe braucht man für die Elektrolyt-Lösung in der Batterie. Und überdies haben wir den Kunststoff für die Batteriehülle und sind führend bei den Flammschutzmitteln. Wir sind mit dieser Aufstellung künftig ein attraktiver Zulieferer für Batteriehersteller.

Glauben Sie an die Zukunft des Elektroautos oder ist das bloß ein Hype?

Elektromobilität ist für die Autohersteller notwendig, um die Durchschnittsemissionen ihrer Flotten zu senken. Wir gehen fest davon aus, dass auch deshalb E-Autos ein Wachstumstreiber der nächsten zehn Jahre sein werden.

Sie haben kürzlich den Bau einer neuen Anlage für Ionenaustauscher angekündigt. Gibt es inzwischen eine Entscheidung über den Standort?

Noch haben wir sie nicht getroffen, aber gehen davon aus, in den nächsten drei bis sechs Monaten, darüber zu entscheiden.

Wie hoch sind die Chancen für Leverkusen?

Leverkusen hat eine Chance. Dort steht bereits eine Anlage, ebenso in Bitterfeld und in Asien. Nur in Amerika haben wir noch keine Anlage. Jetzt müssen wir schauen, ob wir Kompetenzen bündeln oder neue aufbauen. Auch Genehmigungszeiten spielen dabei eine Rolle. Wenn wir zwei Jahre auf die Genehmigung warten müssen, wird es schwierig. Dass die NRW-Landesregierung mit Entfesselungsgesetzen versucht, Gas zu geben bei Genehmigungen, ist eine gute Sache und macht den Standort für uns attraktiver.

Um wie viele Jobs geht es bei der Anlage?

Es könnten bis zu 100 Arbeitsplätze entstehen.

Sie haben vor einem Jahr angekündigt, sich von „schmutziger Chemie“ trennen zu wollen. Welche Fortschritte haben Sie gemacht?

Viele. Im Nachhaltigkeitsindex des Dow Jones sind wir in Europa gerade auf Platz eins gekommen, weltweit auf Platz zwei. Bis 2040 wollen wir klimaneutral sein. Nur zwölf Monate nach dieser Ankündigung haben wir unsere CO2-Emissionen schon um zehn Prozent reduziert.

Wie definieren Sie schmutzige Chemie?

Für uns sind das zum Beispiel Geschäfte mit einer extremen Energieintensität. Nehmen Sie das Geschäft mit Chromchemikalien, von dem wir uns just getrennt haben, weil es nicht mehr zu uns passte. Kautschuk war ebenfalls sehr CO2-intensiv. Wir schauen uns sehr konsequent unsere einzelnen Produkte und Werke an. Wo viel emittiert wird, fragen wir uns erst, ob wir die Prozesse optimieren können. Wenn das technologisch nicht geht, müssen wir raus aus dem Geschäft, wenn wir unsere Strategie wirklich umsetzen wollen.

Wo im Konzern haben Sie noch schmutzige Chemie?

In NRW, beispielsweise in Uerdingen, ist Kohle noch unsere Energiequelle. Wir arbeiten hier bereits daran, die Kohlekraftwerke zu ersetzen. Im ersten Schritt wahrscheinlich mit Gas, im nächsten dann mit grünem Strom. Überhaupt brauchen wir vor allem ab 2030 erhebliche Mengen grünen Strom zu einem wettbewerbsfähigen Preis. Da ist die Politik gefragt.

Ist das die größte Hürde auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Momentan ja. Die deutsche Industrie schafft sehr viel Wohlstand. Wenn wir diese Wertschöpfung im Land halten wollen, braucht es Kompromisse – beispielsweise bei Standorten von Windrädern. Wir brauchen gesellschaftlich mehr Bewegung, um sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich nachhaltige Lösungen zu finden.

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Brauchen Sie die große Konzernzentrale am Deutzer Rheinufer in Homeoffice-Zeiten eigentlich noch?

Aktuell haben wir viel Platz. Der Lanxess Tower hat eine Kapazität von 1200 Leuten, derzeit arbeiten aber ungefähr 60 Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice.

Kämen Sie künftig nicht auch mit der Hälfte der Büros aus?

Das haben wir durchaus schon analysiert. Nach Corona werden wir wahrscheinlich andere Arbeitsmodelle etablieren. Dann gibt es hier vielleicht für 2000 Angestellte die Möglichkeit zu arbeiten, wenn wir Mitarbeiter aus anderen Standorten hier her holen oder wir durch Akquisitionen wachsen. Aber nur die Hälfte wäre dann jeweils anwesend. Wir werden flexibler, was die Gestaltung des Arbeitsplatzes angeht.

Wie lange läuft der Mietvertrag für den Lanxess Tower?

Bis 2023, dann haben wir eine Verlängerungsoption. Aber darüber müssen wir heute noch nicht entscheiden.

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