Pro & Contra zu NachtflügenFliegen rund um die Uhr – muss das wirklich sein?

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Flughafen Köln/Bonn

Flughafen Köln/Bonn

  • Der Nachflugverkehr über der Region erhitzt regelmäßig die Gemüter von Anwohnern. Fliegen rund um die Uhr – ist das wirklich nötig?
  • Thorsten Breitkopf sagt: „Luftfracht geht nur mit Nachtflug – die bringt Medizin und Technik.“
  • Christian Hümmeler ist sicher: „Die Airlines werden mit nächtlichen Beschränkungen klug umgehen.“

Müssen Frachtmaschinen auch nachts starten, um die Wirtschaft am Laufen zu halten? Oder geht es auch mit mehr Rücksicht auf die Gesundheit der Anwohner? Unser Pro und Contra

Thorsten Breitkopf ist Chef des Wirtschaftsressorts und  hat Betriebswirtschaftslehre  studiert. Für ihn ist der Flughafen Köln/Bonn ein Tor zur Welt für die Wirtschaft und ein Jobmotor, der nur mit Nachtflügen erfolgreich arbeiten kann.

Der Flughafen Köln/Bonn ist das Tor zu Welt für unsere Region. Durch die Corona-Pandemie mit geschlossenen Fabriken und Reisebeschränkungen steckt nun die gesamte Luftfahrtbranche in der vielleicht tiefsten Krise ihrer Geschichte. Und an der Stelle spielt nun die Zwitterrolle von Köln/Bonn eine entscheidende Rolle.

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Die meisten anderen  Flughäfen des Landes stecken  viel tiefer in der Krise als Köln. Denn sie setzen wie etwa Düsseldorf fast ausschließlich auf Passagiere, während Köln/Bonn eines der drei wichtigsten Drehkreuze für die Luftfracht ist. Und eben dieser Cargo-Bereich boomte in der Krise. Und er versorgte Deutschland und speziell unsere Region mit Dingen, die das Überleben sichern. Seien es Medikamente, Impfstoffe, Schnelltests oder eben wichtige und teure Teile für die Industrie an Rhein und Ruhr. 

Fracht braucht Nacht

Als wohl einziger Großflughafen in Deutschland konnte Köln/Bonn sogar im Pandemiejahr 2020 operativ ein positives Ergebnis erzielen. Fracht schön und gut, aber warum ausgerechnet in der Nacht? Die Antwort ist einfach: Fracht braucht Nacht. Denn die internationalen Lieferketten müssen sich an unserem normalen Arbeitsrhythmus orientieren. Und der lautet in der Regel: Morgens mit der Arbeit beginnen und abends fertig werden. Dieser Arbeitsrhythmus in einer industrialisierten Welt heißt aber auch, dass notwendige Teile in der Nacht angeliefert werden müssen, um morgens zur Verfügung zu stehen. Und abends müssen die fertigen Teile wieder raus.  

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Thorsten Breitkopf ist Ressortleiter Wirtschaft beim Kölner Stadt-Anzeiger.

Das ist der Kern der Notwendigkeit nächtlicher Starts und Landungen. Nicht alles muss in der Nacht geflogen werden. Bestimmte Schlüssel-Waren aber eben doch, wollen wir unsere Lieferketten nicht noch stärker als durch Corona geschehen durchtrennen. Chipmangel und Rohstoffknappheit haben in den vergangenen Monaten ja bereits gezeigt, wie angreifbar unsere vernetzte Gesellschaft ist.

Verbot von Nachtflug führt zu Gewinneinbrüchen

Fracht braucht auch deshalb die Nacht, weil die internationalen Verkehre rund um die Uhr laufen. Was passiert, wenn der Nachtflug plötzlich verboten wird, hat man vor wenigen Jahren in Frankfurt gesehen. Durch das Nachtflugverbot verlor Lufthansa Cargo massiv an Boden, Gewinne brachen beim Flughafen ein. Schließlich wanderten die Carrier zu Flughäfen in den Benelux-Ländern ab, für die Nachtflugverbote vielerorts ein Fremdwort sind.

Und nicht zuletzt: Ein Nachtflugverbot würde nicht nur das Geschäft in der Nacht gefährden, sondern den gesamten Airport. Denn Fedex, DHL, UPS und wie sie alle heißen sind ja nur deshalb in Köln/Bonn zuhause, weil es dort den Nachtflug gibt. Fällt der weg, drohen diese Firmen den Standort am Rhein zu verlassen.

Auch Arbeitsplätze hängen am Nachtflug

Und der ist nicht ein x-beliebiger Arbeitgeber. Mehr als 15.000 Menschen arbeiten direkt am Airport Köln/Bonn. Mindestens noch einmal so viele kommen durch mittelbare Beschäftigung hinzu, etwa weil Firmen die Region deshalb als Standort wählen, weil dort ein schnell erreichbarer Flughafen ist.

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Das alles heißt nicht, die Sorgen der Flughafen-Anwohner zu überhören. Nächtlicher Lärm ist eine Belastung. Diese muss weiter begrenzt werden. Richtig ist etwa der Ansatz, nächtliche Flüge mit höheren Gebühren zu bepreisen. Oder auch,  bestimmte sehr laute Flugzeugmodelle (MD-11) mit hohen Landepreisen für die Airlines unattraktiv zu machen.

„Zeit, dass in Köln der Gesundheitsschutz der Bürger ernst genommen wird“

Christian Hümmeler, Leiter der Lokalredaktion Köln, ist unter der Hauptabflugroute des Flughafens aufgewachsen.  Dennoch hält er  Köln/Bonn für den schönsten und  funktionalsten  Flughafen in Deutschland. Tagsüber jedenfalls.

Nehmen wir mal an, im Kölner Stadtteil Wahn stünde ein florierendes Chemiewerk. Es wäre ein Jobmotor für die gesamte Stadt,  weil es nicht nur viele Menschen beschäftigt und für üppige Gewerbesteuern sorgt, sondern auch noch eine umfangreiche Zulieferindustrie angezogen hat.

Das Werk hat nur einen Nachteil: Es ist gesundheitsgefährdend, weil es alt ist und  teilweise marode. Deswegen  kommt es   im engeren Umkreis – dazu gehören  der gesamte Kölner Südosten und  die Nachbarstädte Rösrath,  Lohmar, Hennef, Siegburg und Troisdorf – immer wieder   zu gefährlichen Chemieemissionen. Zwar haben Landes- und Bundesregierungen ganz unterschiedlicher Parteien viele Male  die zulässigen Grenzwerte angehoben oder, wenn das auch nicht mehr half, die Messmethodik verändert. Doch es bleibt dabei. Rund um das Werk kommt es nachweisbar zu einer Häufung bestimmter Erkrankungen.

Auch Fluglärm macht auf Dauer krank

Natürlich ist nächtlicher Fluglärm keine lebensgefährliche Chemikalie. Doch auch er macht auf Dauer krank, das haben zahllose  Studien erwiesen. Wer also darauf beharrt, dass der Nachtflug in der Wahner Heide für das wirtschaftliche Wohlbefinden einer ganzen Region unabdingbar ist, sagt damit auch: Liebe Anwohner, ihr müsst euch leider mit Lärm und Krankheiten abfinden, damit der Rest der Region boomt.  Hättet ja auch woanders hinziehen können. Auf  euch paar Zehntausende  Anwohner können wir jedenfalls keine Rücksicht nehmen.

Aber es gibt Hoffnung: In wenigen Jahren schon werden wir Chemikalien entwickelt haben, die etwas weniger krebserregend sind. Pardon, gemeint war natürlich: etwas leisere Frachtflugzeuge. Wir können die Frachtfluggesellschaften allerdings nicht zwingen, diese dann auch einzusetzen, aber das versteht sich ja von selbst.

Aus dem Heide-Flugplatz wurde ein boomender Airport

Natürlich hat niemand die Anwohner gezwungen, an den Flughafen zu ziehen. Blöd nur, dass die meisten von ihnen  bereits da waren, bevor Michael Garvens aus dem ziemlich verschnarchten Heide-Flugplatz einen boomenden Airport gemacht hat, allerdings eben auch unter Ausbau des Nachtflugs. Und dass  selbst  Nachtfluggegner am Tag gerne die vielen praktischen  Verbindungen vor allem im Low-Cost-Segment genutzt haben, ist kein Widerspruch. Denn selbst unter den am stärksten belasteten Anwohnern  will kaum einer  gar keinen Flughafen. Sie wollen nur nachts schlafen können.

Christian Hümmeler

Christian Hümmeler leitet die Lokalredaktion des Kölner Stadt-Anzeiger.

Dass der Flughafen Jobs schafft und die Wirtschaftsregion stärkt, ist ebenfalls unbestritten. Es lohnt sich allerdings, den Blick auf die von Nachtflugverboten und -beschränkungen geplagten Regionen rund um die Flughäfen Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart oder München  zu richten. Überall dort gibt es gut   funktionierende Airports, obwohl nachts Flugzeuge weder landen noch starten dürfen. Bislang ist nicht bekannt, dass eine dieser Städte wirtschaftlich am Boden liegt – im Gegenteil, allesamt lassen sie Köln in Sachen Wirtschaftskraft weit hinter sich.

Es wird Zeit,  dass auch in Köln der Gesundheitsschutz der eigenen Bürger ernst genommen wird. Jede Wette: Die  Airlines  werden  mit nächtlichen Beschränkungen in Köln/Bonn klug und flexibel umgehen. Denn die globale Nachfrage nach schneller Luftfracht verschwindet ja  nicht, nur weil der Flughafen nachts seine Pisten schließt. In Köln jedenfalls   ist  noch viel Platz für den Frachtflug – tagsüber.

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