Neue Einheit „Zefin“ soll Geldwäsche, Steuerbetrug und Korruption bekämpfen – Oberstaatsanwalt Möllmann erklärt die Ziele.
Oberstaatsanwalt im Interview„Nirgends funktioniert Völkerverständigung so gut wie in der organisierten Kriminalität“

Pflegedienstleistungen und Produkte geraten laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf vermehrt in den Blick krimineller Banden. (Symbolbild)
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Herr Möllmann, vor kurzem hat die schwarz-grüne Landesregierung die Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung von Wirtschafts- und Finanzkriminalität (ZeFinNRW) eingerichtet. Welche Einnahmen erwartet NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) von der neuen Spezialeinheit?
Ralf Möllmann: In Zahlen ist das tatsächlich nicht beziffert - und ich betone ausdrücklich, dass sich die Politik hier nicht in Ermittlungsarbeit einmischt. Wir haben einen Auftrag bekommen von den Ministerien Finanzen und Justiz – und los geht’s. Aber ich verstehe Ihre Frage, weil die Bürger erwarten, dass sich der Kampf gegen die Wirtschafts- und Finanzkriminalität für den Staat auch lohnen muss. Deshalb sehen wir die Vermögensabschöpfung ganz klar als einen wichtigen Auftrag. Wir wollen auf keinen Fall, dass Täter ihre Beute behalten können.
Wie konkret können Sie den Schaden von Wirtschaftskriminalität beziffern und Erfolge messen?
Wir verfolgen den Grundsatz „Follow the Money“ - mit dieser Strategie können wir immer wieder Millionen-Erfolge verbuchen. Manchmal gehen wir allerdings auch erfolgsversprechenden Spuren nach, aber am Ende bleibt das Geld dann doch verschwunden. Trotzdem ist es für uns wichtig, die Geldströme nachzuverfolgen, denn die benötigen wir auch für den Tatnachweis. Mit Kryptowährungen ist die Suche nicht einfacher geworden. Dafür arbeiten wir jetzt mit Blockchain-Analysen. Kryptos sind aber nochmal deutlich schwieriger ausfindig zu machen.

Oberstaatsanwalt Ralf Möllmann ist Chef der „Zefin“.
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Durch die Zefin NRW soll der Druck auf kriminelle Netzwerke erhöht werden. Viele agieren international – wie bekommen Sie Einblicke?
Nirgends funktioniert Völkerverständigung so gut wie in der organisierten Kriminalität. Da kann oft jeder mit jedem. Ermittlungstechnisch haben wir vor allem auf EU-Ebene mittlerweile eine Struktur, die uns international alles viel einfacher macht – das ist eine wirkliche Errungenschaft der Europäischen Union. Nehmen Sie Europol oder Eurojust in Den Haag, das wiederum JITs, Joint Investigation Teams, einrichten kann. Das sind temporäre Ermittlungsgruppen aus mehreren EU-Staaten. Lange konnten wir im EU-Ausland nicht effektiv zugreifen, aber das wird immer besser. Und es kommt durchaus vor, dass einer unserer Staatsanwälte im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens beispielsweise nach Rumänien reist, um vor Ort unsere Informationsbedürfnisse zu vertreten, wenn es um den Kampf gegen illegale Beschäftigung geht.
In der aktuellen Debatte um Sozialbetrug wird immer wieder Duisburg herangezogen als Beispiel krimineller Beschäftigungsstrukturen auf dem Bau. Warum kann man den Tätern nicht das Handwerk legen?
Unsere Gesetze und Rechtsprechung sind da – zu Recht – eindeutig und sagen: Jede einzelne Tat muss hinreichend konkretisiert sein. Das heißt: Sie wissen von illegal beschäftigten Menschen, die bar bezahlt werden. Dann müssen Sie für jeden Einzelnen die berufliche Vita ermitteln. Das sind Mikroerkenntnisse innerhalb großer Komplexe, die sehr aufwändig und sehr schwierig zu realisieren sind. Deshalb dauern diese Vorgänge sehr lange. Wir müssen jede einzelne Tat ganz sicher belegen können. Wenn wir das nicht schaffen, bekommen wir noch nicht mal die Anklage zugelassen. Aber das ist eben auch der Sinn und Zweck von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und nun der Zefin, in die Tiefe zu gehen und nicht an der ersten Ecke stehen zu bleiben und zu sagen, das schaffe ich nicht.
Oasen für Gewerbesteuer
Wo ist viel zu holen für den Staat?
Steuerhinterziehung beschäftigt uns in enormem Maße. Gerade legen wir gemeinsam mit dem LBF (Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität Nordrhein-Westfalen) unter anderem einen Fokus auf die Gewerbesteueroasen.
Sie meinen NRW statt Bermuda?
So ungefähr. Wir sehen, dass immer mehr Unternehmen Sitze an Orten mit niedriger Gewerbesteuer anmelden, die man mit Briefkastenniederlassungen umschreiben könnte. Da streben wir Leuchtturmverfahren an und erarbeiten ein einheitliches Ermittlungsvorgehen für die befassten Behörden. Vielleicht stecken auch schon organisierte Strukturen dahinter.
Mit welcher Täter-Klientel haben Sie es da zu tun? Bei der illegalen Beschäftigung am Bau hat man einige Stereotypen vor Augen, aber was ist mit dieser Entwicklung: organisierter Gewerbesteuerbetrug?
Schublade funktioniert bei unserer Ermittlungsarbeit generell überhaupt nicht. Wir sehen alles, vom sogenannten „White Collar Crime“, bei dem ein Manager vielleicht Aktien gekauft hat, die er nicht hätte kaufen dürfen, bis zu am Reißbrett entworfener Bereicherungskriminalität wie Umsatzsteuerkarusselle, Cum Cum oder Cum Ex, wobei letztere ausschließlich von der Staatsanwaltschaft Köln bearbeitet werden.
Das ist ein umfassendes Spektrum, in vielen Fällen sehr schlaue und raffinierte Vorgänge, manche Täter sind milieugeprägt, manche kommen zufällig dazu. Und klar, die Modernisierung und die Effizienz im kriminellen Betätigungsfeld hält natürlich mit der Entwicklung in der Wirtschaft Schritt: Da geht es genauso um Outsourcing und Services, da geht es um Netzwerke, da werden agenturähnliche Strukturen gebildet, internationale Callcenter eingerichtet, die teils legale Projekte betreuen, um wertlose Aktien an die Kundschaft zu bringen.
Wir sehen alles, vom „White Collar Crime“ bis zu milieugeprägten Tätern
Sowas gibt es noch – Aktienverkauf am Telefon?
Man kann oft kaum fassen, wie leichtgläubig Menschen sind. Es scheint oft leider unendlich einfach, sie zu betrügen. Wir hatten mal ein Verfahren mit einem Schaden von ungefähr 100 Millionen Euro. Sitz des Unternehmens war angeblich New York, eine Briefkastenfirma. Den Vertriebsweg konnte ich selbst später nicht glauben: Das Unternehmen wandte sich an selbstständige Finanzvermittler, durchaus seriöse Anbieter, und bot ihnen 15 Prozent Zinsen auf alles, was sie an Anlagegeldern vermitteln würden. Die Anleger sollten auch nochmal 15 Prozent erlösen können, also zusammen 30 Prozent. Spätestens an dieser Stelle geht die Geschichte mit seriöser Finanzberatung eigentlich nicht mehr konform. Aber tatsächlich haben die Finanzvermittler das Produkt verkauft, ohne sich über dieses Unternehmen in irgendeiner Weise zu informieren. Dann hätten sie nämlich gesehen, dass da nichts war, außer ein paar bunten Prospekten. 100 Millionen waren dann weg. Das ist ein krasses Beispiel dafür, wie willig manche Leute Geld investieren, wenn es um hohe Rendite geht.
Diese Delikte gehen alle auf Kosten des vulnerablen Endverbrauchers. Wo beschäftigen Sie sich mit einer Wirtschaftskriminalität, die die Unternehmen schädigt?
Der ganze Bereich Vergabe ist ein großes Tatortfeld. Die öffentliche Hand vergibt an vielen Stellen Aufträge. Auch wieder im Bau – da beschäftigen Ausschreibungs- und Vergabekriminalität die Staatsanwaltschaften. Auch das Thema Korruption liegt im Fokus und hat in Wuppertal sogar eine eigene Schwerpunktstaatsanwaltschaft.

Vergabeverfahren sind ein Tatortfeld im Blick der Zefin.
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Ein prominenter Wirtschaftsbetrug, den wir derzeit betrachten, betrifft Waschmittelfälschungen bekannter Markenprodukte. Die Produkte werden online, aber auch etwa auf Flohmärkten verkauft. Diese Form der Produktfälschung ist bei uns in der Zefin jetzt ein Projekt, in dem wir neue Ermittlungsstandards orientieren und fixieren wollen. Denn in der Folge der Anzeige zeigte sich, wie einerseits schadhaft das für die Unternehmen sein kann; auf der anderen Seite ist es hochkompliziert, alle Facetten unter anderem auch das Markenrecht, das in vielen Ländern völlig unterschiedlich gehandhabt wird, miteinzubeziehen. Die rechtliche Einordnung ist bei weitem nicht so einfach, wie man im ersten Moment denken mag. Etwa, welche Teilhandlung im ganzen Projektverlauf strafbar ist, und welche nicht.
Geldwäsche über die Pizzeria? „Das ist eher old school“
In der organisierten Kriminalität geht es zwingend auch um Geldwäsche. Gucken Sie da auch skeptisch auf Barzahlung in der Gastronomie, auf die plötzlich überall eröffnenden Nagelstudios und Barbershops?
Geldwäsche ist eine der genannten kriminellen Dienstleistungen, die heutzutage oft als Servicepaket angeboten wird. Große Mengen an Schwarzgeld fließen zu entsprechenden Provisionen durch erprobte Prozesse, an deren Ende weißes Geld steht. Barsummen machen uns durchaus das Leben schwer, aber in anderen Dimensionen. Etwa, wenn beim Notar der Hauskauf direkt beglichen wird, die Geldwäsche-Verdachtsanzeige aber ausbleibt. Die Geldwäschewege führen noch zu oft über Immobilien. Die ein oder andre Pizzeria, die für Geldwäsche verwendet wird, mag es da auch noch geben, aber das ist eher old school.
Welche Geschäftsfelder sind gerade sehr in Ihrem Fokus – tut sich etwas ganz Neues auf?
Ja, alles rund um das Thema Gesundheit. Einen beispielhaften Fall hatten wir hier auch schon in der Schwerpunktstaatsanwaltschaft im Zusammenhang mit russischen Pflegediensten. Da tat sich einiges auf bei Vollzeitpflegestellen: unqualifiziertes Personal, das viel zu wenige und unsachliche Dienste geleistet hat. Beispielsweise gingen die Pflegerinnen zwar einkaufen oder machten die Fußnägel. Die eigentlichen Tätigkeiten einer Vollpflegekraft, die viel teurer sind und so auch von der Pflegekasse vergütet werden, waren aber nicht dabei. Nicht alle Kunden beziehungsweise Angehörige waren damit unzufrieden. Sie dachten, es ist jemand da und kümmert sich. Aber die Dienste haben zu Unrecht viel Geld eingesteckt. Vor meinem inneren Auge tut sich im ganzen Bereich Gesundheitsmarkt ein riesiger Tatort auf.
In Italien haben Finanzfahnder im Mafiabereich ihre Ermittlertätigkeit immer wieder mit dem Leben bezahlen müssen. Sind Sie auch Bedrohungen ausgesetzt?
Nein, zum Glück nicht. Unsere Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind den Verdächtigen meist gar nicht namentlich bekannt. Außerdem kann man die Mafiosi in Italien nicht mit dem durchschnittlichen Wirtschaftskriminellen in NRW vergleichen. Gewalt spielt bei uns so gut wie keine Rolle.