112 neue Windenergieanlagen in NRWTrotz neuer Windräder hält der Ausbau mit dem Stromhunger der Industrie nicht Schritt

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Wolken ziehen über Windräder zur Stromerzeugung. Die Wittgenstein Gruppe sowie der Landesverband Erneuerbare Energien NRW nehmen den seit Herbst 2022 bestehenden Wald-Windpark Arfeld mit vier Windrädern offiziell in Betrieb.

Der Ausbau der Windräder in NRW kommt voran. Ob das Ziel der Landesregierung von 1000 neuen Anlagen bis zum Ende der Wahlperiode im Frühjahr 2027 erreicht werden kann, bleibt unsicher.

Der Ökostrom-Anteil an der Stromerzeugung liegt in NRW mit 26 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Vor allem die Industrie drängt auf schnelleren Ausbau der Windkraft.

Der Ausbau von Windenergie-Anlagen in NRW kommt in Schwung. Im vergangenen Jahr sind 112 neue Windräder mit einer Leistung von 517 Megawatt in Betrieb gegangen. Weil aber auch alte Anlagen in erheblichem Umfang demontiert wurden, beträgt der Nettozuwachs lediglich 409 MW.

Das geht aus einer vorläufigen Analyse der Fachagentur Wind an Land hervor, die am Mittwoch vom Landesverband Erneuerbaren Energien (LEE) in Düsseldorf vorgestellt wurde. Die Interessensverbände erwarten, dass sich der Aufschwung in den kommenden Jahren fortsetzt.

„2023 wurden in Nordrhein-Westfalen 322 Anlagen mit einer Leistung von 2700 Megawatt neu genehmigt“, sagte der LEE-Vorsitzende Hans-Josef Vogel. Das ist der Spitzenwert unter allen Bundesländern. „Allerdings muss dieses Tempo weiter gesteigert werden, damit die Landesregierung ihre eigenen Ziele erreicht.“ Der Koalitionsvertrag sieht bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2027 den Betriebsbeginn von zusätzlich mindestens 1000 Windrädern vor, das sind rechnerisch 200 pro Jahr.

Die Energiewirtschaft in NRW ist nach wie vor sehr fossil geprägt
Hans-Josef Vogel, Vorsitzender des Landesverbands Erneuerbarer Energien

Dass sich der Ausbau der erneuerbaren Energien in NRW noch deutlich beschleunigen muss, zeigt eine aktuelle Zahl des Fraunhofer-Instituts für Solarsysteme (ISE): Der Ökostrom-Anteil an der Stromerzeugung ist laut ISE bundesweit auf mehr als 59 Prozent gestiegen. In NRW liegt er hingegen bei 26 Prozent. „Das zeigt, dass die Energiewirtschaft in NRW nach wie vor sehr fossil geprägt ist“, so Vogel. Der Kohleausstieg bis 2030 könne nur gelingen, wenn der Ausbau bei Windrädern und anderen erneuerbaren Energieträgern deutlich forciert werde.

Bürokratie hemmt Ausbau der Windkraft

Um das zu erreichen, müsse im ersten Halbjahr 2024 „endlich der angekündigte Bürokratieabbau bei den Genehmigungsverfahren umgesetzt werden.“ In den neuen Regionalplänen der Bezirksregierungen müssen genügend Flächen ausgewiesen werden, die für Windräder geeignet sind. „Es ist wenig hilfreich, wenn durch die Hintertür die 1000-Meter-Abstandregelung wieder eingeführt wird.“ Dass es in Deutschland bis zu acht Monate dauern könne, Transportgenehmigungen für Schwertransporte auf den Autobahnen zu erhalten, sei ein weiteres Hindernis. „Die Verfahren sind sehr kleinkariert. In den Niederlanden gelingt das innerhalb von 15 Arbeitstagen.“

Die Branche will in diesem Jahr bei den Ausbauplänen ihren Blick auf Gewerbe- und Industrieflächen richten. Das sei das entscheidende Thema für das Ruhrgebiet. „Windräder auf Halden zu setzen, wird bei weitem nicht reichen“, sagte Vogel.

Dramatische Lage im Ruhrgebiet

Die Lage in der ehemaligen Herzkammer des Industrielands NRW sei dramatisch, sagte Milan Nitzschke, Geschäftsführer der SL Naturenergie GmbH in Gladbeck, das Unternehmen betreibt nach eigenen Angaben landesweit rund 150 Windanlagen. Weitere 40 befinden sich in Bau. „Wir bekommen regelmäßig Anrufe aus den Unternehmen mit der Frage, ob wir Strom liefern können.“ Die Antwort sei immer gleich. „Wir können das nur, wenn wir mehr Anlagen bauen können.“ Das Erneuerbare-Energien-Gesetz gebe nun mal vor, den Ökostrom ins öffentliche Netz einzuspeisen, „damit alle Verbraucher etwas davon haben. Eine reine Umverteilung sei sinnlos.“

Derzeit gibt es demnach nur zehn Projekte in der Stahl- und Chemieindustrie, in der Metallverarbeitung, der Papierindustrie und bei Automobilzulieferern, bei denen man versucht, benachbarte Windenergieanlagen, die geplant oder bereits in Bau sind, direkt an das jeweilige Industriegebiet anzuschließen. „Die können den grünen Strom nutzen und belasten das öffentliche Netz nicht, weil wir sie mit einem eigenen Kabel versorgen. Das Stahlwerk muss nur noch aus dem öffentlichen Netz ziehen, wenn kein Wind weht“, so Nitzschke. Man brauche aber derzeit neun Monate, um für ein solches Projekt alle Genehmigungen einzuholen. „Die gesetzlichen Vorgaben sind auf diesen Fall überhaupt nicht ausgerichtet. Das müssen wir hinkriegen.“

Die Ampelkoalition habe bereits im März 2023 zugesichert, die Nutzung von Windstromnutzung in Industriegebieten zu fördern. Auch die Landesregierung habe im Koalitionsvertrag dazu eine klare Aussage getroffen. „Es wird ernsthaft gearbeitet, aber die Not ist sehr groß“, so Nitzschke. „Wenn die Industrie keinen bezahlbaren, verlässlichen Strom für die nächsten 20 Jahre hat, macht sich zu. Das erleben wir heute schon.“

Der Strombedarf der Industrie in NRW liegt bei 60 Milliarden Kilowattstunden, das ist rund ein Zehntel des gesamten deutschen Stromverbrauchs. Wenn man in Zukunft mit Elektrolyseuren selbst grünen Wasserstoff erzeugen und nicht nur auf Importe setzen wolle, werde sich dieser Bedarf deutlich erhöhen. „Wenn wir nur die Elektrolyseure nehmen, die in NRW fest angekündigt sind, kommen wir auf 110 Milliarden Kilowattstunden Strombedarf allein für die NRW-Industrie. Das wäre dann ein Fünftel. Wir haben im Bundesvergleich also viel mehr aufzuholen und einen viel höheren Stromverbrauch.“

Laut LEE bezeichnen mehr als 70 Prozent der Unternehmen die Verfügbarkeit von grünem Strom als wesentlichen Standortfaktor. Über 80 Prozent erwägen eigene Investitionen in Erzeugungskapazitäten von Wind- und Solarenergie.

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