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„Unangebracht und demütigend“Kölner Luxus-Uhrenhändler Chronext streicht viele Jobs

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Luxusuhren

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Köln – Die Vorwürfe gegen das Kölner Start-up Chronext, das gebrauchte und neue Luxusuhren online verkauft, wiegen schwer: 40 von rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollen kurzerhand entlassen worden sein, sie hätten kaum eine Chance gehabt, sich bei ihren Kolleginnen und Kollegen zu verabschieden, für Profitabilität, die Chronext zuvor bereits durch Kündigungen hätte erreichen wollen. Das sagt zumindest eine Person, die mit der Sache vertraut ist und anonym bleiben möchte, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.  

Chronext nehme eine „größere Umstrukturierung“ vor, um profitabel werden zu können – denn das sei mittlerweile die Voraussetzung, damit bestehende und potenzielle neue Geldgeber in das Unternehmen investierten. Wie viele Start-ups, ist auch Chronext fremdfinanziert und der Geschäftsbetrieb abhängig vom Geld der Investoren.

Erneute Kündigungswelle

Pikant ist jedoch, dass Chronext offenbar bereits das dritte Mal aus demselben Grund etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlässt. 2018 und 2020 gab es Kündigungswellen – 2020 fand die offenbar am selben Tag statt wie die Verkündung einer erfolgreich abgeschlossenen Finanzierungsrunde in Höhe von 60 Millionen Euro. Und trotzdem: „Chronext war nie und ist bis heute nicht profitabel“, so die hinweisgebende Person.

Für sie liegt das Problem auf der Hand: „Das bisherige Geschäftsmodell hat bislang nicht zu Profit geführt und muss geändert werden.“ Ein Viertel bis ein Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlassen sei jedoch keine Änderung des Geschäftsmodells, es müsste an anderen Stellschrauben gedreht werden. Zuletzt hätte das Unternehmen zum Beispiel versucht, seine Expansion in neue Märkte wie Italien, Frankreich und die Niederlande voranzutreiben – doch die Geschäftsstellen vor Ort wurden bzw. werden teilweise wieder geschlossen. „Die Strategie ist gescheitert.“

„Unangebracht und demütigend“

Massive Kritik übt die Person an der Art und Weise, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ihrer Entlassung erfahren hätten: So soll am 28. Juni 2022 fast eine halbe Stunde nach Dienstschluss um 18 Uhr eine Ankündigung für einen wichtigen Termin per Mail verschickt worden sein. Dieser sei demnach für 9 Uhr des Folgetags angesetzt worden, punktgenau zu Dienstbeginn. Im Termin habe Chronext-Gründer und -CEO Philipp Man die Botschaft verkündet, unmittelbar danach folgten Einladungen zu Kündigungsgesprächen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verglichen den Informationen zufolge, wer eine Einladung bekam und wer nicht. Als fair bezeichnet die Person die Gespräche, zudem würden Abfindungen gezahlt, dennoch: „Die Abfindungen, die die jetzt betroffenen Mitarbeitenden erhalten sollen, sind in der aktuellen Entlassungswelle deutlich geringer als beim letzten Mal im Jahr 2020.“

Und erneut massive Kritik: „Unmittelbar nach den jeweiligen Entlassungsgesprächen wurden sofort unsere Online-Accounts gesperrt, das heißt, wir konnten uns noch nicht einmal von den anderen Mitarbeitenden verabschieden – noch nicht einmal von denen der eigenen Abteilung, da einige im Homeoffice waren“, sagt die Person. „Zusätzlich wurden ebenfalls unsere Schlüssel deaktiviert, wir konnten nicht in andere Bereiche zu anderen Abteilungen gehen, noch nicht einmal in die Küche, um die benutzten Gläser wegzubringen.“ – „Dieses Vorgehen empfand ich als unangebracht und demütigend.“

Chronext-Chef: „Harter, aber notwendiger Schritt“

Gegenüber dieser Zeitung erklärt Chronext-Chef Man folgendes: „Wie derzeit viele Unternehmen in der Technologiebranche, spüren auch wir die Folgen der Marktturbulenzen und Inflation, verursacht durch den schrecklichen Krieg in der Ukraine, welche zu einem zurückhaltenderen Konsumverhalten führen. Aus diesem Grund sahen wir uns bedauerlicherweise gezwungen, uns letzte Woche von einigen talentierten und leider teils langjährigen Freunden und Kollegen zu trennen. Dieser harte, aber notwendige Schritt ermöglicht uns Chronext bestmöglich durch diese wahrscheinlich länger andauernde volatile Phase zu führen und unser Unternehmen weiterhin stabil für die Zukunft aufzustellen.“

In der Tat steht Chronext nicht ganz allein da. Zurzeit kämpfen etliche fremdfinanzierte Unternehmen wegen der Krise am Kapitalmarkt mit ausbleibenden Investorengeldern, darunter auch bekannte Namen wie der Essens-Lieferdienst Gorillas oder der Zahlungsdienstleister Klarna, die rund 300 bzw. 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen haben. Steigende Zinsen, die anziehende Inflation und Abstürze einst beliebter Tech-Aktien lassen die Geldgeber zunehmend vorsichtig agieren.

Börsengang vorerst abgesagt

Bereits im Oktober vergangenen Jahres sorgte Chronext für Aufsehen: wenige Tage vor dem geplanten Börsengang an der Schweizer Börse Six Swiss Exchange sagte das Unternehmen das Vorhaben ab. Die Marktbedingungen für Wachstumsunternehmen seien damals ungünstig gewesen – man wolle den Börsengang aber nachholen, sobald die Bedingungen wieder stabil seien. Umgerechnet 230 Millionen Euro wollte das Unternehmen von Investoren einsammeln, eine mit der Angelegenheit vertraute Person sagte der Agentur Reuters damals, dass der angestrebte Börsenwert rund eine Milliarde Euro betragen sollte.

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Zwar machte Chronext im Jahr 2020 erstmals mehr als 100 Millionen Euro Umsatz, und auch in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 stieg der Umsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum eigenen Angaben nach um 20,3 Prozent auf 53,18 Millionen Euro. Der Plan für das Jahr 2021 sah ein Plus von 40 Prozent vor, Zahlen liegen aber noch nicht vor. Anders sieht es bei den Erträgen aus: Allein 2020 lag der Jahresfehlbetrag bei knapp 14,6 Millionen Euro, wie aus dem Jahresabschluss, der im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, hervorgeht.

Der Wirtschaftsprüfer EY erklärt laut Bundesanzeiger zur Bilanz 2020, dass Chronext den Zahlungsverpflichtungen auch ohne externe Zahlungsmittelzuführungen nachkommen könne – allerdings nur durch Kosteneinsparungen im Zusammenhang mit einer Abkehr von der Wachstumsstrategie. EY fand daher deutliche Worte: „Damit wird auf das Bestehen einer wesentlichen Unsicherheit hingewiesen, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit der Gesellschaft zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen kann und ein bestandsgefährdendes Risiko im Sinne des § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB darstellt.“

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