VerkehrSollten Cannabispatienten am Straßenverkehr teilnehmen dürfen?

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Der Verkehrsgerichtstag diskutiert, ob Cannabispatienten am Straßenverkehr teilnehmen dürfen.

Berlin – Ein Autofahrer wird von der Polizei angehalten. Weil sich der junge Mann auffällig verhält, wird sein Blut kontrolliert: Er ist bekifft und verliert seinen Führerschein. Wenig später stoppen die Ordnungshüter eine Frau, die so sogar offen zugibt, gerade Cannabis-Blüten geraucht zu haben. Doch die Beamten lassen sie mit besten Wünschen weiter fahren.

Das ist ein erfundenes Szenario, doch so könnte es sich seit der Freigabe von Cannabis für medizinische Zwecke tatsächlich abspielen. Aber ist das alles auch rechtens? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigen sich Juristen, Verkehrsexperten und Ärzte auf dem 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag, der am Donnerstag in Goslar beginnt.

13 000 Patienten nutzen die neuen Möglichkeiten

Seit einer Gesetzesänderung im März 2017 gibt es in Deutschland für Schwerstkranke Cannabis-Blüten oder Extrakte auf Rezept. Vor allem Schmerzpatienten setzen auf Hanf, um ihre chronischen Leiden zu lindern. Rund 13000 Patienten nutzen die neuen Möglichkeiten bereits.

Wie bereits bei opiathaltigen Medikamenten üblich, dürfen auch Patienten mit einem Cannabis-Rezept Auto fahren, wenn ihre Fahrweise unauffällig bleibt. Es drohen keine Sanktionen, wenn Cannabis aus der „bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“, wie die Bundesregierung in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion erläuterte.

Kifft jemand nur so zum Spaß, dann drohen härtere Sanktionen als beim Alkohol am Steuer. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2005 in einem Grundsatzurteil eine Grenze von einem Nanogramm je Milliliter Blut des wichtigsten Cannabis-Wirkstoffs THC festgelegt. Da THC vor allem bei regelmäßigem Konsum lange in Blut und Urin nachweisbar ist, ist der Lappen schnell weg – zu schnell, wie einige Experten meinen.

Ist der bisherige Grenzwert angemessen?

Zum Vergleich: Untersuchungen haben ergeben, dass Kiffer nach einem Joint rund 200 Nanogramm THC pro Milliliter Blut haben. Nach zwei Stunden sind es bis zu zehn Nanogramm – wobei diese Konzentration noch zu Störungen bei der Wahrnehmung und der Feinmotorik führt. Nach anderen Untersuchungen aus den USA überschritten einige Teilnehmer noch zwölf Tage nach dem letzten Joint die Schwelle von einem Nanogramm. Der Verkehrsgerichtstag will sich mit der Frage beschäftigen, ob der bisherige Grenzwert angemessen ist – und ob er nicht eigentlich auch für Cannabis-Patienten gelten müsste. So stellt der Düsseldorfer Rechtsmediziner Thomas Daldrup, nüchtern fest: „Für die Feststellung der Verkehrssicherheit macht es aus toxikologischer Sicht keinen Unterschied, ob vor Antritt der Fahrt Cannabisblüten aus der Apotheke oder Cannabisblüten aus dem Coffeeshop geraucht wurden. “

Auch Frank-Roland Ill, Fachanwalt für Verkehrsrecht, weist auf dieses Problem hin. Es stelle sich die Frage, ob die „Ungeeignetheit“ für das Führen eines Fahrzeugs davon abhängig sein könne, ob eine ärztliche Verordnung vorliege oder nicht. „Der Begriff der »Ungeeignetheit« muss einheitlich neu definiert und rechtlich gleichartig gehandhabt werden“, lautet seine Forderung.

Verkehrsexperten halten Ein-Nanogramm-Grenzwert für zu niedrig

Unabhängig davon halten Verkehrsexperten den Ein-Nanogramm-Grenzwert für zu niedrig. So hatte die sogenannte Grenzwertkommission, die das Verkehrsministerium berät, 2015 einen Wert von drei Nanogramm THC pro Milliliter Blut empfohlen. Erst dann sei die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt, argumentieren die Sachverständigen. Sie verweisen darauf, dass noch Tage nach einem Joint erhöhte THC-Werte nachgewiesen werden könnten, „also zu einem Zeitpunkt, an dem sicher keine akute Beeinflussung der Leistungsfähigkeit mehr vorliegt.“

Doch die Verwaltungsgerichte sind diesem Vorschlag bisher nicht gefolgt. Es gebe keine Veranlassung, vom bisherigen Grenzwert abzuweichen, meint auch Klaus Borgmann, Richter am bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Der deutsche Hanfverband sieht das naturgemäß anders: „Die aktuellen Regeln dienen nicht der Verkehrssicherheit, sondern als Ersatzstrafe für alle Cannabiskonsumenten“, kritisiert Verbands-Geschäftsführer Georg Wurth.

Ein weiteres Thema in Goslar wird das automatisierte Fahren sein. Zwar ist seit dem vergangenen Sommer eine Neuregelung in Kraft. Doch nach Ansicht von Juristen und Verbraucherschützern ist dieses Gesetz viel zu unbestimmt. Dadurch bleibe der Fahrer im Zweifel immer in der Haftung, beklagt Marion Jungbluth von der Verbraucherzentrale Bundesverband: „Insoweit wird der Sinn von automatisierten Fahrfunktionen – nämlich die Entlastung des Fahrers durch sichere Technik – konterkariert“.

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