Warnsignale aus der WirtschaftDeutschland war mal ein attraktiver Standort – jetzt gibt es Zweifel

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Baumhäuser hängen in einem Camp der Initiative „Tesla stoppen“ in einem Kiefernwald nahe der Tesla-Gigafactory Berlin-Brandenburg.

Baumhäuser hängen in einem Camp der Initiative „Tesla stoppen“ in einem Kiefernwald nahe der Tesla-Gigafactory Berlin-Brandenburg.

Ausländische Firmen investieren weniger in Deutschland. Investoren sehen eine schrumpfende politische Stabilität – auch wegen der AfD.

Über viele Jahrzehnte galt Deutschland für internationale Unternehmen und Investoren als äußerst attraktiver Wirtschaftsstandort. Vorteile wie etwa Rechtsstaatlichkeit und damit Investitionssicherheit, starke ökonomische Rahmendaten, Technologieführerschaft in vielen Bereichen und herausragende Fachkräfte dank guter Bildungslandschaft und dem System der dualen Ausbildung holten Milliarden-Umsätze ins Land. Deutschland galt immer als äußerst verlässlich und vor allem politisch stabil. Dafür nahmen die Investoren auch strukturelle Schwächen wie hohe Bürokratie und Steuern oder das vergleichsweise starke Lohnniveau in Kauf.

Direktinvestitionen sind gesunken

Doch Deutschland scheint als Investitionsstandort an Anziehungskraft verloren zu haben. Denn ausländische Unternehmen investieren hierzulande so wenig wie schon lange nicht mehr. Das geht aus einer Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hervor. Die Höhe der Direktinvestitionen aus dem Ausland lag 2023 demnach bei etwa 22 Milliarden Euro, weniger war es zuletzt vor zehn Jahren. Zum Vergleich: 2018 und 2020 waren durch Investitionen ausländischer Firmen noch jeweils rund 140 Milliarden Euro nach Deutschland geflossen.

Und unter dem Strich fließt zudem Kapital ab, denn deutsche Firmen investierten 2023 mehr im Ausland. So betrugen die Nettoabflüsse rund 94 Milliarden Euro - also die Differenz zwischen Investitionen deutscher Firmen im Ausland und ausländischer Firmen in Deutschland. Obwohl sich die Situation bei den Energiekosten nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre wieder etwas entspannt haben, war dies laut IW der drittgrößte Nettoabfluss seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1971. Nur in den Vorjahren 2022 und 2021 war mit 125 beziehungsweise 100 Milliarden Euro noch mehr Geld aus Deutschland abgeflossen.

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„Erste Symptome einer Deindustrialisierung“

Die Entwicklung zeige, dass es sich nicht nur um Einzelfälle oder Nachholeffekte gehandelt habe. Vielmehr seien das „erste Symptome einer Deindustrialisierung“, warnte das Kölner IW. Wichtig zur Einordnung ist aber auch die Tatsache, dass durch die geopolitischen Krisen und das gestiegene Zinsniveau die Direktinvestitionen weltweit tendenziell rückläufig sind.

Die Perspektiven am Standort Deutschland seien „nicht hinreichend attraktiv“ und die Politik müsse die Investitionsbedingungen „drastisch“ verbessern. „Das ist ein Warnsignal“, sagt IW-Ökonom Christian Rusche. Die Politik macht es für Unternehmen alles andere als attraktiv, in Deutschland zu investieren, so Rusche. Ein Grund dafür sei, dass Förderprogramme - wie für Elektroautos oder energieeffizientes Bauen - kurzfristig gestoppt würden. Die Bundesregierung habe den Handlungsbedarf erkannt. Nun müssten Taten folgen. „Dazu gehört auch, dass verlässliche, politische Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die für Planungs- und damit Investitionssicherheit sorgen“, sagt IW-Ökonom Rusche.

Die Unternehmen am Standort in NRW sind verunsichert
Ralf Mittelstädt, Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes IHK NRW

Eine Einschätzung, die auch Ralf Mittelstädt, Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes IHK NRW, teilt. „Die Unternehmen am Standort in NRW sind verunsichert. Strukturelle Probleme treffen auf unklare wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen“, sagte Mittelstädt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Eine marode Infrastruktur, zu hohe Energiekosten, Fachkräftemangel und der dringende Abbau von Bürokratie seien derzeit die drängendsten Probleme, die auch den Industrie- und Wirtschaftsstandort NRW in Gefahr bringen. Daher bestehe dringender Handlungsbedarf.

Studie zeigt Einfluss von fehlender politischer Stabilität auf Standortfaktoren

Dass Deutschland bei internationalen Investoren nur noch im Mittelfeld rangiert, zeigt auch eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. „Alle Standortfaktoren verschlechtern sich mit zunehmender Dynamik“, hieß es im Bericht. Ein Faktor ist dabei offenbar auch, dass erstmals die politische Stabilität nicht mehr als gänzlich gesichert wahrgenommen wird. Nur noch 58 Prozent der befragten Finanzchefinnen und Finanzchefs (CFO) ausländischer Konzerne in Deutschland zählen Europas größte Volkswirtschaft demnach zu den fünf politisch stabilsten EU-Ländern. Vor zwei Jahren waren es noch vier von fünf CFOs (80 Prozent).

Forderungen etwa der AfD nach einem Austritt aus dem Währungssystem Euro oder der EU, nach mehr Protektionismus oder die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung, sorgen in- und ausländische Entscheider zutiefst. Als weitere größte Investitionshindernisse wurden überbordende Bürokratie (61 Prozent) und hohe Energiekosten (57 Prozent) genannt.

Unternehmen kritisieren hohe Energiekosten

Vor allem Letzteres ist auch für viele Unternehmen in der Region ein zentrales Thema. „Wir haben schon 2022 darauf hingewiesen, dass sich die Wettbewerbsbedingungen für die energieintensiven Branchen massiv verschieben“, sagt Matthias Zachert, Vorstandschef des Kölner Spezialchemiekonzerns Lanxess. Auch die jüngsten Studien belegten, dass deutsche Unternehmen vor den Bürokratiekosten und Energiekosten aus Deutschland fliehen und umgekehrt internationale Investoren das Vertrauen in den Standort Deutschland verlieren, so Zachert.

Lanxess selbst schließt, beziehungsweise verkauft, am Standort Krefeld-Uerdingen zwei Betriebe, da diese laut Zachert international nicht mehr wettbewerbsfähig seien. „Daran ändert auch der jüngste Rückgang der Energiepreise nichts, denn diese sind immer noch doppelt bis dreifach so hoch wie im Mittleren Osten oder in den USA.“

Eine Einschätzung, die auch Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender der Rhein-Energie teilt. „Die Industrie kann mit den hohen Energiepreisen in Deutschland nicht wettbewerbsfähig produzieren. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist hier hilfreich, aber nicht ausreichend, um die Kosten runterzubringen“, so Feicht.

Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender Rhein-Energie

Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender Rhein-Energie

Dies erfordere auch sehr hohe Investitionen in das Netz und für sogenannte Backup-Kraftwerke, um jederzeit die Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. „Daher ist es fatal, dass sich die Bundesregierung aus der anteiligen Finanzierung der Stromnetze zurückgezogen hat.“ Noch wichtiger sei es aber, dass die Politik Entscheidungen treffe, um die Energiewende kostengünstiger zu machen. „Zum Beispiel auf teure Erdverkabelung zu verzichten oder auch die Abscheidung von CO2 in sämtlichen Bereichen der Wirtschaft zuzulassen“, so der Rhein-Energie-Chef.

Auch für den ehemaligen Fordchef und heutigen Präsidenten von Arbeitgeber Köln, Gunnar Herrmann, ist das Thema Energie eines der wesentlichen. „Zugang zu erneuerbarer Energie zu bekommen – wie zum Beispiel über Wasserstofftrassen – das ist elementar. Unsere Unternehmen müssen daran entsprechend angebunden werden, so dass die lokale Industrie davon profitieren kann“, sagte Herrmann im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Mit Blick auf die Versorgung durch große Windparks in der Nordsee, forderte Herrmann einen Trassenausbau. „Diese Infrastrukturthemen, die dümpeln schon jahrelang vor sich hin. Angesichts des hohen CO2-Pricings muss die Regierung endlich handeln.“

Positivere Haltung gefordert

Auch der traditionsreiche Kölner Motorenbauer Deutz, der gerade mitten in der Transformation zu alternativen Antrieben steckt, kritisiert die Energiekosten, wünscht sich aber auch eine grundsätzlich positivere Haltung. „Natürlich gibt es viel zu kritisieren und die Rahmenbedingungen müssen besser werden, vor allem mit Blick auf die Energiekosten. Denn die behindern ausgerechnet die notwendige grüne Transformation der Mobilität“, sagt CEO Sebastian C. Schulte dieser Zeitung. Es gebe aber auch viel Gutes, auf dem man aufbauen könnte. „Dafür brauchen wir einen zupackenden Optimismus. Der geht aber immer mehr verloren. Das besorgt und stört mich am meisten. Denn ohne diesen Erfindergeist würden wir bei Deutz dieses Jahr nicht 160-jährigen Geburtstag feiern. Davon können wir eine Menge lernen.“ 

Wir glauben fest an den Wirtschaftsstandort Deutschland als Messeland Nummer 1
Kölns Messechef Gerald Böse

Dass auch die Infrastruktur verbessert werden muss und Streiks in der derzeitigen Form den Standort schwächen, ist eines der zentralen Anliegen der Kölner Messe. „Wir glauben fest an den Wirtschaftsstandort Deutschland als Messeland Nummer 1. Um diesen Ruf verteidigen zu können, braucht es allerdings schnelle und deutliche Verbesserungen. Die jüngsten ÖPNV-, Bahn- und Flugstreiks zu Messezeiten haben bei uns zu ersten Besucherrückgängen, überhasteten Abreisen und bei ausländischen Gästen für massive Verwirrung gesorgt“, sagte Kölns Messechef Gerald Böse.

Die veraltete Infrastruktur von Bahn und Straße drücke sich in Staus und Verspätungen aus, selbst wenn niemand streike. Zusätzlich geschäftsschädigend wirkten sich inzwischen politische Demonstrationen ohne Rücksicht auf laufende Großmessen aus, speziell in der Kölner Innenstadt und auch rechtsrheinisch. „Attraktive Innenstädte und ein geordnetes, planbares, sicheres Umfeld sind speziell für ausländische Investitionen jedoch sehr wichtig. Hier verzeichnen wir zunehmend Kritik“, so Gerald Böse.

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