Rezept gegen die KriseWie kann der Wirtschaftsriese Deutschland wieder fit werden?

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Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2.

Nach der Meinung von Wirtschaftsexperten muss die Bundesregierung im Kampf gegen die Wirtschaftskrise neue Schwerpunkte setzen.

Die Wirtschaftskrise wird auch herbeigeredet und ist vielfach hausgemacht, sagen Forscher. Der Ampel stellen sie ein schlechtes Zeugnis aus.

Ist Deutschland wieder zum kranken Mann Europas geworden? So weit wollte Finanzminister Christian Lindner beim Weltwirtschaftsforum in Davos nicht gehen. Der ökonomische Riese Deutschland sei nicht krank, aber müde, argumentierte der Finanzminister in den Schweizer Alpen und forderte strukturelle Reformen, damit der Koloss in der Mitte Europas wieder fit wird.

Welche das sein könnten, darüber diskutierten die führenden Ökonomen und Ökonominnen des Landes am Montag beim Leibniz-Wirtschaftgipfel. Einigkeit herrschte vor allem darin, dass Lindners Ampel-Regierung das Rezept gegen die Krise nicht gefunden habe - im Gegenteil. „Wir reden die Dinge schlecht“, sagte Almut Balleer vom RWI-Leibniz-Institut. Deshalb springe trotz kräftiger Lohnsteigerungen, guter Beschäftigung und sinkender Inflation der private Konsum nicht wie erwartet an. „Unsicherheit ist das Hauptproblem“, lautet ihre Kurzfristdiagnose.

Ampel muss Innovationsanreize setzen

Fehlgeleitete Entlastung von Unternehmen seitens der Ampel rückte Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in den Fokus. „Ich habe Zweifel an der selektiven Industriepolitik“, sagte er. Viele Milliarden Euro für Einzelprojekte wie Chipfabriken meinte er damit. Besser sei das Geld in breiter Entlastungen der ganzen Wirtschaft wie Steuersenkungen oder Investitionen in Energie und Verkehr, Infrastruktur und Wohnungsbau oder Bildung angelegt, weil das allen zu Gute kommt.

Übertrieben dirigistisches Mikromanagement nennt dagegen Reint Gropp vom Leibniz-Institut in Halle die derzeit praktizierte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Sie sei zudem außerordentlich schlecht darin, ihre Strategie umzusetzen.

Die Ampel müsse gezielt Innovationsanreize schaffen, ergänzte Clemens Fuest vom Ifo-Institut. Nicht nur er attestierte Deutschland gefährliche Innovationsschwäche. Zudem müssten Blockaden wie Bürokratie, Überregulierung und Fachkräftemangel beseitigt werden, fordert Fuest. „Wir bewegen uns aber eher in die Gegenrichtung“, meinte der Ifo-Chef etwa mit Blick auf die viel diskutierte Vier-Tage-Woche. Die verschärfe Personalmangel zusätzlich.

Zu verantworten hätten die Lage auch Vorgängerregierungen der Ampel und teils die Firmen selbst, indem sie Innovationen verschlafen haben, urteilten die Experten. So habe die deutsche Autoindustrie die Elektromobilität verpennt. Unternehmen müssten sich auch ehrlich machen und könnten nicht alle Probleme auf die Politik schieben. Die deutsche Wirtschaft habe schon lange Risikofaktoren mit sich herumgeschleppt, betont Holger Görg vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Nicht tragisch, wenn energieintensive Industrie abwandert

Unter anderem hohe Energiepreise durch die Folgen des Ukraine-Kriegs hätten sie nun an den Tag gebracht. Wenn energieintensive Industrien aus Deutschland wegen hoher Strompreise verschwinden, sei das nicht tragisch, fanden die Experten. Solchen Strukturwandel dürfe Wirtschaftspolitik nicht mit hohen Subventionen zu verhindern versuchen. Denn bei hohen Energiekosten werde es in Deutschland erst einmal bleiben. Besser sei es, energieeffiziente neue Technologien zu fördern, weil darin die wahre Zukunft liege.

Dabei nahmen die Wirtschaftsforscher auch Verbraucher von ihrer Kritik nicht aus. „Die deutsche Gesellschaft ist international mit am ablehnendsten eingestellt gegen neue Technologien“, meinte der Kieler Ökonom Görg. Auswirkungen dieses toxischen Gesamtgebräus würden sich nun auch an den Finanzmärkten zeigen, sagen die Experten. Als erstes Zeichen dafür sehen sie ein beobachtbares Abstrafen europäischer Bank- und Autotitel an den Börsen.

Wirtschaft braucht Planungssicherheit

Einig waren sich alle Experten, dass es rasch zur wirtschaftspolitischer Kurskorrektur kommen muss. Weil die Bundesregierung keine klaren Signale sende, würden derzeit sogar Investitionen von Unternehmen verzögert. Die Wirtschaft brauche dringend Planungssicherheit, um ihre Fesseln zu lösen, hieß es unisono.

Das will auch Linder. Am Montag verschickte sein Ministerium ein Papier mit der Überschrift: „Neue Dynamik. Impulse für mehr Wirtschaftswachstum“. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, werden in dem vierzeitigen Dokument Verbesserungen bei Abgabelast, Bürokratie, Fachkräfteangebot und Energiekosten gefordert. „Zu diesen allgemeinen Zielen werden derzeit konkrete Vorschläge für eine neue Dynamik erarbeitet“, kündigte das Ministerium an.

Am Mittwoch will Lindners Ampel-Gegenspieler, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorlegen. Nicht nur die Ökonominnen und Ökonomen dürften mit Spannung verfolgen, ob der Wirtschaftsminister ähnliche Schwerpunkte wie sein Kabinettskollege setzt. (rnd)

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