InterviewWarum es durchaus Hoffnung für die Erde gibt

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2022: Aufgerissen und ausgetrocknet ist eine Sandbank an der Niedrigwasser führenden Donau. Doch Hannah Ritchie sagt:„ Die Lösungen, die es braucht, sind da.“

2022: Aufgerissen und ausgetrocknet ist eine Sandbank an der Niedrigwasser führenden Donau. Doch Hannah Ritchie sagt:„ Die Lösungen, die es braucht, sind da.“

Klima, Plastik, Artenverlust: Der Zustand der Erde kann einen leicht zur Verzweiflung bringen. Das muss nicht sein, sagt Hannah Ritchie. Die Autorin erklärt im Interview, warum es durchaus Hoffnung gibt – und wie man wirklich sinnvoll seinen Beitrag leisten kann.

Frau Ritchie, die Herausforderungen, vor denen wir stehen sind enorm: Klimakrise, Entwaldung, Plastikverschmutzung, Artenverlust ... Sie sagen: All diese Probleme können wir in den nächsten 50 Jahren lösen. Wie?

Hannah Ritchie: Wenn man sich all diese Probleme einzeln anschaut, dann braucht jedes von ihnen 50 verschiedene Lösungen. Es müssen also insgesamt Hunderte Lösungen gefunden werden – das wirkt extrem überwältigend. Mir ist es daher wichtig zu zeigen: Viele dieser Lösungen sind bereichsübergreifend. Wenn wir zum Beispiel den Fleischkonsum reduzieren, dann wirkt sich das nicht nur positiv auf die Klimakrise, sondern auch auf die Luftverschmutzung, auf die Entwaldung, die Biodiversität aus. Hinzu kommt: Die Lösungen, die es braucht, sind da. Und im Gegensatz zu früher werden sie immer kostengünstiger. Ich sage also nicht, dass wir alle diese Probleme in den nächsten 50 Jahren lösen werden. Aber wir könnten es.

Den Klimawandel zu bekämpfen, das ist kein Opfer, sondern eine Chance.
Hannah Ritchie

Wovon hängt das ab?

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Nehmen Sie das Beispiel Energie: Ich habe keine Zweifel daran, dass die Welt eine Abkehr von fossilen Brennstoffen vollziehen wird. Entscheidend ist: Wie schnell? Um den Vorgang zu beschleunigen, bräuchte es politische Unterstützung. Und die ist eine offene Frage.

Ziele zu formulieren ist der einfachere Schritt. Warum glauben Sie, dass daraus konkrete Handlungen werden können?

Es gab in den vergangenen Jahren tatsächlich viele Erfolge. Einer war, dass inzwischen eine Mehrheit der Menschen überzeugt ist, dass der Klimawandel ein Problem ist. Sie wollen, dass ihre Regierungen aktiv werden, sie wollen Fortschritte sehen. Vor einigen Jahrzehnten war das noch nicht so. Dazu kommt, dass viele der Lösungen inzwischen auch ökonomisch Sinn ergeben. Den Klimawandel zu bekämpfen, das ist kein Opfer, sondern eine Chance.

In Ihrem Buch „Hoffnung für Verzweifelte“ schreiben Sie, in verschiedenen Bereichen sei „der Höhepunkt“ überschritten. Zum Beispiel bei der Landnutzung. Was bedeutet das?

Das zeigt, dass wir an einem einzigartigen Punkt in der menschlichen Geschichte sind. Ob die Nutzung von fossilen Energien, Land oder die Luftverschmutzung: Den größten Teil unserer Geschichte verliefen diese Linien flach. Dann – in den vergangenen Jahrhunderten – explodierte es plötzlich. Die Landnutzung, der Verbrauch von fossilen Energien, alles beschleunigte sich extrem. Doch jetzt haben wir bei vielen Kennzahlen den Höhepunkt des Schadens erreicht. Nun geht es abwärts – im positiven Sinne.

Wenn wir zum Beispiel den Fleischkonsum reduzieren, dann wirkt sich das nicht nur positiv auf die Klimakrise, sondern auch auf die Luftverschmutzung, auf die Entwaldung, die Biodiversität aus.
Hannah Ritchie

Wie können Sie da sicher sein? Das kann man doch eigentlich immer erst hinterher sagen.

Natürlich könnte es noch Ausschläge nach oben geben. Aber viele dieser Kennzahlen befinden sich in einem sogenannten strukturellen Niedergang. Ich wäre vorsichtig zu sagen: Die CO2-Emissionen haben ihren Höhepunkt erreicht. Sie schwanken in letzter Zeit von Jahr zu Jahr. Aber ich bin mir sehr sicher, dass etwa Deutschland den Höhepunkt seiner CO2-Emissionen längst überschritten hat. Generell geht die Entwicklung also in die richtige Richtung.

So lange, bis Donald Trump wieder zum US-Präsidenten gewählt wird oder bis eine andere unvorhergesehene Entwicklung alles wieder auf den Kopf stellt.

Natürlich kann es zu solchen überraschenden „Black Swan Events“ kommen. Aber Trumps erste Wahl ist ein gutes Beispiel: Damals versprach er, die Kohle zurückzubringen. Tatsächlich fiel während seiner Amtszeit der Verbrauch von Kohle. Es war einfach unökonomisch.

Zu Hause sind Kühlung und Heizung der entscheidende Faktor: Senken Sie, wenn möglich, die Temperatur in Ihren Räumen, wechseln Sie zu einer Wärmepumpe.
Hannah Ritchie

Menschen wollen oft verschiedene Maßnahmen und Handlungen vergleichen: Was ist besser für die Umwelt – Papierhandtücher oder Händetrockner? Warum halten Sie solche Vergleiche für müßig?

Solche Vergleiche geschehen aus guter Absicht. Die Menschen wollen einen Unterschied machen. Aber das Problem ist, dass sie von der Vielzahl von Entscheidungen überwältigt werden. Sie versuchen, jeden Bereich ihres Leben auf den Umwelteinfluss hin zu optimieren. Das ist einfach nur stressig. Ein anderer Effekt solcher Überlegungen ist, dass wir sehr viel Aufwand in kleine Verhaltensänderungen stecken. Dann können wir uns einreden, dass wir einen Unterschied machen. Dabei verpassen wir jedoch die Dinge, die wirklich relevant sind.

Welche Maßnahmen wären das denn konkret?

Als erstes das Essen: Das wichtigste ist es, weniger Fleisch und Milchprodukte zu essen. Die Lebensmittelverschwendung zu verringern kann auch einen großen Einfluss haben. Dann der Verkehr: Natürlich sind zu Fuß gehen, Fahrrad fahren oder den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen am besten. Wenn Sie ein Auto brauchen, dann kaufen Sie ein elektrisches. Zu Hause sind Kühlung und Heizung der entscheidende Faktor: Senken Sie, wenn möglich, die Temperatur in Ihren Räumen, wechseln Sie zu einer Wärmepumpe. Und: Kaufen Sie weniger.

Ist der Einfluss eines Individuums nicht sehr begrenzt?

Dem widerspreche ich entschieden. Man kann hier zwei Lager beobachten. Die einen, die sagen: „Wir müssen alle nur unseren Teil beitragen, dann lösen wir das Problem.“ Und die anderen sagen: „Es handelt sich um ein systemisches Problem. Es sind die Regierungen und Unternehmen, die sich ändern müssen.“ Beide Extreme sind falsch. Individuelle Verhaltensänderungen werden nicht ausreichen, das ist richtig. Aber unser Verhalten und unsere Meinungen können die Politik und die Märkte stark beeinflussen.

Mit Ihrem Buch wollen Sie „Verzweifelten“ Hoffnung machen. Aber fühlen Sie sich manchmal nicht auch hoffnungslos?

Ich glaube, ich werde oft als Person dargestellt, die immer optimistisch ist. Das ist nicht die Realität. Vor einigen Jahren war ich sehr deprimiert und ängstlich, was die Zukunft anging. Und ich mache mir immer noch Sorgen über die Welt, auf die wir zusteuern. Aber heute versuche ich, diese Sorgen mit der Hoffnung, dass wir es besser machen können, zu kombinieren.

Was hilft Ihnen dabei?

Angst rührt oft daher, dass wir glauben, keine Kontrolle zu haben. Meine Angst ist dann am größten, wenn ich durch die Nachrichten scrolle. Was mir hilft, ist, etwas zu tun, sich gemeinsam mit anderen Menschen zu engagieren.

Wenn man sagt: „Wir bewegen uns in die richtige Richtung“ – besteht dann nicht die Gefahr, dass die Menschen sich einfach zurücklehnen?

Ich unterscheide zwischen „aktivem“ und „selbstgefälligem“ Optimismus. Keine historische Bewegung entstand dadurch, dass die Menschen sagten: „Alles ist in Ordnung.“ Fortschritt entsteht durch Menschen, die ein Problem erkennen, und entschlossen sind, es zu beheben.

Wenn Sie eine Sache nennen müssten, um die wir uns weniger Sorgen machen sollten, welche wäre das dann?

In Ländern wie Deutschland: Plastikmüll. Menschen denken mehr über Plastikverschmutzung als über Luftverschmutzung nach. Dabei sterben Millionen Menschen durch Luftverschmutzung. Sie ist nur nicht so sichtbar.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.

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