Letzte Rettung RestaurantMüssen Gastronomen Menschen auf die Toilette lassen?

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Je nach Größe und Anzahl der Sitzplätze müssen Restaurants ihren Kundinnen und Kunden Toiletten anbieten - aber nicht Passanten.

Nicht nur Menschen mit Kindern oder einer schwachen Blase kennen das Problem: Die Stadt ist erkundet, die Füße tun weh – und dann meldet sich die Natur.

Es ist ein landläufiger Mythos, dass Restaurants Passantinnen und Passanten mit drückender Blase Abhilfe schaffen müssen. Auf ein „Notdurftrecht“ wollen sich einige dann berufen. Aber: Das gibt es nicht.

Müssen Restaurants den Toilettengang gewähren?

Je nach Größe und Anzahl der Sitzplätze müssen Restaurants, Cafés, Eisdielen, Imbisse oder andere Gastronomiebetriebe ihren Kundinnen und Kunden zwar Toiletten anbieten. Doch der Inhaber oder die Inhaberin kann selbst darüber entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen auch Passantinnen und Passanten diese Toiletten nutzen dürfen. Die Betreiberinnen und Betreiber haben das Hausrecht – und können Nichtgästen den Toilettenbesuch auch komplett untersagen.

Viele Gastwirtschaften erlauben allerdings, dass auch Besucherinnen und Besucher ihre Toilette nutzen können, ohne dass sie zahlende Gäste sind. Meist fordern sie dann aber kleinere Cent- oder Eurobeträge im Gegenzug. Schließlich entstehen dem Betrieb durch Wasser, Strom, Reinigung und Hygieneartikel Kosten, die ein dankbares Lächeln nicht bezahlen kann.

Von diesen Kosten seien allerdings überwiegend Frauen betroffen, monieren unter anderem feministische Politikerinnen und Aktivistinnen. Denn öffentliche Toiletten sind in Deutschland ohnehin rar. Städte wie Berlin, Hamburg oder Köln bieten etwa häufig kostenlose Urinale im öffentlichen Raum an, um sogenannten Wildpinklern vorzubeugen. Für Menschen, die nicht im Stehen Wasser lassen können, gibt es allerdings meist keinen vergleichbaren, vor allem kostenfreien, Lokus. Im Gegenteil: Sie zahlen für öffentliche Sitztoiletten Geld – und finanzieren so die Pissoirs.

Apps für öffentliche Toiletten

In einigen Städten und Gemeinden wird deshalb mit Gastronomiebetrieben und Einzelhändlerinnen und -händlern kooperiert: Beim Konzept der netten Toilette stellen diese ihre WCs für Passantinnen und Passanten kostenfrei zur Nutzung bereit. Dafür erhalten sie monatlich eine pauschale Entschädigung in Höhe von 60 bis 100 Euro monatlich durch die Stadt oder Gemeinde. Erkennbar sind diese Betriebe an einem kleinen Schild, auf dem „nette Toilette“ steht. Die nette Toilette gibt es bereits in hunderten Städten und Gemeinden in Deutschland – mehr als 3600 Toiletten sind auf der Karte in der kostenfreien App verzeichnet.

Weitere kostenlose Apps, um öffentliche Toiletten ausfindig zu machen, heißen Flush, Toilet Finder, Toiletten Scout oder Die WC Karte. Auch auf den Internetseiten pee.place, toiletten-fuer-alle.de oder freepee.org werden darüber hinaus öffentlich zugängliche Toiletten gesammelt. All diese Anwendungen unterscheiden sich allerdings in ihrer Datengrundlage, sind unterschiedlich teuer – und auch nicht alle gleich nützlich. So können die Eintragungen teils veraltet sein und wichtige Informationen zu Kosten, Ausstattung, Öffnungszeiten oder Barrierefreiheit der Toiletten fehlen.

Um barrierefreie Toiletten zu finden, eignet sich etwa die Karte von wheelmap.org, die obendrein auch barrierefreie Restaurants, Kulturangebote oder Bus- und Bahnstationen anzeigt. Auch die App HandicapX zeichnet weltweit über 19.000 barrierefreie Toiletten aus.

Der Euro-WC-Schlüssel für Menschen mit Behinderung

Für Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen könnte es sich darüber hinaus lohnen, den sogenannten Euro-WC-Schlüssel anzuschaffen: Mit diesem Schlüssel lassen sich mehr als 12.000 Toiletten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in weiteren europäischen Ländern öffnen. Toiletten auf Autobahnraststätten und Bahnhofstoiletten sowie öffentliche Toiletten in Fußgängerzonen, Museen oder Behörden vieler Städte verfügen etwa über das Schloss, in das der Euroschlüssel passt.


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In Deutschland vergeben der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. (BSK) und der Club Behinderter und ihrer Freunde (CBF) den Schlüssel. Interessierte müssen nachweisen, dass sie dazu berechtigt sind: Wer etwa schwer gehbehindert ist, einen Rollstuhl nutzt, ein Stoma trägt, blind ist oder eine Schwerbehinderung hat (Grad der Behinderung ab 70 Prozent), kann den Schlüssel beantragen. Auch Personen, die an Multipler Sklerose, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkrankt sind und Menschen mit chronischer Blasen- oder Darmerkrankung sind berechtigt. Nachweisen müssen sie das durch die Kopie ihres Schwerbehindertenausweises oder ein ärztliches Attest. Die Kosten liegen bei etwa 25 bis 35 Euro – je nachdem, ob auch das Register mit den Standorten aller 12.000 Behindertentoiletten dabei sein soll.


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