Meckern Französisch vs. DeutschSchimpfen wie ein dahingehauchter Chanson

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Illustration: Bistrot im Pariser Stil

„Es ist kein Wunder, dass französische Kellner ihre Abscheu gegenüber Touristen eher nonverbal zum Ausdruck bringen“, schreibt unser Autor: „Die Sprache gibt es einfach nicht her.“

Kein Wunder, dass die Deutschen so begabte Jammerer sind bei ihrem Reichtum an Unmutsvokabular. Auf Französisch klingt vieles gleich charmanter, findet unser Kolumnist.

Fast überall wird gemeckert, dass das Meckern zugenommen hat. Ich weiß nicht, ob das Meckern tatsächlich zugenommen hat, aber ich kann bestätigen, dass zumindest das Meckern darüber, dass das Meckern zugenommen hat, zugenommen hat. Es nähme mich nicht wunder, wenn auch das Meckern darüber, dass das Meckern darüber, dass das Meckern zugenommen hat, zugenommen hat, zugenommen hat. Nein, das war jetzt einmal zu viel. Aber wir wollen nicht meckern.

Die hiesige Sprache kennt mindestens 17 Varianten von „Beschwerde“ – von Anklage, Appellation und Beanstandung über Einwand, Lamento, Gejammer, Mängelrüge und Protest bis zu Querulation, Wehklage und Widerspruch. Kein Wunder, dass die Deutschen so begabte Jammerer sind bei diesem Reichtum an Unmutsvokabular.

Mein Favorit als „Beschwerde“-Ersatzbegriff ist die elegante „Demarche“ („Verzeihung, aber Sie sind mir gerade mit Ihrer Dampfwalze über den Fuß gefahren, ich möchte höflichst eine Demarche aussprechen.“). Es ist ein Gallizismus, also ein Wort aus dem Französischen, das dort tatsächlich existiert. Anders als sogenannte Scheingallizismen – französisch klingende Begriffe, die wir uns einfach ausgedacht haben (Blamage, Gardine, Friseur, Jour fixe). Das wäre, als ob die Franzosen kurzerhand deutsch klingende Wörter für irgendwelche Dinge erfinden – wie KROTZKNARTUFFEL für Rindenmulch oder SCHTRONKENFRUNZ für Rübensirup.

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Der Jour fixe hieße im Französischen „réunion de travail régulière“. „Rehüniohndötraweihregüliär“ – das klingt wie ein dahingerauntes Chanson von Serge Gainsbourg. Aber im Französischen, diesem Gesang von einer Sprache, hört sich alles lieblich an. Gewiss ist Meckern auch in Frankreich eine tief verwurzelte Tradition, sie nennen es dort Revolution. Ein südfranzösischer Weinbauer kann fluchen wie ein irischer Matrose. Aber in der Regel ähnelt ein Streit auf Französisch dem Balzgesang lustwerbender Nachtigallen.

„Niehmm dass-öh!“

Einem Volk, das MERDE sagt statt Scheiße und EMBONPOINT statt Fettbauch, kannst du einfach nicht böse sein. In Frankreich heißt der „Hurensohn“ FILS DE PUTE! Fiehß de Pütt. Wer soll das ernst nehmen? Der „Halsabschneider“ ist der ÉCORCHEUR. Ehkorrschör. Das klingt wie ein Lehrberuf („Mein Sohn ist im dritten Lehrjahr zum Écorcheur“). Und der Klugscheißer ist der PETIT CON PRÉTENTIEUX, der Pöttieh Kohn Prehtongssiöh. Niedlich. Ich hatte mal einen französischen Austauschschüler zu Gast, der beim Tischtennis bei jedem Schmetterball „Niehmm dass-öh!“ rief. Wie „prends ça“. Ich habe mir immer vorgestellt, er trüge dabei mittelalterliche Strumpfhosen und eine lustige Narrenmütze mit kleinen Glöckchen.

Es ist kein Wunder, dass französische Kellner ihre Abscheu gegenüber Touristen eher nonverbal zum Ausdruck bringen. Die Sprache gibt es einfach nicht her. Aber ich bin lieber ein petit con prétentieux mit Embonpoint als ein dicker Klugscheißer. Wörtlich übersetzt heißt Embonpoint übrigens „in gutem Zustand“. Wir Deutschen nennen das in unserer zarten, melodiösen Sprache etwas rustikaler: SCHECKHEFTGEPFLEGT. Schönes Wochenende! Oder wie der Franzose sagt: un bon week-end.


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