Zwischen Freiheit und Familienehre

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Auf Konfrontationskurs: Yale (Sema Meray), Bruder Murat (Aydin Isik) und die deutsche Freundin Bea (Lena Sabine Berg).

Auf Konfrontationskurs: Yale (Sema Meray), Bruder Murat (Aydin Isik) und die deutsche Freundin Bea (Lena Sabine Berg).

Bergisch Gladbach - „Eine türkische Tochter zu sein, bedeutet lebenslänglich“, erklärt die 35-jährige Yale (Sema Meray) ihrer deutschen Freundin Bea (Lena Sabine Berg). Das heißt: Frauen mit türkischem Hintergrund müssen auch als Erwachsene auf Erwartungen der Familie Rücksicht nehmen. In dem Stück „Wegen der Ehre“ ist zu sehen, welche Konflikte daraus folgen.

Kein Moralstück

Yale, die sich von ihrem Mann getrennt hat und allein mit Tochter Yasemin (Lilli Hollunder) leben will, wird von Bruder Murat (Aydin Isik) und Vater Zafer (Vedat Erincin) bedrängt, zu den Eltern zu ziehen. Die Drohung mit Gewalt steht im Raum. Bei einem Gastspiel im Bergischen Löwen zeigte das Freie Werkstatt Theater Köln das Drama, das in der Domstadt bereits für Aufsehen sorgte. 300 Jugendliche aus den Hauptschulen Ahornweg und Kleefeld, der Marie-Curie-Realschule und dem Berufskolleg schauten zu. Darstellerin Sema Meray ist auch Autorin des Stücks, nach dem „Ehrenmord“ an Hatun Sürücü in Berlin suchte sie die Debatte: „Es gibt keinen Ehrenmord und keinen Eifersuchtsmord. Es gibt nur Mord.“

Trotz der ernsten Botschaft ist „Wegen der Ehre“ kein „Moralstück“, wie Meray sagt. Die lebensechten Dialoge sind oft komisch. Gleichzeitig blickt Meray hinter die Fassade der türkischen Männer: Murat liebt seine deutsche Freundin, die Familie darf aber nichts davon wissen, Zafer hat Sex außerhalb der Ehe. Nah am Leben vieler Jugendlicher sind die Rücksichten, die Yale nimmt: Mit Blick auf ihre türkische Umgebung will sie ihrer 16-jährigen Tochter verbieten, ein körperbetontes T-Shirt zu tragen.

Szenen wie diese trugen dazu bei, dass die Jugendlichen nach der Aufführung im Bergischen Löwen lebhaft mit den Schauspielern diskutierten. Mehrere Jungen machten klar, dass sie sich selbst Sex zugestehen, nicht aber ihren Schwestern. „Bei uns Türken, sag ich mal, wollen wir nicht, dass die Schwester ausgenutzt wird“, sagte einer von ihnen. Es schälte sich heraus: Türkische Frauen seien vor dem männlichen Sexualtrieb zu schützen, deutsche nicht. Heftiger Widerspruch folgte: „Du willst, dass deine Schwester glücklich ist? Dann solltest du ihr auch den Freiraum lassen.“ Die Schauspieler hinterfragten geschickt die Argumentation, die Freiheit nur für Männer kennt, und riefen auf, sich weiter Gedanken zu machen: „Bitte bleibt im Gespräch.“ Klaren Widerspruch erntete ein Zuschauer, der in der Handlung „rassistische Stereotype“ sehen wollte: Bei der Arbeit an dem Stück habe sie eingehend recherchiert und mit vielen Türken in Köln gesprochen, entgegnete Meray, in den Dialogen seien typische Meinungen wiedergegeben. Dass Druck und Gewalt gegen Frauen nicht nur von türkischstämmigen Männern ausgeht, betonte Birgit Lembecher von der Frauenberatungsstelle Bergisch Gladbach: Das Problem gebe es „querbeet“, auch bei deutschen Männern, sagte sie bei einem anschließenden Pressegespräch. Meray wies darauf hin, in der Türkei habe sich das Bild von Männer- und Frauenrollen viel stärker gewandelt als bei türkischen Migranten: „Es geht in dem Stück um Türken in Deutschland.“

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