E-Bikes und PedelecsDarauf müssen Sie im Straßenverkehr achten

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Fahrräder mit Elektromotor boomen nach wie vor.  Doch mit den steigenden Verkaufszahlen nehmen auch die Unfälle mit E-Bikes und Pedelecs zu. Insbesondere ältere Menschen, so die Unfallforscher der Versicherer (UDV) in Berlin, seien ein „Sicherheitsrisiko“.

Zunächst  ist zu unterscheiden, was sich hinter der Bezeichnung „Elektrofahrrad“ – im Volksmund „E-Bike“ – verbirgt. Am meisten verbreitet sind Pedelecs (Pedal Electric Cycle). Sie unterstützen den Radler mit einem Elektromotor bis zu einem Tempo von 25 Stundenkilometern; gerade bei Steigungen ist das eine erhebliche Erleichterung. Für diese Form des Pedelecs schreibt der Gesetzgeber weder ein Versicherungskennzeichen noch einen Helm für den Fahrer vor. Auch der Radweg darf benutzt werden, weil die Pedelecs rechtlich als Fahrräder gelten.

Schneller sind die sogenannten S-Pedelecs, die bis auf 45 Stundenkilometer beschleunigen können. Diese fallen in die Kategorie der Kleinkrafträder. Deshalb sind für ihre Benutzung mindestens der Roller-Führerschein (Klasse AM), ein Helm und ein Versicherungskennzeichen vorgeschrieben. Dieses Kennzeichen kostet rund 70 Euro im Jahr. Das Mindestalter für S-Pedelecs beträgt 16 Jahre. Ebenfalls zu den Kleinkrafträdern zählen E-Bikes, die sich ohne Treten (also „per Gas geben“) auf bis zu 20 Stundenkilometer „beschleunigen“ lassen. Auch für sie sind Versicherung und ein Führerschein Klasse AM erforderlich – obwohl dieses Tempo von vielen Radlern bereits allein durch Muskelkraft erreicht wird.

Für E-Bikes gelten andere Regeln

Auch ist nicht immer klar  – allerdings altersunabhängig –  mit welchem Gefährt welcher Weg befahren werden darf. So dürfen E-Bikes nur dann auf Radwegen fahren, wenn das Zusatzschild „Mofas frei“ vorhanden ist. Pedelecs hingegen müssen nur dann auf dem Radweg fahren, wenn es auch „normale“ Radfahrer müssen, sprich: wenn er „benutzbar“ ist und ein blaues Radweg-Schild dazu verpflichtet. Überall dort, wo ein Schild das Befahren des Weges mit Motorkrafträdern verbietet, dürfen sich nur Fahrrad und Pedelec bewegen.

Außerdem: In Einbahnstraßen, die in Gegenrichtung für Fahrräder freigegeben sind, dürfen E-Bikes nicht einfahren, Pedelecs schon. Dasselbe gilt für Waldwege und für – für Radler freigegebene – Fußgängerzonen sowie für Fahrradabstellanlagen. Wichtig in der  Biergartenzeit: Die absolute Promillegrenze ist für Rad und Pedelec identisch (1,6 Promille) – für E-Biker gelten jedoch die strengeren Absolut-Grenzwerte für Kraftfahrzeuge (im Regelfall 1,1 Promille).

Und für alle gilt: Bei Ausfallerscheinungen kann es auch bereits bei Werten weit unterhalb der absoluten Fahruntüchtigkeit Strafen wie Führerscheinentzug oder Fahrverbot geben. Zu dieser Thematik gibt es eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm, die deutlich macht, dass Ermittlung und Ahndung fehlerhaften Verhaltens auf dem E-Bike noch am Anfang stehen: Das Gericht entschied, dass ein Mann, der mit 0,8 Promille Alkohol im Blut auf seinem Bike erwischt wird, nicht zwingend wegen des Führens eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss bestraft werden darf.

Hier sollte er ein Bußgeld in Höhe von 750 Euro sowie ein Fahrverbot von drei Monaten aufgebrummt bekommen. Weil aber (noch) unklar war, ob der Mann „in rechtlicher Hinsicht ein Kraftfahrzeug oder lediglich ein Fahrrad geführt“ habe (sein Rad schaffte trotz Antriebs nicht mehr als 25 Stundenkilometer) und „obergerichtliche Rechtsprechung“ dazu noch fehlt, durfte die Strafe nicht vollstreckt werden. (AZ: 4 RBs 47/13)

Kein Schadenersatz

Nochmal das Oberlandesgericht Hamm, vor dem sich ein Pedelec-Senior verantworten musste – und folgendes Urteil kassierte: Der 80-Jährige fuhr auf einer Straße, auf der sich rechts neben der Fahrbahn ein –  durch eine durchgehende Linie abgetrennter – Geh- und Radweg befand. Plötzlich scherte er nach links Richtung Fahrbahnmitte aus, wurde von einem Auto touchiert und stürzte. Er zog das Manöver ohne Handzeichen und Rückschau sowie ohne sonstige eigene Sorgfalt durch – also  quasi blindlings von rechts nach links über die Straße.

Die Autofahrerin, die nicht mehr ausweichen konnte, wurde komplett von der Schuld befreit. Der Mann musste die Schmerzen aus Prellungen und Brüchen ohne Schmerzensgeldzahlung ertragen. Auch auf den geforderten Schadenersatz musste er verzichten. Die Betriebsgefahr der Autofahrerin sei auf null gesunken. Nur wenn zu erkennen gewesen wäre, dass dort ein „unsicherer Senior“ unterwegs gewesen sei (ähnlich wie bei Kindern, die am Fahrbahnrand spielen), hätte die Fahrerin das Tempo drosseln müssen. Dann wäre eine Mitschuld für den Fall eines Unfalls wahrscheinlich geworden. (AZ: 9 U 125/15)

„Normale“ Fahrräder

Dass Pedelecs als normale Fahrräder gelten, bekräftigen folgende zwei Urteile. Das LG Saarbrücken meint, dass ein Pedelec-Fahrer bei einem Unfall nicht stärker haften müsse als ein „normaler Radler“. Haftungsrechtlich seien sie genauso zu behandeln wie Räder ohne Antrieb. Denn von dem Rad mit elektrischer Trethilfe gehe keine höhere Betriebsgefahr aus.

In dem konkreten Fall setzte ein Pedelec-Fahrer hinter einem Auto zum Überholen an, als dieses nach links in ein Grundstück einbiegen wollte. Das wäre auch genauso einem normalen Radfahrer passiert. (AZ: 13 S 107/13) Das Landgericht Detmold bestätigte diese Auffassung. Vom Pedelec gehe keine höhere „Betriebsgefahr“ aus, die zu einer „verschuldensunabhängigen Haftung“ führen könne. Hier hatte ein Radler eine Pedelec-Fahrerin „geschnitten“, sie war nicht weit genug rechts gefahren. Das Gericht teilte die Schuld hälftig – was hauptsächlich den Radler traf, da die Frau einen Schlüsselbeinbruch davongetragen hatte, während er unverletzt blieb. (AZ: 10 S 43/15)

Expertin empfiehlt Sicherheitstraining für ältere Menschen

Die Unfälle mit Pedelecs nehmen  überproportional zu   –  auch wenn man die wachsenden Verkaufszahlen mitberücksichtigt. „Viele Pedelec-Anfänger denken „Radfahren –  kann doch jeder, ich brauche kein Training“, erzählt Sonja Lehmann, Referentin beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC).

Mehr Unfälle

Bundesweit gibt es seit 2015 Jahr für Jahr mehr Pedelec-Unfälle. Im vergangenen Jahr verunglückten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes über 5100 Pedelec-Nutzer (2016: rund 3900), fast 68 davon tödlich. Die meisten Pedelec-Nutzer in Deutschland sind Senioren, etwa 80 Prozent, schätzt Unfallforscher Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Die Unfallzahlen seien allein mit dem Anstieg der Verkaufzahlen nicht zu erklären.

Sicherheitstrainings richten sich daher vor allem an die  Zielgruppe der Senioren. Wie viele solche Trainings jährlich abgehalten werden, sei nicht bekannt. „Die Leute rennen uns aber nicht gerade die Bude ein“, bedauert ADFC-Expertin Lehmann. Misslich – denn solche Trainings seien, neben gründlicher Beratung beim Kauf von Pedelecs, absolut empfehlenswert, sagt Brockmann: Viele Senioren stiegen aufs Elektrorad, obwohl sie jahrelang nicht mal mehr auf einem Fahrrad gesessen hätten.

„Die Hauptnutzergruppe ist auch das Hauptproblem“, sagt der Unfallforscher. Ausführliche Erkenntnisse erwarten Verkehrsexperten Mitte des Jahres von einer neuen Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD). Die letzte derartige bundesweite MiD-Befragung zum Verkehrsverhalten stammt von 2008. „Die Reaktionsfähigkeit von Senioren nimmt ab, die Geschwindigkeit mit den Pedelecs im Vergleich zum normalen Fahrrad aber zu“, sagt Reinhard Kappes vom ADFC. „Das ist dann eine ungünstige Mischung.“ Beim Anfahren am Berg, aber auch beim Bergabfahren ist üben wichtig.

Denn nicht nur die Geschwindigkeit der Räder ist gewöhnungsbedürftig, sondern auch das Gewicht. Sie sind etwa doppelt so schwer wie ein normales Rad. Von der Idee, angehenden Pedelec-Nutzern ein Sicherheitstraining  vorzuschreiben, halten weder Unfallforscher Brockmann noch ADFC-Vertreter Kappes viel. Auch wenn ein Training sehr hilfreich sei, könnten damit längst nicht alle brenzligen Verkehrssituationen trainiert werden.  (dpa/feo)

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