Kriegsverbrechen in der UkraineWelche Strafen Putin und Lawrow drohen

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Wird Putin für den Ukraine-Krieg zur Rechenschaft gezogen werden können?

  • Während der russische Krieg gegen die Ukraine unvermindert weitergeht, machen sich Juristen an die Aufarbeitung möglicher Kriegsverbrechen.
  • Ein Fachmann erläutert, wie die Spurensicherung läuft und was den Schuldigen drohen könnte.

Vergewaltigungen, Morde, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser. Die Liste der mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine wird von Tag zu Tag länger. Westliche Staaten haben erst jüngst bei einer Konferenz in Den Haag beschlossen, sich für eine konsequente Strafverfolgung von Kriegsverbrechern einzusetzen.

„Ich hoffe, dass wir den Prozess beschleunigen können und den Opfern zeigen können: Das Recht ist nicht machtlos“, sagte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, Karim Khan. Am Donnerstag präsentierten internationale Experten in Warschau eine 53-seitige Dokumentation über schwerwiegende und massenhafte Verstöße der russischen Truppen gegen das humanitäre Völkerrecht.

Das Wahl- und Menschenrechts-Büro ODIHR der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dokumentiert darin gravierende Fälle wie der Beschuss des Theaters voller Flüchtlinge in Mariupol Mitte März und des belebten Bahnhofs von Kramatorsk Anfang April.

Das Vorgehen der russischen Truppen verstoße gegen jeden Grundsatz von Verhältnismäßigkeit und Rücksicht. Zeugen hätten von vielen Fällen illegaler Hinrichtungen, Inhaftierungen, Folter, sexueller Gewalt und Entführungen berichtet.

Auch die ukrainische Armee habe gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen, wenn auch in geringerem Maße, heißt es in dem Bericht. Kritisiert wurde Gewalt gegen mutmaßliche Plünderer. Auch würden beide Seiten im Umgang mit Kriegsgefangenen das geltende Völkerrecht verletzen.

Zuständig für die Ahndung solcher Verbrechen seien sowohl nationale als auch internationale Gerichte, bestätigt Prof. Dr. Christoph Safferling, Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

„Erst letztes Jahr hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Mitglied einer staatlichen Armee keine funktionelle Immunität genießt. Staatsoberhäupter sind indes gegen Strafverfolgung immun, so lange sie im Amt sind.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Wären also der russische Präsident Wladimir Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow juristisch gar nicht belangbar? Im unwahrscheinlichen Fall, dass man ihrer habhaft wären würde, wäre in ihrem Fall der internationale Strafgerichtshof (IStGH) im niederländischen Den Haag das geeignete Tribunal, „dort genießen aktive Politiker keine Immunität“, bestätigt Prof. Safferling.

„Wird wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt, in diesen Fällen kann auch der Generalbundesanwalt aktiv werden, können auch einfache Soldaten, die Befehlshaber vor Ort und natürlich die Oberbefehlshaber und politischen Führer zur Verantwortung gezogen werden. Hier greift die sogenannte ,Vorgesetztenverantwortung“, selbst bei fahrlässiger Unkenntnis oder Nichtverhinderung von Straftaten“, so der Jurist Safferling, allerdings sei das „ein zugebenermaßen umstrittenes Konzept im Völkerrecht“.

Schwierig wird es indes mit dem im modernen Völkerrecht bestehenden grundsätzlichen Verbot eines Angriffskrieges. „Hier ist der Tatbestand anhand der vorhandenen Informationen aus der Ukraine sicherlich erfüllt. Es liegt eine manifeste Verletzung der UN-Charta vor“, sagt Prof. Safferling. Das deutsche Strafrecht ist hier ausgeschlossen

Der Jurist schränkt aber ein, dass es bei der Verfolgung dieses Tatbestands große Probleme gibt: „Das deutsche Strafrecht ist hier im Fall des Ukraine-Krieges ausgeschlossen, weil nur gegen Täter mit deutscher Staatsbürgerschaft ermittelt werden kann - oder falls sich die Tat gegen Deutschland richtet.“ Der Internationale Strafgerichtshof wiederum kann nur ermitteln, falls beide beteiligte Staaten das ihm zugrunde liegende Römische Status unterzeichnet hätten. Doch das haben weder Russland noch die Ukraine. Die Ukraine hat dem Gericht lediglich die Zuständigkeit für Verbrechen auf ihrem Territorium nach der Krim-Invasion 2014 übertragen. Safferling: „Es wäre besser, wenn sie beitreten würde.“

„Schwere Vorwürfe“

Auch eine Verurteilung wegen Völkermords - bekanntestes Vorbild der jüngsten Geschichte sind die Urteile des Jugoslawien-Tribunals gegen die serbischen Führer Ratko Mladic und Radovan Karadzic wegen der Ermordung von Muslimen in Srebrenica - sieht Prof. Safferling im aktuellen Fall eher nicht: Denn man müsste beweisen, dass Ukrainer auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit gezielt eliminiert worden seien.

„Was ich sehe, sind Anzeichen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – auch das sind sehr schwere Vorwürfe“, sagte Safferling: „Die Angriffe auf die Zivilbevölkerung, zum Beispiel Geschehnisse in Orten wie Butscha, legen das nahe. Der Internationale Gerichtshof kennt zwar auch die lebenslange Freiheitsstrafe, kann aber, anders als das deutsche Strafrecht, auch lange Freiheitsstrafen von bis zu 30 Jahren verhängen. Für die Hauptverantwortlichen solcher Straftaten in der Ukraine könnten also durchaus 20 bis 30 Jahre Gefängnis drohen.“

KStA abonnieren