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KriminalitätMinister Reul will es Clans in NRW weiter „ungemütlich“ machen

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Clankriminalität - Gemeinsamer Schwerpunkteinsatz von Polizei und Netzwerkpartnern

Clankriminalität beschäftigt weiter die NRW-Behörden. Innenminister Reul hat das Lagebild des LKA aus dem Vorjahr 2024 dazu vorgestellt. Alle Zahlen und Fakten.

Die Gewalt eskalierte im Herbst 2024. Ein türkischer Mitarbeiter wurde aus einer Sicherheitsfirma im westfälischen Herten geworfen, die für die Deutsche Bahn arbeitete. Das Unternehmen gehörte dem türkisch-arabischen Saado-Clan. Der entlassene Angestellte drang in die Büroräume ein. Nach einem Streit flüchtete der Mann. Familienmitglieder jagten ihm nach. In Notwehr zückte er sein Messer und stach einem der Verfolger in den Oberkörper. Nur durch eine schnelle Operation im Krankenhaus konnte das Leben des Opfers gerettet werden.

Angehöriger verüben Blutrache

Der Täter konnte zunächst fliehen. Bald aber spürte der Clan ihn auf. Am 28. September übten Angehörige der Opferfamilie Blutrache. Zehn Männer entdeckten den Flüchtigen in einem Café. Einer der Angreifer schwang eine Axt und schlug gleich sechs Mal auf sein Opfer ein. Wie sich herausstellte, mischte auch der mächtige Omeirat-Clan bei der Attacke mit. Nasser O. trat gleich mehrfach auf die Zielperson ein. Der Täter stammte aus der Türsteher-Szene. Er gilt als Legende in seiner Großfamilie, die auch im neuen Lagebild des Landeskriminalamts (LKA) als Nummer 1 zwischen Rhein und Weser aufgeführt ist. Inzwischen wurde der Angreifer zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Am Mittwoch stellte Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) den neuen LKA-Clan-Report für das vergangene Jahr 2024 vor. Demnach ist die Zahl der Tatverdächtigen im Fünfjahresvergleich auf ein Rekordniveau von 4282 gestiegen. Die Zahl der Straftaten sank im Vergleich zum Jahr 2023 um 300 Fälle auf gut 6700. „Dies geht vor allem auf das Gesetz der Cannabis-Legalisierung zurück“, führte Reul aus. Knapp jedes vierte Delikt geht auf das Konto der 190 registrierten Intensivtäter. Im Sechsjahresvergleich verringerte sich 2024 die Zahl der Tumult-Lagen von zwölf auf ein Vorkommnis dieser Art. Im September starb ein 87-jähriger Mann mit libanesischen Wurzeln in einem Essener Krankenhaus. Nach dem Tod des Seniors eskalierte die Lage. Die Angehörigen machten das Klinikpersonal für das Ableben des Mannes verantwortlich und schlugen zu. Vier Mitarbeiter der Klinik wurden verletzt, zudem erlitt eine Ärztin eine Gehirnerschütterung.

Gut 30 Prozent der Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität

Gut 30 Prozent der Straftaten gehörten in den Bereich der Gewaltkriminalität. 403 Bedrohungen, 120 Straftaten gegen die persönliche Freiheit, 105 Raubüberfälle sowie 1342 Körperverletzungen registrierte das LKA. Insgesamt aber sank die Quote im Vergleich zu 2023 um 8,8 Prozent. Im Gegensatz dazu legten Fälle von Sexualdelikten und kinderpornografischen Verbrechen um gut drei Prozent zu. Zugleich wurden 13 Fälle von Mord und Totschlag aktenkundig, einer mehr als im Jahr zuvor.

Samir Al Zein, eine Größe aus dem berüchtigten kurdisch-libanesischen Clan, tauchte im Juli 2025 auf einem Kindergeburtstag in Essen auf und eröffnete das Feuer auf den 37-jährigen Vater. Das Projektil schlug knapp neben seinem Kontrahenten ein. Ein Streit in Clan-Kreisen, der komplett aus dem Ruder lief. Monatelang tauchte der mehrfach vorbestrafte 57 Jahre alte Schütze unter, ehe er nach viermonatiger Flucht am 20. November durch Spezialeinsatzkräfte in Lünen festgesetzt werden konnte. Sein Strafverteidiger Burkhard Benecken will sich zu dem Geschehen nicht äußern. Nur soviel: „Die Vorwürfe gegen meinen Mandanten sind übertrieben, das wird sich im Laufe des Verfahrens auch herausstellen.“

In 19 Fällen registriert das Clan-Lagebild Angriffe auf Polizeibeamte. Zudem sollen Familienangehörige zwei Mal in die Bildung einer terroristischen Vereinigung verwickelt gewesen sein. Das Lagebild attestiert vielen kriminellen türkisch-arabischen Sippen eine „hohe Gewaltbereitschaft, ein hohes Mobilisierungspotenzial sowie ein provokantes Auftreten gegenüber Vertreterinnen und Vertretern staatlicher Institutionen. Zudem bemängelt das LKA „eine eigene Werteordnung“, die das deutsche Recht nicht anerkennt. Die Familienehre geht über alles.

Herbert Reul (CDU), Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, hat der Clankriminalität den Kampf angesagt.

Unsere Strategie gegen Clankriminalität bleibt einfach, aber erfolgreich: tausend Nadelstiche und null Toleranz. Die verfolgen wir auch weiter
Herbert Reul (CDU), NRW-Innenminister

Seit 2018 hat Landesinnenminister Reul der verbrecherischen Clanwelt den Kampf angesagt. Am Mittwoch zog der CDU-Politiker Bilanz: Bis heute habe man fast 4.300 Razzien durchgeführt. „Oft gemeinsam mit unseren Partnerbehörden: dem Ordnungsamt, der Steuerfahndung oder dem Zoll“, erläuterte der Minister. „Wir haben an mehr als 10.700 Türen geklopft. Von Wettbüros, Shisha-Bars oder Spielcasinos. Dort, wo die Clans ihr Geld verdienen oder in den Wirtschaftskreislauf einbringen wollen.“ Seit 2018 seien über 22 Millionen Euro aus illegalen Geschäften sichergestellt worden. Die Polizei habe 5.600 Strafanzeigen geschrieben und 20.000 Verwarngelder erhoben. Reul: „Manche bezeichnen das als Klein in Klein, aber diese Form der Kriminalität ist genauso Teil der Clan-Machenschaften wie etwa große Drogendeals. Unsere Strategie bleibt dabei einfach, aber erfolgreich: tausend Nadelstiche und Null-Toleranz. Die verfolgen wir auch weiter.“

Insgesamt listet der LKA-Bericht 118 kriminelle türkisch-arabische Großfamilien in NRW auf. Clan-Hotspot Nummer eins ist nach wie vor Essen mit 904 registrierten Straftaten. Allerdings muss dieses Ergebnis nicht verwundern, denn seit Jahren bekämpfen die Ermittler mittels einer dauerhaft eingerichteten Sonderkommission (BAO Clan) die kriminellen Zweige der meist kurdisch-libanesischen Sippen in der Ruhrmetropole. Wer tiefer gräbt, wird auch häufiger fündig, lautet die Devise.

Die Hochburgen liegen an der Ruhrschiene. Nach Recklinghausen (581 Fälle), Bochum (493 Fälle), Gelsenkirchen (389 Fälle), Dortmund (371 Fälle), Duisburg (296 Fälle) folgt Köln an Platz sieben mit 287 Taten. Gut die Hälfte der Tatverdächtigen besitzt einen deutschen Pass. Offen bleibt die Rate jener, die in den vergangenen Jahren eingebürgert wurden. Der LKA-Bericht verzeichnet daneben 821 Syrer, 560 Libanesen, knapp 400 Türken, 200 Personen mit unbekanntem Aufenthaltsstatus und 38 Staatenlose unter den Beschuldigten. Über das Präventionsprogramm „Kurve kriegen“ haben laut dem Minister 1400 Aussteiger ein neues Leben angefangen.

Reuls Fazit fällt eindeutig aus: Der Minister will „weiter machen, weiter mit Razzien und weiter Nadelstiche setzen.“ Weiterhin werde gegen Clankriminelle ermittelt, um dafür zu sorgen, dass es für diese Klientel „ungemütlich bleibt“.