60 Jahre „I have a dream“Welche Proteste große Veränderungen bewirkt haben

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Dr. Martin Luther King winkt am 28.08.193 von der Lincoln Gedächtnisstätte in Washington den Demonstranten zu.

Martin Luther King vor 60 Jahren in Washington

Von Bürgerrechtsbewegung und Arbeitskampf bis Greenpeace: Wir stellen Meilensteine der Protestgeschichte vor.

Vor 60 Jahren hielt Martin Luther King seine historische Rede. Seither steht der Satz „I have dream“ symbolisch für den friedlichen Protest der Bürgerrechtsbewegung gegen die Diskriminierung von Afroamerikanerinnen und -amerikanern. Immer wieder formierte sich im Laufe der Jahrhunderte Protest gegen das etablierte System. Wie weit dabei der zivile Ungehorsam gehen darf und wo seine Grenzen sind, ist eine Debatte, die viele dieser Bewegungen begleitet hat. Unbestreitbar ist: Die Protestierenden haben Rechte und Fortschritte erkämpft, die einst als unvorstellbar, gar unerhört galten – und von denen wir alle bis heute profitieren.

Die Bürgerrechtsbewegung: Rosa Parks blieb einfach sitzen

Ein Polizist nimmt die Fingerabdrücke von Rosa Parks.

Rosa Parks muss nach einer Verhaftung während der über ein Jahr währenden Busboykott-Proteste ihre Fingerabdrücke abgeben.

Es war ein Tag im Dezember, als die Näherin und Bürgerrechtsaktivistin Rosa Parks sich zu einem radikalen Akt entschied: Sie blieb im Bus einfach sitzen, obwohl sie ihren Platz für einen weißen Fahrgast räumen sollte. Parks war schwarz, es war das Jahr 1955 in Montgomery, Alabama, und die sogenannte „Rassentrennung“ in Bussen, in Schulen, in Restaurants, in Toiletten, in Krankenhäusern war auch nach der Abschaffung der Sklaverei in den USA bittere Realität.

Parks' Verhaftung und Verurteilung sowie der anschließende Busboykott gelten als einer der zentralen Auslöser für die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Über ein Jahr weigerten sich Afroamerikanerinnen und -amerikaner in Montgomery, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Mit Erfolg: Der Supreme Court erklärte die Trennung im Nahverkehr für verfassungswidrig.

Treibende Kraft hinter diesem Boykott war ein zu diesem Zeitpunkt noch relativ unbekannter Baptistenprediger namens Martin Luther King Jr. Im Jahr 1963 hielt er beim „Marsch auf Washington“ mit über 250.000 Teilnehmenden eine der, wenn nicht sogar die berühmteste Rede der neueren Geschichte: „I have a dream …“.  1964 wurde in den USA die „Rassentrennung" in allen öffentlichen Einrichtungen per Gesetz abgeschafft. Für Gleichberechtigung kämpfen die Afroamerikanerinnen- und -amerikaner bis heute.

Suffragetten-Bewegung: Zertrümmerte Fenster für das Frauenwahlrecht

Die britische Suffragette Emmeline Pankhurst wird von einem uniformeirten Mann weggetragen.

Die britische Suffragette Emmeline Pankhurst wird 1914 nach einem Protestmarsch vor dem Buckingham Palace festgenommen. Die protestierenden Frauen trafen nicht nur auf die Polizei, sondern auch auf aufgebrachte Männer.

Dass Frauen heute wählen dürfen, hat auch mit einem Abend im März 1912 zu tun: Um 17.30 Uhr zogen Britinnen aus dem gehobenen Bürgertum Hämmer und Steine aus ihren Handtaschen und zertrümmerten in der Londoner Innenstadt Schaufensterscheiben. Eine von ihnen hatte kurz zuvor den ersten Stein geschmissen, Englands bekannteste Suffragette Emmeline Pankhurst. Ihr Ziel: Ein Fenster in der Downing Street 10, Sitz von Premierminister Asquith. Ihr Argument: Die Regierung sorge sich offenbar mehr um kaputte Fenster, als um das Leben der Frauen.

Nachdem die – zu diesem Zeitpunkt schon über ein halbes Jahrhundert währenden – friedlichen Proteste der Frauenstimmrechtsbewegung ignoriert worden waren, griff ein Teil der britischen Frauenrechtsbewegung zu immer radikaleren Mitteln, um das Wahlrecht (Englisch: suffrage) zu erkämpfen. Harte Strafen konnten die Suffragetten nicht abhalten, ihre Aktionen sorgten im In- und Ausland für Diskussionen.

Mit dem Tod von Emily Davison, die sich ein Jahr später auf dem Epson Derby vor das Pferd von König Georg V. warf und dabei ums Leben kam, hatte die inzwischen weltweit vernetzte Bewegung schließlich eine Märtyrerin. Bis heute ist umstritten, ob die Aktivistin wirklich für die Sache sterben wollte. Nach dem Ersten Weltkrieg führte England 1918 das Wahlrecht für alle Britinnen über 30, zehn Jahre später für alle über 21 Jahre ein. In Deutschland dürfen Frauen seit 1918 wählen.

Gewerkschaften organisieren den Arbeitskampf: „Samstags gehört Vati mir“

Plakat des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus den 1950er Jahren mit der Aufschrift: „Samstags gehört Vati mir“.

In den 1950er Jahren demonstrierten Gewerkschaften unter dem Motto „Samstags gehört Vati“ mir für eine 5-Tage-Arbeitswoche.

Bei den 1. Mai-Feierlichkeiten im Jahr 1954 stand ein Anliegen der Gewerkschaften im Fokus, das heutzutage eine Selbstverständlichkeit darstellt: die Fünf-Tage-Woche. In den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es keinen freien Samstag. Das Wochenende bestand lediglich aus dem arbeitsfreien Sonntag.

Für viele war das auch kein Problem, die Menschen wollten Geld verdienen, das Land musste aufgebaut und die Wirtschaft wieder angekurbelt werden. Nachdem die Grundbedürfnisse nach Essen und einer menschenwürdigen Wohnung gestillt waren, erinnerten sich die Leute jedoch daran, dass es ein Leben abseits der Arbeit gab. Also begannen die Gewerkschaften unter dem Motto „Samstags gehört Vati mir“, mit Arbeitsniederlegungen eine 40-Stunden- und 5-Tage-Arbeitswoche zu fordern. Zum Teil wurden sogar die Betriebstore verriegelt, um Kollegen daran zu hindern zu arbeiten.

Es dauerte viele Jahre, bis bei Arbeitern, Angestellten und Beamten vieler Arbeitsbereiche die Verkürzung durchgesetzt werden konnte. Dabei stellte sich heraus, dass die verkürzte Arbeitszeit sogar der Wirtschaft nützte, denn die freie Zeit kurbelte den privaten Konsum an. Darüber hinaus konnten zahlreiche Arbeitsplätze gesichert und der Grundstein für die Arbeit von Frauen gelegt werden. Arbeitskämpfe gibt es bis heute. Sie sind für die Gewerkschaften ein Instrument des Kampfs für Arbeitnehmerrechte.

Die Studentenbewegung

Benno Ohnesorg ist am 02.06.1967 bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus umringt von Helfern des Roten Kreuzes.

Benno Ohnesorg bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus.

1968, das Symbol-Jahr der Studentenbewegung, nahm schon am 2. Juni 1967 mit einem tragischen Wendepunkt in einem Berliner Hinterhof seinen Ausgang. Dort erschoss der Polizist Karl-Heinz Kurras den Demonstranten Benno Ohnesorg. Ohnesorg, der an diesem Tag zum ersten Mal an einer Demonstration teilnahm, protestierte wie Tausende andere gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien.

Vor dieser Eskalation waren die Proteste der Studentenbewegung weitgehend friedlich verlaufen. Es brauchte aber auch nicht viel, um eine  biedermeierliche Gesellschaft zu provozieren. Die Studenten protestierten gegen alte Nazis in den Führungsetagen, gegen den Vietnamkrieg, gegen eine spießige Sexualmoral und träumten von einer gerechteren, freieren Gesellschaft. Ihre öffentlichkeitswirksamen Protestformen sind bis heute populär, etwa der Sitzstreik, der damals allerdings noch ohne Sekundenkleber auskam.

Der Tod Ohnesorgs radikalisierte den Protest der Studenten. Demonstrationen endeten immer häufiger in Straßenschlachten. Spätestens nach dem Attentat auf Rudi Dutschke zersplitterte die Bewegung. Ihr radikalster Flügel gründete die Rote Armee Fraktion, deren Terroranschläge mit Toten und Verletzten das Land jahrzehntelang in Atem halten sollten. Auf der anderen Seite fanden nach dem Mord an Ohnesorg die gemäßigteren Forderungen der Studenten immer mehr Gehör. Es hat lange gedauert, aber viele Veränderungen gehen auf ihre Proteste zurück: Vergewaltigung in der Ehe wurde strafbar, Homosexualität entkriminalisiert, die Prügelstrafe an Schulen abgeschafft.

Anti-Atomkraft-Bewegung: An der Schwelle zur Illegalität

Das Archivbild vom 20. Februar 1975 zeigt Wasserwerfer der Polizei im Einsatz gegen den gewaltlosen Widerstand von Demonstranten in Wyhl.

Demonstration gegen geplantes Atomkraftwerk in Wyhl 1975 (Archivbild).

Zur ersten großen Protestaktion gegen den Bau eines Kernkraftwerkes kam es 1975 in der kleinen südbadischen Gemeinde Wyhl. Aus Bauern und Winzern der Region, Studenten der nahegelegenen Universität Freiburg und auffällig vielen Frauen wurden Atomkraftgegner, die mit der Besetzung des Bauplatzes erstmals die Schwelle zur Illegalität überschritten. Eine bis dato unbekannte Allianz in der bundesdeutschen Protestgeschichte formierte sich gewaltlos und wurde zwei Tage nach der Besetzung von der Polizei mit Wasserwerfern attackiert und verdrängt.

Den Demonstranten schwappte eine Welle der Sympathie und Solidarität entgegen, und das Thema Anti-Atomkraft in Deutschland war gesetzt. Es folgten bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen bei Protesten im darauffolgenden Jahr gegen das Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe.

Unter die friedlichen Demonstranten mischten sich erstmalig militante Gruppen. Und 1979 riefen Atomkraftgegner bei der Besetzung des Bauplatzes für das Endlager und die Wiederaufbereitungsanlage im niedersächsischen Gorleben die „Freie Republik Wendland“ aus und verteilten sogar fiktive Pässe an die „Bürger“ ihrer „Republik“. Eine Bewegung war geboren, die nach jahrzehntelangem Kampf mit dem Aus der Kernkraft in Deutschland ihr Hauptanliegen erreichen sollte.

Greenpeace: Auf dem Schlauchboot gegen die Mächtigen der Welt

Greenpeace-Aktivisten fahren am 05.07.2013 in Hamburg mit einem Schlauchboot und einem Transparent mit der Aufschrift "Stop Whaling" vor dem Containerfrachter "Cosco Pride" her . Nach Greenpeace-Informationen hat der Frachter Container mit Walfleisch geladen.

Greenpeace-Aktivisten kämpfen gegen den Walfang.

Die Geschichte von Greenpeace, so überliefert es die Umweltorganisation selbst, begann Ende der 1960er-Jahre. Irwing Stowe, Jim Bohlen und Paul Cote, kanadische Friedensaktivisten, wollten die damals stattfindenden US-amerikanischen Atombombentests verhindern. Mit diesem Ziel im Sinn gründeten sie in Vancouver die Gruppe „Don’t make a wave comittee“: die Keimzelle von Greenpeace.

Schon ihre erste Mission zeigte, wie gut die Organisation die Bedeutung symbolträchtiger Bilder und medienwirksamer Inszenierung verstand. Um Geld aufzutreiben, veranstalteten sie 1970 ein Benefizkonzert mit Rockgrößen wie Joni Mitchell. Mit diesen Mitteln charterten die Aktivisten 1971 anschließend den Fischkutter „Phyllis Cormack“ und tauften das Schiff um in: „Greenpeace“.  Dann setzten sie die Segel in Richtung Alaska, um mit ihrer einfachen Präsenz die dortigen Atombombentests vor der Küste unmöglich zu machen. David gegen Goliath – oder: mit dem Schlauchboot gegen die Mächtigen dieser Welt. Diesem Muster folgen die Aktionen der heute weltweit aktiven Organisation immer wieder.

Ob auf hoher See im Kampf gegen den Walfang oder die Besetzung der ausrangierten Ölplattform Brent Spar von Shell: Ihre größte Wirkmacht entfalten ihre Aktionen, weil die Aktivisten den Fokus der Öffentlichkeit auf konkrete Umweltverbrechen lenken, indem sie selber vor Ort sind und der Welt zeigen: Schaut her, was hier gerade passiert!

Die Montagsdemonstrationen in der DDR

„Wir wollen keine Gewalt! Wir wollen Veränderungen!“ ist auf einem Transparent zu lesen, das Demonstranten bei der Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig mit sich führen.

„Wir wollen keine Gewalt! Wir wollen Veränderungen!“ ist auf einem Transparent zu lesen, das Demonstranten bei der Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig mit sich führen.

Was 1982 in der Leipziger Nikolaikirche begann, sollte sieben Jahre später zum Fall der Mauer und zur Wiedervereinigung führen. Ab dem 20. September hielt die dortige Gemeinde jeden Montagabend Friedensgebete ab, in denen die Angst vor einer atomaren Eskalation zwischen Ost und West zum Ausdruck kam. Bald mischte sich in die Gebete auch Wut auf ein System, das die Freiheit seiner Bürger unterdrückte.

Immer mehr Menschen nahmen daran teil, sieben Jahre später blieben die Menschen nach dem Gebet erstmals auf dem Kirchhof stehen, um öffentlich gegen die DDR-Führung zu demonstrieren. Der Protest verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der ganzen DDR. Es grenzt an ein Wunder, dass die Revolution, die in einer Leipziger Kirche begann, nicht gewaltsam niedergeschlagen wurde. Doch die Proteste trafen auf ein System, das seine Bürger zwar engmaschig überwachen konnte, aber so morsch und müde war, dass es unter dem Druck des friedlichen Protests zusammenbrach.

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