Mutiger SchrittZwölfjährige Kölnerin schneidet ihre Haare ab, weil sie helfen will

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Haarspende

Köln – Genauso selbstverständlich, wie Bäcker Brötchen backen, schneiden Friseure Haare ab. Insofern birgt dieser Vorgang als solcher noch keinen Stoff für eine Geschichte. Doch hier geht es um einen anderen Abschnitt, hier möchte eine zwölfjährige Kölner Gymnasiastin nicht einfach die Länge korrigieren lassen, sondern sie möchte ihre prächtigen Haare einem krebskranken Kind oder Jugendlichen spenden und hat sich dafür einen besonderen Salon ausgesucht.

Wer auch immer später die Perücke mit ihrem Haar erhalten wird, er und sie darf sich in doppelter Weise glücklich schätzen: Zum einen weil die Spenderin – selber noch Kind – ehrliches Mitgefühl aufbringt gegenüber denjenigen, die an den Folgen  einer Chemotherapie leiden; zum anderen, weil Marlene eine außergewöhnliche Haarpracht besitzt.

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40 Zentimeter müssen es mindestens sein.

Ein solches Blond mit natürlichen Strähnen sei wirklich selten, sagt auch Tatjana Richartz. Und sie kennt sich aus, denn sie ist selber Friseurmeisterin und Perückenmacherin mit eigenem Geschäft in der Kettengasse.

Kranke Schülerin wurde wegen ihrer Perücke gemobbt

Während die 40-Jährige das Zentimetermaß anlegt, schaut Marlene ganz unverkrampft in den Spiegel. „Keine Angst?“ – „Nö, ich freu mich!“, sagt die Zwölfjährige und erzählt, wie sie zu ihrem Entschluss kam. „Das war schon in der Grundschule. Eine Mitschülerin aus der Parallelklasse hatte Krebs. Die tat mir so leid, weil sie so gemobbt wurde wegen ihrer Haare, die künstlich glänzten und wie eine Karnevalsperücke wirkten. Sie haben ganz schreckliche Sachen zu ihr gesagt!“

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Dass die Idee, ihr Haare zu spenden, kein Spleen sein würde, war der Mutter sofort klar. „Ich kenne Marlene. Das ist für sie ein wichtiges Thema. Und das ist ihr Kopf, ihr Haar, ihre Entscheidung“, betont Jana Müller-Albrecht, die von ihrer Position im Sessel das Geschehen auf dem Friseurstuhl beobachtet. Die 40-Jährige arbeitet in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und weiß deshalb genau, wozu Leid oder ein Trauma bei jungen Menschen führen kann.

Organisation „Die Haarspender“ verlangt 40 Zentimeter 

Für Tatjana Richartz ist Marlene natürlich auch keine ganz gewöhnliche Kundin. Wenn sie das wäre, würde sie sich zentimeterweise an die optimale Länge herantasten. Aber hier soll so wenig wie möglich von dem kostbaren Material vergeudet werden.

Die in Österreich ansässige Organisation „Die Haarspender“, der Marlene die abgeschnittenen Zöpfe schicken wird, verlangt mindestens vierzig Zentimeter. „Du musst bedenken, Deine Haare sind lockig. Die ziehen sich noch sehr hoch. Da kann man von der Gesamtlänge nicht so viel wegnehmen, sonst hast Du einen richtigen Kurzhaarschnitt“, erklärt Richartz. Marlenes Mine spiegelt keine Irritation. „Ich fände es schön, wenn es ein Bauschkopf wird.“

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Die Friseurin beginnt, Marlenes Haar am ganzen Kopf in etwa gleich starke Zöpfe aufzuteilen und befestigt in gut 40 Zentimeter Länge ein Gummi. Hätte sie einfach einen Pferdeschwanz abgeschnitten, wäre Marlenes Haar vorne lang geblieben und hinten kurz geworden und damit wäre viel zu viel Material verschwendet worden. 

Perücken-Herstellung dauert 100 bis 180 Stunden

Richartz erklärt, dass man insgesamt zehn bis zwölf Köpfe brauche, um eine Perücke herzustellen und dass die Anfertigung einer solchen Ersatzfrisur aus Echthaar mit allem Drum und Dran „100 bis 180 Stunden“ dauere. Legt man einen deutschen Stundenlohn an, ist es nicht mehr überraschend, dass das maßangefertigte Stück 8000 bis 9000 Euro kostet, aber leider, „weil es ein Naturmaterial ist, bei intensivem Tragen höchstens ein Jahr lang hält. Kunsthaarperücken sogar noch weniger“. 

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Richartz legt am Hinterkopf die Schere an. Schnapp. Das erste Zöpfchen ist ab. „Voll krass!“ sagt Marlene, als sie den ersten Abschnitt in den Händen hält. Dort, wo das Gummi sitzt, erscheint das Haar fast schwarz und fühlt sich an wie ein extrem dichter Pinsel. Richartz schneidet insgesamt fünfzehnmal, dann liegt ein schweres Zöpfchen-Bündel in den unterschiedlichsten Blondtönen vor Marlene, die ihre Spende betastet und dann beim Blick in den Spiegel feststellt: „Ich finde es jetzt schon cool!“

Kein Material vergeudet 

Das findet auch Mutter Jana und beobachtet fasziniert, dass beim endgültigen Schnitt wirklich nur noch Millimeter zu Boden fallen. Es wurde wirklich nichts verschwendet. Beim anschließenden Föhnen kann man zusehen, wie das Haar immer voluminöser und lockiger wird, und wie sich das Mädchen vor dem Spiegel zunehmend in eine junge Frau verwandelt. „Jetzt ist es viel stimmiger zu Deinem Typ“, meint die Friseurmeisterin und erhält Zustimmung durch Marlenes strahlenden Blick. „Ich finde es so toll, ich könnte in die Luft springen“, flüstert die Schülerin ihrer Mutter zu, bevor beide strahlend das Geschäft verlassen. Es sieht ganz danach aus, als hätte Tatjana Richartz soeben zwei neue Kundinnen gewonnen.

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