50.000 Euro BeuteBetrüger hetzen Rentnerpaar stundenlang durch Köln

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Ehepaar S.

Das Ehepaar S. mit einer Tasche, die so ausieht wie jene, in der sie den Schmuck übergaben

Köln – Die Kölner Nummer, die an einem Freitagmittag Ende Oktober um 12.27 Uhr im Telefondisplay von Ehepaar S. in Leverkusen-Schlebusch aufleuchtet, beginnt mit 477 – der Ziffernkombination von Staatsanwaltschaft, Amtsgericht und Landgericht in Köln. Salim S., 88 Jahre alt, hebt ab. Eine Frau schluchzt in den Hörer, nuschelt: „Ich kann nicht sprechen, sprich mit der Polizei.“ Salim S. versteht nicht. Eine zweite Frau meldet sich, stellt sich mit dem Namen Schneider vor und behauptet, Polizistin zu sein. Sie sagt: „Ihre Tochter hat einen schweren Unfall verursacht, eine 30 Jahre alte Mutter von zwei kleinen Kindern ist gestorben. Ihre Tochter wird gerade psychologisch betreut, wir haben sie verhaftet, gleich kommt ein Gutachter.“

Salim S. denkt sofort an Eva (Name geändert), die jüngste seiner drei Töchter. Eva ist tatsächlich seit einiger Zeit in medizinischer Behandlung, es ist reiner Zufall. Aber für Salim S. ergibt das sofort einen Sinn. Er ist geschockt. Es ist nicht so, dass man den promovierten Biologen und seine Frau Hildegard, eine pensionierte Medizinerin, leicht an der Nase herumführen könnte, im Gegenteil: Zweimal schon haben sie Enkeltrick-Täter abgewimmelt, sich sogar einen Spaß erlaubt und die Täter am Telefon auf den Arm genommen. Aber an diesem Freitag kommt dem Ehepaar nicht einmal der Gedanke, dass es gerade hintergangen wird. Dass die beiden es in Wahrheit mit einer Betrügerbande zu tun haben, die Jahr für Jahr mit einer besonders perfiden Masche alte Menschen bundesweit um Millionen bringt. Sie sorgen sich nur um Eva. Und haben Mitleid mit den beiden Kindern der getöteten Mutter. „Unsere Welt bricht gerade zusammen“, sagt Hildegard S. zu ihrem Mann.

Angebliche Polizistin fordert 80.000 Euro Kaution

Frau Schneider fährt fort: „Wir können Ihre Tochter heute noch freilassen gegen eine Kaution von 80.000 Euro.“ – „Die habe ich nicht“, antwortet Salim S. „Wir akzeptieren auch Schmuck“, bietet die Anruferin an. Salim S. ist erleichtert: „Den habe ich.“ Frau Schneider weist ihn an, alles in eine Tasche zu packen und zu einem Notar an der Dürener Straße zu bringen, sie nennt eine Hausnummer, unter der tatsächlich eine Notarkanzlei firmiert, die aber in Wahrheit überhaupt nichts mit der Sache zu tun hat. Salim S. solle im Auto vor dem Haus an der Straße warten, es komme dann jemand, um den Schmuck abzuholen, erklärt Frau Schneider. Die Kanzlei betreten dürfe er leider nicht – „wegen Corona“. Auch soll das Ehepaar das Handy die ganze Zeit griffbereit haben.

Immer wieder werden die Täter die beiden in den folgenden Stunden anrufen. Sie wollen die alten Menschen ablenken, sie auf Trab halten, so dass sie bloß nicht daran denken, die Polizei einzuschalten. Oder ihre Tochter anzurufen, um sich bei zu vergewissern, ob die ganze Geschichte stimmt. „Daran habe ich keine Sekunde gedacht“, gibt Salim S. zwei Wochen später zu, als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ das Ehepaar in einem Hotel im Stadtwald auf einen Kaffee trifft. „Eva war ja in Haft, ist doch klar, dass sie da nicht ans Telefon gehen kann, dachte ich.“

Opfer packen  wertvollen Schmuck zusammen

Eilig packt Salim S. an jenem Freitag alles an Schmuck zusammen, was er im Safe findet. „Kann ich nicht wenigstens drei Stücke behalten?“, fragt ihn seine Frau, der Verzweiflung nahe. Den einzigartigen mumifizierten Skarabäus-Ring aus Kairo zum Beispiel, an dem sie so hängt. „Nein“, antwortet Salim, „die brauchen doch alles, wir kriegen das ja zurück, es ist nur eine Kaution.“ Der 88-Jährige legt den Schmuck im Wert von etwa 50.000 Euro in eine graue Tasche von Bayer Südafrika, dort hat Salim S. vor vielen Jahren mal für den Konzern gearbeitet. Sie setzen sich ins Auto und fahren zum Notar nach Köln-Lindenthal. Salim S. hat das Auto kaum geparkt, da tritt ein gepflegt wirkender Mann ans Beifahrerfenster. „Sie sind aber jung“, wundert sich Hildegard. „Ich bin noch in der Ausbildung“, antwortet der Fremde in makellosem Hochdeutsch, „ich soll nur den Schmuck holen.“ Ungefragt öffnet er die Seitentür des VW, nimmt die Tasche von Bayer vom Rücksitz und verabschiedet sich.

Kurz darauf klingelt Salims Handy. Frau Schneider ist dran, der Schmuck sei wohlbehalten angekommen. Man prüfe jetzt den Wert. Eva befinde sich zurzeit im Gerichtsgebäude am Reichenspergerplatz, sie sei dort noch immer in Behandlung, das Ehepaar solle hinfahren und vor der Tür warten. Und bloß nicht reinkommen, „wegen Corona“.

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Salim S. programmiert sein Navi, er und seine Frau kennen sich in Köln nicht besonders gut aus. Sie fahren nach Riehl, zum Gericht. Dass es sich um das Arbeitsgericht handelt, das mit Unfällen und der Polizei überhaupt nichts zu tun hat, wissen sie nicht. Sie wissen nur, dass da ein Gericht ist. Geschlagene drei Stunden warten sie vor dem Gebäude. Sie haben Angst, vergehen fast vor Sorge um ihre Tochter. Es ist mittlerweile fast 19 Uhr. Seit sechseinhalb Stunden sind Salim und Hildegard S. unterwegs. Sie haben nichts gegessen, nichts getrunken und stehen schwer unter Schock. „Diese tote Mutter, das war das Allerschlimmste“, erinnert sich Hildegard S. „Wir dachten: Durch einen aus unserer Familie ist jemand zu Tode gekommen, unser Leben wird sich so verändern.“

Irgendwann hält es die 84-Jährige nicht mehr aus, sie steigt aus und fragt eine Frau, die das Arbeitsgericht verlässt, wo ihre Tochter sei. Im Haus sei niemand mehr, antwortet die Frau verdutzt. Ein Unfall? Ein Gutachter? Räume, in denen jemand psychologisch betreut werde? Gebe es im Gebäude nicht. Die Frau ruft die Polizei. Die kommt sofort. Die Spurensicherung untersucht den VW nach Finger- oder DNA-Spuren des vermeintlichen Notar-Azubis. Ermittler schauen sich an der Dürener Straße nach möglicher Videoüberwachung um. Eine Beamtin fährt das Ehepaar in dessen Auto nach Hause. Dort liegt der Hörer noch neben dem Telefon, nicht mal die Safe-Tür hatte Salim S. geschlossen, als das Paar mittags in Panik aufgebrochen war.

Polizei bittet Zeugen dringend um Hinweise auf die Täter

An den verlorenen Schmuck hätten sie zunächst gar nicht gedacht, erzählt Hildegard S. „Wir waren nur froh, dass es unseren Töchtern gut ging und dass niemand gestorben war.“ Erst jetzt allmählich stelle sich Wehmut ein, wenn sie an den Schmuck denke, sagt sie. „Es wäre das Schönste, wenn wir den doch noch zurückbekommen würden.“ Die Polizei (Telefon 0221/229-0) sucht Zeugen, die womöglich die seltene Tasche von Bayer wiedererkennen.

Salim S. indes bemüht sich, nach vorne zu schauen und nicht mehr zu hadern: „Ich habe für mich einen Strich unter alles gezogen“, sagt der 88-Jährige. Den Schmuck, befürchtet er, hätten die Täter vermutlich schon einschmelzen lassen oder unter der Hand verkauft.

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